«Queere Drehbücher werden uns jetzt aus den Händen gerissen»

ARD und ZDF machen ernst mit Vielfalt

Szene aus der ARD-Serie «All you need» (Foto: ARD Degeto/Andrea Hansen)
Szene aus der ARD-Serie «All you need» (Foto: ARD Degeto/Andrea Hansen)

Die Aufregung um den Trans-Beitrag der «Sendung mit der Maus» hat es gezeigt: Bei ARD und ZDF bewegt sich etwas. Doch wie queer sind die Sender wirklich und wie sollten sie mit dem Hass gegen sie umgehen? 

Daneben sind andere queere Formate sind in ARD und ZDF gesendet worden. Hierzu zählte die Serie «All you need» im Ersten, oder «It’s a sin» und «Loving Her» im ZDF. Ebenso im Doku-Bereich gab es neue Produktionen. «Drags of Monnem», «Hass gegen Queer» und «Wie Gott uns schuf» wagten sich an queere Themen heran. Nicht zuletzt der RBB-«Polizeiruf 110» zeigt mit André Kaczmarczyk in der Rolle des Vincent Ross zeigt einen genderfluiden Kriminalkommissar (MANNSCHAFT berichtete).

Dunja Hayali
Dunja Hayali

«Wir bilden die Vielfalt von Lebensentwürfen, Kulturen und Meinungen in Deutschland ab und nähern uns ihnen unbefangen und mit Neugier» sagt ein ARD-Sprecher gegenüber MANNSCHAFT. Auch habe es schon immer queere Mitarbeitende in den Sendern gegeben, schliesslich sei die «ARD ein Spiegelbild der Gesellschaft». Geändert habe sich hierbei lediglich deren Sichtbarkeit. Bekannte queere Gesichter in den Öffentlich-Rechtlichen sind etwa die ZDF-Moderatorin Dunja Hayali, WDR-Journalistin Bettinger Böttinger, oder der «Tagesthemen»-Moderator Helge Fuhst.

Die ARD erklärt, es gäbe mittlerweile «eine grössere Selbstverständlichkeit und fast beiläufige Sichtbarkeit von queeren Personen in der Berichterstattung». Queere Lebensentwürfe würden «ganz selbstverständlich in Filmen und Serien miterzählt oder seien Themen der Informationssendungen im Ersten», erklärt der ARD-Sprecher.



Zuletzt ein bunteres Programm Ganz so euphorisch ist Klaudia Wick nicht. Sie ist leitet den Fernsehbereich der Deutschen Kinemathek und war Juryvorsitzende des Deutschen Fernsehpreises. Das Auftreten der Öffentlich-Rechtlichen habe sich in den letzten Jahren erst langsam geändert, sagt die Fernsehkritikerin. Nun sei es «schick» geworden, «der Diversitätsforderung zu folgen». Verschiedene Autor*innen für Fernsehstoffe berichteten Wick, dass ihnen die Drehbücher, die noch vor fünf Jahren niemand haben wollte, «nun aus den Händen gerissen werden».

Klaudia Wick fragt sich, was dahinter steckt. «Mode? Vorauseilender Gehorsam? Vielleicht am ehesten der Versuch, wieder offener und damit interessanter für eine junge Zielgruppe zu werden.» Doch nach wie vor handele es sich bei den Inhalten überwiegend um städtische Lebensentwürfe und es würden zudem oftmals zwei «Abweichungen» von der Durchschnittsnorm in einer Figur miteinander verbunden, wenn diese etwa queer und schwarz sei.

Dabei gab es in der Vergangenheit durchaus in den Öffentlich-Rechtlichen queere TV-Meilensteine. Etwa «Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt» aus dem Jahr 1971 von Rosa von Praunheim, «Die Konsequenz» von Wolfgang Petersen, oder «Das Ende der Beherrschung» von Gabi Kubach, beide aus dem Jahr 1977. In den 1990er Jahren gab es die Jugenddtalksendung «Doppelpunkt» im ZDF. Dort ging es auch schon mal um das Schwul- und Lesbischsein.

Neu war in dieser Zeit plötzlich auch eine schwule Figur in der «Lindenstrasse». «Es gab durch die Emanzipationsbewegungen immer mal wieder Filmemacher*innen, die das heteronormative Programm aufbrachen», sagt Wick. Dies seien jedoch Ausnahmen gewesen, wie auch Beiträge über andere Minderheiten.

Polizeiruf
Polizeiruf

Einen Fortschritt brachten hingegen nach Ansicht von Klaudia Wick zuerst die Privatsender. Es seien vor allem deren Talkshowformate gewesen mit Titeln wie «Hilfe, mein Mann ist schwul!». Auch Daniel Küblböck bei «Deutschland sucht den Superstar», oder ein gleichgeschlechtliches Paar bei «Let’s Dance» zählten hierzu. So habe RTL alternative Lebensweisen «wie nebenbei ins Programm geschleust», erklärt Klaudia Wick. Bei den öffentlich-rechtlichen Fernsehfilmen habe stattdessen lange oft eine queere Figur in der Nebenrolle mitspielen dürfen – «um etwas Konfliktstoff in die Familienkonstellationen zu streuen».

