Das sind die wichtigsten Gayropäer!
Vom ehemaligen Fussballprofi bis hin zum Staatschef: Diese zehn Männer machen ihre Sexualität zur Selbstverständlichkeit
Diese zehn Männer aus Politik, Sport und Kultur setzen sich mit ihrer Position für Vielfalt ein. Sie sorgen für mehr Sichtbarkeit und Akzeptanz und machen Europa queerer und vielleicht auch ein bisschen besser.
Lieber Leser*innen der MANNSCHAFT, wir haben uns die Auswahl der wichtigsten 10 Gayropäer nicht leicht gemacht. Wir wollten sie möglichst weit streuen, sowohl geographisch als auch über verschiedene Gesellschaftsbereiche: nicht nur Politik und Aktivismus, sondern auch Sport und Kultur. Wir hatten einige Herren auf dem Zettel, die gewiss einen Einfluss oder eine Strahlkraft über die Grenzen ihres Heimatlandes hatten, die es aber dann doch nicht in die Top 10 geschafft haben.
So feiert Nordirland die langersehnte Ehe für alle
Uns war und ist völlig klar: Einige werden sagen, da fehlt doch der X! Was ist denn mit dem Y? Da kommt Ihr ins Spiel. Wir möchten Euch online über 13 Männer abstimmen lassen. Die drei fehlenden bestimmt Ihr: Nennt uns Euren Kandidaten (bitte nur einen je Mail) für die Auswahl der 13 Gayropäer in einer Mail an redaktion [at] mannschaft.com, Betreff: Mein Gayropäer. Einsendeschluss ist der 3. November. Die meistgenannten drei schaffen es zusätzlich in unser Voting. Wir sind gespannt auf Eure Nominierungen!
Xavier Bettel (46), Luxemburg Seit Ende 2013 ist der Rechtsanwalt Premierminister des Grossherzogtums; 2015 gab er seinem Partner Gauthier Destenay das Jawort und war damit nach Jóhanna Sigurðardóttir (Island) der zweite homosexuelle Regierungschef in Europa, der im Amt heiratete. Beim Nato-Gipfel in Belgien 2017 nahm Gatte Gauthier am sogenannten Damenprogramm teil, wo er unter anderem auf die Ehefrau Erdogans traf. Beim Gipfel von EU und Arabischer Liga Ende Februar 2019 konfrontierte er die Runde damit, dass seinem Mann und ihm in vielen der anwesenden Länder der Tod drohe (MANNSCHAFT berichtete). Und im Juli blieb er der Verabschiedung von Israels Botschafterin fern, nachdem sich der Bildungsminister des Landes für Konversionstherapien ausgesprochen hatte. Bettel legt den Finger in die Wunde, wo er kann, und setzt in den Riegen der Staatschefs ein bitter nötiges Zeichen.
Thomas Hitzlsperger (37), Deutschland Auch wenn seine aktive Zeit als Profikicker vorbei war: Er wagte 2014 als erster deutscher Fussballer das Coming-out und dient seither als Vorbild: Man kann es als schwuler Mann im harten Fussballgeschäft zu etwas bringen. Hitzlsperger trug wegen seiner Schusskraft in England den Spitznamen «The Hammer». Ignorieren kann man ihn nicht, den «Botschafter für Vielfalt», zu dem ihn der Deutsche Fussball-Bund 2017 machte. Seit der WM 2014 tritt er als TV-Experte auf, seit Februar ist er Sportvorstand beim VfB Stuttgart und rückte kürzlich sogar zum Vorstandsvorsitzenden auf (MANNSCHAFT berichtete). Hitzlsperger engagiert sich für den Verein «Gesicht Zeigen! Für ein weltoffenes Deutschland» sowie über «UBUNTU Africa» für HIV-positive Kinder in Südafrika. Für den Sport, dem eine grosse Integrationskraft zugeschrieben wird, ist Hitzlsperger ein Segen.
Sven Epiney (47), Schweiz Der Moderator ist in der Schweizer Community nicht oft zu sehen und hält sich auch eher zurück, wenn es um politische Statements geht. In den Medien gilt er als «perfekter Schwiegersohn», auf Google wird in Kombination mit seinem Namen am meisten das Rezept des Schokoladenkuchens gesucht, das er einst in einer Sendung geteilt hat. Dennoch ist sein Verdienst für die Akzeptanzförderung von Schwulen und Lesben in der Schweiz nicht zu unterschätzen. Seit 1993 flimmert er in den Wohnzimmern über den Bildschirm, für viele Zuschauer*innen ist er der erste und manchmal gar einzige offen schwule Mann, den sie kennen. Im März 2019 machte er seinem Freund in der Tanzshow «Darf ich bitten?» live einen Heiratsantrag – zur Hauptsendezeit am Samstagabend – und rückte die Ehe für alle so in den Fokus der Klatschpresse und der Allgemeinbevölkerung. Epiney ist einer der wichtigsten Sympathieträger für die immer noch hängige Eheöffnung in der Schweiz.
