Neue HIV-Zahlen in Deutschland: Nicht überall rückläufig

Bei schwulen und bisexuellen Männern sinken die Fälle, bei intravenös Drogen konsumierenden Menschen nicht

Bild: Anna Shvets, Pexels
Bild: Anna Shvets, Pexels

Es müssen Engpässe in der Drogenhilfe und bei der Versorgung mit der HIV-Prophylaxe PrEP beseitigt werden. Leicht erreichbare HIV- und HCV-Testangebote müssen ausgebaut werden.

Die Zahl der HIV-Neuinfektionen in Deutschland lag 2021 wie im Vorjahr bei 1800 Fällen. Rund 8600 Menschen wissen nicht, dass sie mit HIV leben, ein leichter Rückgang. Diese Zahlen hat das Robert Koch-Institut am Donnerstag in seinem Epidemiologischen Bulletin veröffentlicht.

Dazu sagt der Medizinreferent der Deutschen Aidshilfe (DAH), Dr. Axel Jeremias Schmidt, Arzt und Epidemiologe:

«Insgesamt besteht bei den HIV-Neuinfektionen seit 2007 ein rückläufiger Trend. Dass die Zahl der Neuinfektionen im Vergleich zum Vorjahr gleichgeblieben ist, darf nicht über die gegenläufigen Trends in verschiedenen Gruppen hinwegtäuschen, die dringend unsere Aufmerksamkeit benötigen.»

Folgende Entwicklungen gilt es in den Blick zu nehmen:

  • Die Zahl der HIV-Neuinfektionen bei schwulen und bisexuellen Männern liegt bei etwa 1’000 und geht weiter zurück, um rund 100 Infektionen gegenüber dem Vorjahr.
  • Auch die Zahl der unwissentlich HIV-positiven Menschen ist in der Gruppe MSM weiter zurückgegangen.
  • Die Zahl der HIV-Neuinfektionen bei intravenös Drogen konsumierenden Menschen im Jahr 2021 betrug 320 und ist seit 2010 gestiegen; seit 2019 blieb sie auf erhöhtem Niveau konstant. Auch die Zahl der Menschen ohne Diagnose ist in dieser Gruppe gestiegen.


Drogenhilfe stärken Die höhere Zahl der HIV-Neuinfektionen bei intravenös Drogen konsumierenden Menschen fällt zusammen mit einem Rückgang der verteilten sterilen Spritzen vor Ort. In der Konsumutensilien-Erhebung des Robert Koch-Instituts 2021 gaben mehr als ein Drittel der Drogenhilfe-Einrichtungen an, dass ihr Budget nicht für eine angemessene Versorgung ausgereicht habe.

Hintergrund ist ein faktischer Rückgang der Finanzierung von Drogen- und Aidshilfeeinrichtungen, da Kostensteigerungen seit Jahren nicht ausgeglichen werden. Diese Anlaufstellen sind häufig auch für HIV- und HCV-Testangebote zuständig.

Wir brauchen dringend eine solide Finanzierung!

Winfried Holz, Vorstand der Deutschen Aidshilfe, erklärt: «Die Vernachlässigung der Drogenhilfe in den Ländern und Kommunen wird sich in den nächsten Jahren in weiter steigenden Infektionszahlen niederschlagen und es werden wieder mehr infizierte Menschen ohne Diagnose bleiben. Unbehandelte Infektionen führen zu schweren Erkrankungen und weiteren Infektionen. Wir brauchen dringend eine solide Finanzierung!»

Spritzenvergabe zur Reduktion von Infektionen mit HIV und den Hepatitis-Erregern HBV und HCV unerlässlich. Die WHO empfiehlt die Ausweitung dieser Massnahme.



PrEP-Versorgung verbessern Der Rückgang der HIV-Neuinfektionen bei schwulen Männern verdankt sich vor allem immer mehr frühen Diagnosen und früherer medizinischer Behandlung – denn HIV ist unter Therapie nicht mehr übertragbar.

