«Queer as German Folk» – Die deutsche Version von Stonewall
Die Goethe Institute von Nordamerika zeigen an acht Orten eine Ausstellung zum Stonewall-Jubiläum und dessen Bedeutung für LGBTIQ-Aktivismus in West- und Ost-Deutschland
Es gibt viele Möglichkeiten, sich an die Stonewall-Aufstände vor 50 Jahren zu erinnern. Die Goethe Institute von Nordamerika fragen mit dem Projekt «Queer as German Folk», welche Bedeutung die einwöchigen «Riots» in der Christopher Street von New York für West- und Ost-Deutschland hatten – und was es in Deutschland für queeren Aktivismus gab, vor und nach 1969.
Dazu haben die Goethe Institute ein umfangreiches Gesamtpaket zusammengeschnürt, in dessen Zentrum eine Wanderausstellung steht, die diese Woche in Manhattan eröffnet wurde und derzeit in acht Goethe Instituten in Nordamerika gezeigt wird, darunter Washington, San Francisco, Chicago, Toronto und Montreal.
Kuratiert wurde sie von Dr. Birgit Bosold und Carina Klugbauer, beide vom Schwulen Museum Berlin, wo sie zuletzt gemeinsam die Ausstellung «Lesbisches Sehen» im Kontext des «Jahr der Frau_en» gezeigt hatten. In einem Interview mit dem Goethe Institut sagt Klugbauer: «Wir nehmen die Stonewall-Proteste als Anlass, um queere Bewegungsgeschichte in Deutschland zu erzählen — wollen aber auch hinterfragen, wie diese Bewegungsgeschichte konstruiert wird. Stonewall war ein Moment, an dem sich etwas verschoben hat für einen Aufbruch. Aber dieser grosse Moment verdeckt auch viel. Es gab auch vor und neben Stonewall schon queeres Leben, und eben auch Widerstand und Aktivismus. Das wollen wir sichtbar machen, aber nicht als eine homogen geschriebene Geschichte, wie das sonst oft versucht wird. Wir wollen das neu erzählen: Bewegungsgeschichte in Form von Schlaglichtern.»
Zu dem «neu Erzählen» und Durchbrechen von «Homogenität» bemerkt Bosold: «Wir versuchen, Überraschungsmomente herzustellen. Dass man Dinge in Kombination sieht, die man so vielleicht noch nie zusammen gedacht hat: westdeutsche Schwulenbewegung und lesbische Kirchengruppen in der DDR zum Beispiel; das erste deutsche Netzwerk schwarzer Frauen in den Achtzigerjahren und Trans*-Filmfestivals von heute. Es geht darum, die Konflikte herauszustellen. Wir wollen das Revoltenhafte einfangen. Alles, wo es ein bisschen geruckelt hat und immer noch ruckelt. Stimmen zu Wort kommen lassen, die sonst kaum gehört werden.»
DDR-Perspektive Der Aspekt des Sichtbarmachens von Themen, die bisher übersehen wurden (absichtlich oder unabsichtlich) ist den beiden Kuratorinnen wichtig, nicht nur in Bezug auf eine DDR-Perspektive. Klugbauer dazu: «In vielen Stonewall-Erzählungen liegt der Fokus klar auf der Schwulenbewegung. Die spielt bei uns natürlich auch eine wichtige Rolle, aber wir haben zudem versucht, Personen, Perspektiven und Identitäten in diese Geschichte aufnehmen, die sonst nicht vorkommen — die People-of-Color-Community etwa, Feministinnen oder auch Trans*-Personen und intersexuelle Menschen.»
Was die Bedeutung von Stonewall für Deutschland angeht, so meint Klugbauer: «Erst 1979 gab es deutsche Pride Parades, die explizit als solche gelabelt wurden. Die Momente, die in Deutschland so einen Umschwungeffekt hatten wie Stonewall in den USA, waren ja andere: der Film von Rosa von Praunheim etwa, die lesbischen Proteste um den ‹Hexenprozess› von Itzehoe oder auch die Abtreibungsdebatte. Die Art der Konfrontation war in den USA eine andere, eine viel offensivere. In Deutschland lief das etwas verkopfter ab.»
Kampf um Deutungshoheit Aus dem Ansatz des vergleichenden Erzählens und des Betonens von überraschenden Parallelbewegungen, ergeben sich viele neue Perspektiven, die dem Mythos «Stonewall» etwas von seiner Singularität nehmen und ihn einbetten in viele weitere Mythen, die aktuell stark miteinander um Aufmerksamkeit streiten – ein Kampf um Deutungshoheit, der spannend zu beobachten ist.
Ein «Stonewall Reader» von der New York Public Library
Die Ausstellung wurde vom Berliner Design-Büro chezweitz gestaltet (das auch die Ausstellung «Homosexualität_en» im Deutschen Historischen Museum betreut hatte, ebenfalls von Bosold kuratiert und ebenfalls um neue Perspektiven bemüht, die 2015 auf teils heftigen Widerstand stiessen). Bosold sagt: «Die Szenografie ist ein ganz integraler Anteil von Ausstellungen und chezweitz haben da eine unglaubliche Kompetenz. Die Objekte selber machen ja nicht einfach die Ausstellung, die müssen in einer Weise präsentiert werden, die eine Stimmung erzeugt, einen Grundton. Und diesen rauen Ton zu treffen, den wir über die Dokumente und die Textauswahl erzeugen — das in einer so einheitlichen Anmutung einzufangen, ist eine grosse Kunst.»
