Unnötige Risse im Regenbogen: Selbstabsolution eines Pfarrers
«Warum ich als Schwuler das Selbstbestimmungsgesetz der Ampelkoalition problematisch finde», schreibt Thomas Zeitler unter dem Titel «Risse im Regenbogen». Zeitler ist der Pfarrer, der in Nürnberg die abgesetzte Ausstellung von Rosa von Praunheim initiierte. Hier kommt die Replik*.
Es ist schon fast bezeichnend, dass ein cis geschlechtlicher alter weisser Mann, seine Meinung und verstörenden Ansichten zum Selbstbestimmungsgesetz in die Öffentlichkeit kippt. Wieder ein faktisch nicht-betroffener Mann möchte zum Diskurs «sachlich» beitragen und schiesst – wenig überraschend für mich – klar am Ziel vorbei. Umso schlimmer empfand ich den Text, da er zudem noch aus der Feder eines schwulen Mannes kommt, ein Mitglied der queeren Community.
Und der Autor Thomas Zeitler haut so richtig einen raus. Sein Text (erschienen auf Zeitzeichen, dem Kulturmagazin der evangelischen Kirche, Anm. d. Red.) kann sich direkt einreihen neben den Aussagen und Schriften von Alice Schwarzer oder Till Amelung. Sein «sachlicher» Beitrag zur Debatte, eröffnet gleich mit einem Schreckensszenario – dem, dass er als schwuler Mann nicht mehr sicher sein kann vor «vermeintlichen Männern» in schwulen Räumen. War es in letzter Zeit stets der Mann im Kleid, der sich als Frau ausgibt und in die Schutzräume von cis geschlechtlichen Frauen eindringt, ist es bei Zeitler nun die «biologische Frau», die sich als «schwuler Mann» fühlt. Er fühle sich von dieser Person in seiner Homosexualität bedroht und am Ende seines Ergusses, zeigt er mahnend auf, dass durch das Selbstbestimmungsgesetz und einem fluiden Geschlechtsspektrum auch die Homosexualität an sich als sexuelle Orientierung bedroht ist.
Für Zeitler ist dies der Anfang vom Wahnsinn, sog. «Genderideologisten» würden damit die sexuelle Orientierung – die scheinbar nur in einem binär angelegten System existieren kann – abschaffen. Es werde die «binäre Realität» verleugnet. Schwule Orte würden zugleich abgeschafft werden und die eigene Identität wohl gleich mit. Zugleich beschwört Zeitler den Riss im Regenbogen herauf und grenzt sexuelle Orientierungen (LGB) von der Geschlechtsidentität (TIN) ab. Für ihn ist nicht «Gender» die relevante Grösse, sondern «Sex», also das biologische Geschlecht. Und dieses ist für ihn nun einmal binär und kein Spektrum. So einfach ist das. Und alles andere, wie der Geschlechtsausdruck ist einfach nur «Drag». Eine queere Spielart, mehr nicht. Die Vielfalt von Geschlecht existiert in seiner Welt nicht. Es gibt nur zwei Pole: biologisch Mann und biologisch Frau.
Das Selbstbestimmungsgesetz der Ampelkoalition dürfe so nicht kommen, so die Quintessenz von Zeitler. Als wäre der neue Gesetzentwurf gar ein Persilschein für den bequemen und bürokratiearmen jährlichen Geschlechtswechsel. Das Leiden der trans Community unter dem weiterhin gültigen, aber längst reformbedürftigen Transsexuellengesetz (MANNSCHAFT berichtete) verkennt er die meiste Zeit. Das Gutachterliche Verfahren erhebt Zeitler als wesentliches Erfordernis zur Feststellung von Transsexualität. Die gesicherte Diagnose einer Transidentität muss weiterhin massgeblich in einem künftigen Verfahren sein. Denn nur so, lässt sich anscheinend «das real existierende Phänomen der Transidentität» unterscheiden, von der herbeiideologisierten Vielgeschlechtlichkeit, dem reinen subjektiven Empfinden einer wie auch immer gelebten Geschlechtsidentität. Sicherheit gibt halt nur ein staatliches Verfahren.
Ich brauche die Sicherheit nicht von einem Staat für die Änderung meines Geschlechtseintrages. Diese Sicherheit ist in mir über Jahre, teils schmerzlich, gewachsen. Ich hätte mir schon damals ein Verfahren gewünscht, dass die Würde des Menschen in den Mittelpunkt stellt und nicht die Ängste einer Gesellschaft, die uns nicht versteht. Eine Gesellschaft, die die Komplexität von Geschlecht nicht versteht. Vor allem dann, wenn diese das Denken über Geschlecht nach 1990 einfach nicht mehr aktiv angegangen sind. So seine Aussage im Text. Und da springt er uns förmlich an. Der weisse alte cis-geschlechtliche schwule Mann, Versteher und Verfechter des Patriachats, der in der wunderschönen, vielfältigen und bunten queeren Welt sich nicht mehr wieder findet, sich verloren fühlt und gar seine Existenz bedroht sieht. Das darf nicht sein.
Zeitler selbst sieht sich nicht als queer- oder transfeindlich. Er stellt dieses auch am Ende seines Textes klar heraus. Na dann, dann wissen wir jetzt alle Bescheid. Selbstabsolution ist zum Glück selbst entlarvend.
*Die Meinung der Autor*innen von Kolumnen, Kommentaren oder Gastbeiträgen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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