Hinzu kommt die Schutzwirkung der medikamentösen HIV-Prophylaxe (PrEP). Sie wird für Menschen mit einem erhöhten HIV-Risiko seit 2019 von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt. Das RKI stellt fest, dass noch nicht alle Menschen von dieser Schutzmethode erreicht werden, die dafür in Frage kommen. Zugleich gibt es in vielen Städten und Regionen Engpässe bei der Versorgung durch spezialisierte Praxen. Teilweise müssen Menschen lange Wartezeiten oder Fahrtwege in Kauf nehmen.

«Wer sich vor HIV schützen will, darf nicht warten müssen, sondern muss schnell und leicht Schutz bekommen! Wir brauchen eine flächendeckende, unkomplizierte Versorgung mit dieser hoch wirksamen Schutzmethode. Das bedeutet vor allem: mehr Ärztinnen und Ärzte, die sie verschreiben. Das Potenzial der PrEP ist bei weitem noch nicht ausgeschöpft, die Neuinfektionszahlen könnten weiter sinken», erklärt DAH-Vorstand Winfried Holz.

Weisse Flecken auf der deutschen Landkarte der PrEP-Versorgung werden immer offenkundiger. Ärzt*innen müssen sich aufwändig fortbilden, wenn sie die PrEP verschreiben wollen. Ausserdem droht der Wegfall der extrabudgetären Vergütung der PrEP-Versorgung, was Ärzt*innen davon abhalten könnte, die PrEP anzubieten.

Es muss ihnen leichter gemacht werden, die PrEP zu verschreiben. Die PrEP-Versorgung können zum Beispiel auch Hausarztpraxen mit übernehmen.

DAH-Medizinreferent Axel Jeremias Schmidt: «Es ist kontraproduktiv, Anreize für Ärztinnen und Ärzte aufzugeben, so lange noch eine Ausweitung der PrEP-Versorgung angezeigt ist. Es muss ihnen leichter gemacht werden, die PrEP zu verschreiben. Die PrEP-Versorgung können zum Beispiel auch Hausarztpraxen mit übernehmen. Die nötigen Fachkenntnisse lassen sich leichter erwerben als auf dem zurzeit vorgeschriebenen Weg.»

Nicht zuletzt sollten auch weiteren Gruppen der Zugang zur PrEP erleichtert werden, etwa in der reisemedizinischen Beratung für Menschen, die im Ausland sexuelle Kontakte haben.

Alle, die PrEP brauchen oder wollen, müssen auch Zugang bekommen. PrEP ist nicht nur für schwule Männer geeignet.

«Alle, die PrEP brauchen oder wollen, müssen auch Zugang bekommen», sagt DAH-Vorstand Winfried Holz. «PrEP ist nicht nur für schwule Männer geeignet.»

Testangebote ausbauen Noch immer wird in Deutschland ein Drittel der HIV-Diagnosen (etwa 800 von 2’400) erst gestellt, wenn bereits Aids oder ein fortgeschrittener Immundefekt aufgetreten sind – heute vermeidbare Folgen der HIV-Infektion. Das UNAIDS-Ziel für das Jahr 2025, dass 95% aller HIV-Infektionen diagnostiziert wurden, ist in Deutschland noch lang nicht erreicht: Etwa 10% der 90’800 Menschen mit HIV in Deutschland wissen noch nichts von ihrer Infektion.

Auch diese Zahl ist aber bei Männern, die Sex mit Männern haben, gesunken. Das zeigt: Massgeschneiderte Testangebote, etwa in den Checkpoints der Aidshilfen, funktionieren. Eine frühe Diagnose ermöglicht einen frühen Therapiebeginn – so werden auch weitere HIV-Übertragungen verhindert.

«Leicht erreichbare, diskriminierungsfreie Testangebote mit Anbindung an die Lebenswelten der besonders stark betroffenen Gruppen müssen dringend weiter ausgebaut werden – insbesondere für intravenös Drogen konsumierende Menschen», betont DAH-Medizinreferent Schmidt.

Im August hatte die DAH nach der 24. Internationalen Aids-Konferenz in Montréal weltweit stärkere Massnahmen gegen HIV gefordert (MANNSCHAFT berichtete). Aufgrund der schweren Rückschläge durch COVID-19 und der enormen Herausforderungen durch den Krieg in der Ukraine seien besondere Anstrengungen erforderlich.

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