Hass auf Öffentlich-Rechtliche Dieser Prozess der langsamen Diversifizierung der Öffentlich-Rechtlichen spielt sich aktuell in einem gesellschaftlichen Klima ab, das sich immer mehr zuzuspitzen scheint. So gibt es einerseits etwa in Deutschland die Ehe für Alle. Der Kölner CSD hatte kürzlich Rekordbesucherzahlen (MANNSCHAFT berichtete), und immer mehr Unternehmen und auch öffentliche Stellen setzen sich – mit mal mehr oder weniger pink-washing – für Diversität ein. Gleichzeitig jedoch bekommt die AfD immer mehr Zustimmung und die Hassbotschaften wegen queerer Inhalte nehmen immer weiter zu.

Dies erlebt auch die ARD. In deren Zuschauerredaktion und auf den Social Media-Kanälen seien sehr viele ablehnende Reaktionen zu queeren Inhalten eingegangen, sagt der ARD-Sprecher gegenüber Mannschaft.com. «So rief die Serie ‹All you need› über das Leben homosexueller Männer in Berlin starken Gegenwind und üble Hassrede hervor». Dabei ergäbe sich ein Verstärkereffekt in den sozialen Medien, erklärt die ARD. Nämlich dann, wenn diese Hassbotschaften in deren Anhängerschaften breit gestreut würden. Dies sei etwa bei dem Beitrag der «Sendung mit der Maus» zu trans-Identitäten geschehen.

it's a sin
it's a sin

Die Zuschauerredaktion habe für die Beantwortung von E-Mails bereits Textbausteine für Standard-Antworten erarbeiten müssen, weil die Menge der Reaktionen keine individuelle Antwort mehr zulasse. Die Nutzer*innen würden auf die «Netiquette» hingewiesen und im Wiederholungsfall blockiert. Wenn die Äusserungen strafrechtlich relevant seien, leite werde die Generalstaatsanwaltschaft gebeten, aktiv zu werden, erläutert der ARD-Sprecher.



Wie sollen die Sender reagieren? Doch welche Haltung sollten die Öffentlich-Rechtlichen in diesem giftigen Klima einnehmen? «Es gibt in der Mehrheitsbevölkerung wenig Wissen zu LGBTIQ», sagt Raik Roth. Roth ist Kommunikationswissenschaftler*in an der TU Köln und forscht unter anderem im Bereich Gender, Queer und Cultural Media Studies. Daher habe der öffentlich-rechtliche Rundfunk den Auftrag, zu kultureller Vielfalt und Meinungsbildung beizutragen, sagt Roth. Es sei seine Aufgabe, dieses Wissen zur Verfügung zu stellen, so dass eine Meinungsbildung überhaupt erst möglich werde.

Raik Roth fordert eine doppelte Sichtbarkeit. «Mehr explizit queere Protagonist*innen, deren queere Lebensrealität auch inhaltlich eine Rolle spielt und mehr Sichtbarkeit, die ‹nebenbei› stattfindet». So sollten queere Personen und Lebensrealitäten selbstverständlich in verschiedenen Formaten und Sendungen vorkommen. Etwa, wenn in einem Fernsehfilm queere Familienkonstellationen auftauchten und deren Queerness aber gerade nicht im Mittelpunkt stehe, meint Roth.

ARD/WDR HASS GEGEN QUEER, "Ein Film von Tristan Ferland Milewski", am Mittwoch (19.07.23) um 22:50 Uhr im ERSTEN. © WDR/Doclights/Marc Vorwerk
ARD/WDR HASS GEGEN QUEER, "Ein Film von Tristan Ferland Milewski", am Mittwoch (19.07.23) um 22:50 Uhr im ERSTEN. © WDR/Doclights/Marc Vorwerk

Diese Spannungen, denen die Sender ausgesetzt sind, sieht auch Klaudia Wick: Die Öffentlich-Rechtlichen befänden sich derzeit von allen Seiten unter Druck. «Die bürgerliche Mitte findet, dass ihre Welt nicht ausreichend abgebildet wird. Dazwischen bewegen sich die Redaktionen mal so und mal so. Eine einheitliche Linie kann ich nicht erkennen, eher ein pflichtschuldiges Bemühen.» Von den Öffentlich-Rechtlichen wünscht Wick sich einen «klaren Haltungskompass». So dürften die Sender nicht emotionalisieren oder spalten. Dabei seien ARD und ZDF eigentlich der Ort schlechthin für diskursive Formate, die erklären, was die verschiedenen Lebensentwürfe gemeinsam hätten, glaubt Wick

Wie dies gelingen kann, hebt Klaudia Wick am Beispiel der Krankenhausserie «In aller Freundschaft» hervor. Dort würden bereits «Geschlechtsumwandlungen behandelt wie Blinddarmentzündungen: Kommt vor, wird behandelt, ist Teil des Lebens.»

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