Stephen Fry (62), Grossbritannien Der Komiker und Schriftsteller ist seit den Achtzigerjahren ein Fixstern in der britischen Unterhaltungsindustrie und nie um einen spitzen Kommentar verlegen. Fry hat eine Nulltoleranz für Homophobie und führt Schuldige gerne bei seinen über 12 Millionen Twitter-Followern vor. Für die BBC realisierte er 2013 eine zweiteilige Dokumentation über Homophobie in Uganda, Brasilien, Russland und Indien. Unter anderem sprach er mit Jair Bolsonaro, dem heutigen Präsidenten Brasiliens, und Witali Milonow, Mitverfasser des russischen Gesetzes gegen «homosexuelle Propaganda». Die Situation in Uganda nahm ihn so sehr mit, dass er mit Pillen und Wodka versuchte, sich das Leben zu nehmen. Schliesslich habe ihn der Vorfall in seiner Sexualität bestätigt, wie er später gegenüber den Medien sagte: «Ich werde mich nie für meine Gefühle entschuldigen.» Mittels Tweets, Kolumnen und Dokumentationen kämpft Fry gegen Homophobie.
Pedro Almodóvar (70), Spanien Kontrovers und am Puls der Gesellschaft: Pedro Almodóvar wird als einflussreichster und international erfolgreichster Filmemacher Spaniens gehandelt. Mit 22 Jahren kaufte er sich in den frühen Siebzigerjahren von seinem ersten Lohn eine Super-8-Kamera und drehte damit sexuell aufgeladene, tonlose Kurzfilme. Mit dem Ende der Franco-Diktatur fiel auch die Zensur und die spanische Öffentlichkeit lechzte nach Befreiung und Aufklärung. Almodóvar befriedigte dieses Bedürfnis, indem er sich mit seiner Filmkunst keine Grenzen setzte: Mit Gewalt, Vergewaltigung und Inzest zeigte er ihr einerseits die Abgründe, mit Geschichten über starke Frauen, Transgeschlechtlichkeit und Homosexualität aber auch die Vielfalt der Gesellschaft. Seien es selbstbewusste Schwule in «La ley del deseo» (1987) oder eine trans Frau als Protagonistin in «Todo sobre mi madre» (1999): Almodóvar war seiner Zeit stets voraus.
Sir Ian McKellen (80), Grossbritannien Sir Ian McKellen setzte sich für Schwule und Lesben ein zu einer Zeit, als ein mediales Coming-out für einen Schauspieler einem beruflichen Selbstmord gleichkam. Als das britische Parlament 1988 ein Gesetz behandelte, das staatlichen Behörden eine positive Äusserung über Homosexualität untersagen wollte, outete sich McKellen in einem Radiointerview. Das Gesetz kam trotzdem durch und bewegte ihn dazu, gemeinsam mit anderen Aktivist*innen die LGBTIQ-Organisation Stonewall zu gründen, die heute grösste ihrer Art in Grossbritannien. McKellen engagiert sich seit über 30 Jahren für LGBTIQ-Rechte (MANNSCHAFT berichtete) und ist immer wieder bei einer Pride zu sehen. 2012 sorgte er in Singapur für Aufruhr, als er den Moderator nach der nächsten Schwulenbar fragte und die Sendung sofort abgebrochen wurde. McKellen ist ein leidenschaftlicher Aktivist und grosszügiger Sponsor vieler Stiftungen und LGBTIQ-Organisationen.
