Wir sollten alle viel häufiger nackt sein!

Neulich war unser Autor in der Herrensauna in Wien. Sein Handy hat er dabei nicht vermisst – im Gegenteil

Foto: Yang Deng/Unsplash
Foto: Yang Deng/Unsplash

Es gibt zwei Sorten von Menschen, die in der Regel keine Handys bei sich tragen: Frauen in Brautkleidern und Gäste in Saunen. Zur Gruppe der letzteren gehörte unser Autor neulich mal wieder und weil er danach so seltsam beglückt war, schrieb er diesen Kommentar*.

Hallo, mein Name ist Kriss – und ich bin onlinesüchtig … Glaube ich jedenfalls manchmal. Von morgens bis abends habe ich diese blödsinnige Gerät in der Hand. Ich denke noch: Jetzt legst du es aber endlich weg – und wische munter weiter. Aber als ich neulich mal wieder in der Sauna war, ist mir etwas aufgefallen, das mir Hoffnung macht.

Es gibt Dinge, die ich besser kann, als Small Talk. Wenn ich irgendwo mit Fremden oder auch Bekannten zusammensitze und mir fällt nichts Kluges ein, das ich sagen könnte – nichtmal etwas Nichtkluges –, dann greife ich zum Smartphone. Hat jemand geschrieben? Könnte ich jemandem schreiben? Was passiert in der Welt? Lebt Cher eigentlich noch? Wann flüchtet der nächste ungarische Hardliner über die Regenrinne, um nicht von der Polizei mit schwulen Strichern erwischt zu werden?

Vielen geht es vermutlich so, sonst würden wir nicht ständig auf unsere verfluchten Handys starren und in den Tiefen und Weiten des WWW verschwinden. Bei dem einen mag die persönliche Unsicherheit ausgeprägter sein, die andere ist vielleicht getrieben von ihrer Onlinesucht. Mobil telefonieren und mailen bedeutet jedenfalls nicht, wie es uns die Mobilfunk-Riesen weis machen wollen, Freiheit, sondern das genaue Gegenteil.

Neulich war ich in Wien und habe die wirklich schöne Herrensauna namens Kaiserbründl besucht (beliebte deutsche Gay Saunen gibt es hier). Dort in der Tempel-Bar habe ich richtig nette Typen kennengelernt und echt gute Gespräche geführt. Mal ging es um den Kurz-Skandal, mal über die aktuellen Corona-Massnahmen oder die schönen Seiten von Kenia. Es waren wirklich gute und anregende Gespräche. Achtung, Spoiler: Am Aufguss lag es nicht. Ich glaube auch nicht – ohne jemandem zu nahe treten zu wollen –, dass es an den jeweiligen Herren und ihrem ausgeprägten Konversationstalent lag.



Nachdem ich zwei Donnerstagabende im Kaiserbründl verbracht habe (donnerstags feiert man dort Schaumpartys!), wurde mir klar, warum ich so beglückt nach Hause gegangen bin. Es lag nicht am Sex (hatte ich nicht), sondern an einem 16,95 cm langen Ding namens Smartphone. Genauer: an dessen Abwesenheit.

Vermutlich lassen wir uns eines Tages Chips einpflanzen, um wirklich überall surfen, mailen und streamen zu können, ohne eine Hardware zu benötigen, sogar in der Sauna. Aber bis dahin bleibt diese moderne Geissel der Menschheit draussen. Und schon fängt man wieder an, sich gescheit zu unterhalten. Man sieht sich in die Augen, behält den Faden der Konversation, und wenn man gar nicht weiter weiss, holt man sich eben noch ein Bier oder geht schwitzen.

Übrigens ein Phänomen, das ich aus dem Berliner SchwuZ kenne, von der Schlagernacktparty. Ein tolles Format, bei dem man unbekleidet ist und, wer hätte das gedacht, zu deutscher Schlagermusik das Tanzbein und andere Extremitäten schwingt. Gut, dort trägt man immerhin noch Schuhe und Socken, in denen die einen ihre Zigarettenschachtel verstauen, andere ihr Handy. Aber wozu? Ein paar Stunden Urlaub von der schlimmsten elektronischen Menschenversklavung der Neuzeit, die man stattdessen mit anderen Menschen verbringt, ohne sie zu Statisten zu machen, die einem beim Wischen und Surfen zuschauen dürfen, ist ein nicht zu überschätzender Luxus.

Die Bundesdrogenbeauftragte Daniela Ludwig (CSU) nannte Medien-und Internetabhängigkeit im vergangenen Jahr «die Droge der Zukunft», Vor allem immer mehr Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene nutzten die digitalen Medien häufiger und exzessiver, als es ihnen bekommt. Der US-Psychologe Adrian F. Ward glaubt, dass ein Handy in der Nähe – etwa im Schlafzimmer – uns so in Beschlag nimmt, dass Ressourcen im Gehirn besetzt werden. Etwa das Arbeitsgedächtnis in den Stirnlappen der Grosshirnrinde, im präfrontalen Cortex. Es kann dann leider auf anderen Gebieten weniger leisten. U.a. brauchen wir es, so hat es die Welt mal erklärt, um Sätze zu begreifen. Ich musste erst in die Sauna gehen, um das zu verstehen.

*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar oder eine Glosse zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.

 

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