Auch in Berlin zu sehen Ab 2020 zeigen weitere Goethe Institute weltweit die Ausstellung, die «einen Erlebnisraum zur Geschichte und Gegenwart der queeren Bewegung» schafft und sich «lokalen Kontexten und Räumlichkeiten anpasst». Ab Juli 2019 wird sie dauerhaft auch im Schwulen Museum Berlin zu sehen sein und dort die langlaufende historische Überblicksausstellung «Tapetenwechsel 2.0» ersetzen, die Museumsgründer Wolfgang Theis kuratiert hat und um die es von Seiten einiger Queer-Aktivist_innen immer wieder Debatten gab (über deren Sinn und Unsinn gleichfalls viel debattiertiert wurde).
Rassismus-Vorwurf gegen Schwules Museum – was ist da dran?
Die «Queer as German Folk»-Ausstellung wird dann anstelle einer eigenen neuen Dauerausstellung funktionieren, auf die sich der Museumsvorstand in den Jahren seit dem Umzug in die neuen Räume in der Lützowstrasse 73 nicht einigen konnte. Man könnte sagen, dass Birgit Bosold als langjähriger Vorstand das Thema nun selbst in die Hand genommen und Fakten geschaffen hat in eben jenem Kampf um Deutungshoheit. Chapeau!
Queere Gemeinsamkeiten – Queere Konflikte Die Ausstellung des Goethe Institut ist eingebunden in ein grösseres Stonewall-Jubiläumsprogramm. Es wird in Nordamerika eine Reihe geben mit dem Titel «Queeres Kino aus Deutschland» (u. a. mit «Westler» und «Zwei Mütter»). Ausserdem wird es eine Wanderkonferenz geben: «Vier Ausstellungsorte, vier Gesprächsrunden, vier Themen: Toronto, New York City, Mexiko-Stadt und Berlin veranstalten im Stonewall-Jubiläumsjahr parallel zur Ausstellung öffentliche Gesprächsrunden. Zwischen Juni und September 2019 stehen unter dem Titel Queere Gemeinsamkeiten – Queere Konflikte unterschiedliche Aspekte des aktuellen Queer-Diskurses zur Verhandlung: Queerer Widerstand, Queere Kultur, Queere Vielfalt und Queeres Establishment. Diskutiert wird auf Englisch, jeweils mit Teilnehmenden aus den USA, aus Kanada, Mexiko und Deutschland. Wer nicht persönlich teilnehmen kann, findet die vier Panels auf der Website [des Goethe Instituts] zusammengeführt als Aufzeichnung.»
Der Leiter des Goethe Instituts in New York, Dr. Georg M. Blochmann, sagt zu MANNSCHAFT: «Hier ist [die Ausstellung] eine von mehr als 20 zum Stonewall-Jubiläum. Darüber hinaus gibt es in diesem Monat mehr als 400 Veranstaltungen zu Stonewall.» Natürlich findet Blochmann «seine» Ausstellung «die Avancierteste», was im Kontext von New York City absolut richtig ist, wegen der ungewöhnlichen Perspektiv(en), die den meisten Amerikanern nicht vertraut sein dürften und die hoffentlich zu einem neuen interkulturellen Dialog einladen.
Richtige Debattenkultur Man darf gespannt sein, ob es zur Ausstellung auch einen Katalog geben wird, der die vielen Dokumente – die in der Schau als Reproduktionen gezeigt werden – einer grösseren Öffentlichkeit zugänglich macht, kombiniert mit erklärenden Texten. Darauf angesprochen erklärt Georg Blochmann gegenüber MANNSCHAFT: «Einen Katalog wird’s nicht geben. Aber chezweitz haben ein kleines Fanzine in S/W gezaubert, damit man zumindest etwas mit nach Hause nehmen kann.»
MANNSCHAFT-Talk zu 50 Jahre Stonewall – Zeit für neuen Aufstand?
Die Zusammenarbeit mit dem Goethe Institut bezeichnet Bosold im Interview als «Traum»: «Überhaupt die Tatsache, dass so eine wichtige Institution eine Ausstellung über queere Bewegungsgeschichte initiiert, ist bemerkenswert. Dass man sie auf der ganzen Welt zeigen kann. Und dieses Konzept ist ja nicht eins, was wir uns im stillen Kämmerlein ausgedacht haben. Es gab ein intensives Hin und Her, da ist ein echter Austausch entstanden.» Zu dem Austausch sagt Klugbauer: «Es war eine richtige Debattenkultur. Und Debatten, die lieben wir ja.»
UMFRAGE: Bist du ein Pride-Tourist?
Das vollständige Interview mit Birgit Bosold und Carina Klugbauer findet sich hier.
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