Leo Varadkar (40), Irland Leo Varadkar ist seit 2017 der erste offen schwule Premierminister Irlands und der erste mit indischer Abstammung. Im Vorfeld des Referendums zur Öffnung der Ehe 2015 machte der damalige Minister seine Sexualität öffentlich. Irlands Stimmbevölkerung sprach sich schliesslich mit 62% für die Ehe für alle aus – als erstes Land weltweit per Volksentscheid. Das Foto von Varadkar mit seinem Partner Matthew Barrett auf Staatsreise zu Besuch im Haus von US-Vizepräsident Mike Pence ging um die Welt. «Wir sind schliesslich alle Kinder Gottes», sagte er dort in einer Rede. «Ich stehe hier als Staatsoberhaupt meines Landes und werde aufgrund meiner politischen Taten beurteilt, nicht aufgrund meiner sexuellen Orientierung, meiner Hautfarbe, meines Geschlechts oder meiner Religion. Und das gilt auch für die USA.» Varadkar lebt seine Sexualität selbstverständlich und spricht auf Augenhöhe mit anderen Staatsoberhäuptern.
Robert Biedroń (43), Polen Wird Robert Biedroń der nächste Leo Varadkar? Polen ist wie Irland katholisch geprägt, und beide Männer haben als erstes Parlamentsmitglied ihres Landes ihre Homosexualität öffentlich gemacht. Biedroń steht für ein weltoffenes Polen: Er will Frauenrechte und das Gesundheitssystem stärken sowie die Inklusion von LGBTIQ-Personen und Menschen mit Behinderungen fördern. Im Februar 2019 gründete er mit Wiosna (MANNSCHAFT berichtete) seine eigene Partei, deren Vorsitzender er ist. Zu den ersten Zielen gehört die Anhebung des Mindesteinkommens auf 2700 Złoty (rund 680 Fr.) und die Schliessung aller Kohleminen bis 2035. An den Europawahlen im Mai ergatterte die junge Partei drei Sitze, an den nationalen Wahlen im Oktober 19 von 460 Sitzen. Biedroń gilt zudem als Hoffnungsträger für die Präsidentschaftswahlen 2020. In der LGBTIQ-Community sind jedoch nicht alle gut auf Biedroń zu sprechen (MANNSCHAFT berichtete). Der Atheist Robert Biedroń setzt sich im streng katholischen Polen für die Umwelt und benachteiligte Gruppen ein.
Jan Ola Sand (57), Norwegen Der Eurovision Song Contest ESC wurde dieses Jahr von rund 182 Millionen Zuschauer*innen gesehen und gilt somit als eine der meistgesehen kulturellen Veranstaltungen weltweit. Produktionsleiter und Supervisor des jährlichen Grossanlasses ist seit 2010 Jan Ola Sand. Der Norweger beteuert zwar immer wieder, dass es am ESC keine politischen Statements gebe. Es ist jedoch nicht abzustreiten, dass die Veranstaltung ein wichtiges Vehikel für LGBTIQ-Sichtbarkeit ist und es wäre naiv, zu glauben, dass Sand nicht auch eine Hand im Spiel hätte. Als Supervisor segnet er die nicht selten queer aufgeladene Performances der Kandidat*innen ab, darunter zum Beispiel Krista Siegfrids Plädoyer für die Ehe für alle (2013). Der ESC selbst machte ein Statement für die gleichgeschlechtliche Liebe, als die Kamera bei der diesjährigen Performance von Dana International auf ein Männerpaar schwenkte und es mit einem Herz zum Küssen aufforderte. Jan Ola Sand zieht hinter den Kulissen die Fäden des Megaevents und schickt so eine Botschaft der Inklusion auch in die hinterste Ecke von Ländern mit LGBTIQ-feindlichen Gesetzen.
Tom Neuwirth (30), Österreich 2014 gewannt seine Kunstfigur Conchita Wurst den ESC und sprach: «Wir sind eine Gemeinschaft, und wir sind unaufhaltbar.» Unaufhaltbar war vor allem Wurst selbst: Das Nachrichtenmagazin Profil kürte sie gemeinsam mit dem Homohasser Putin zum Menschen des Jahres. Sie sang vor dem EU-Parlament und träumte beim Auftritt vor den Vereinten Nationen von einer Zukunft, «in der wir nicht über sexuelle Orientierungen, Hautfarben oder religiöse Überzeugungen reden müssen». Oder vom positiven HIV-Status, den Neuwirth 2018 öffentlich machte, weil ihn ein Freund erpresste. Zur Verleihung der Goldenen Kamera 2019, einer grundspiessigen Veranstaltung, trug der Österreicher High Heels und Fetisch-Outfit und erklärte in einem TV-Interview: «Ich entscheide mich jeden Tag neu, wer ich sein möchte. Ob das mehr feminin oder maskulin ist, ist mir relativ egal». Mehr Vielfalt kann man dem heterosexuellen Cis-Mainstream nicht vorleben.
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