Marlonish: «Ich fragte mich 1000-mal, ob etwas an mir nicht stimmt»
Heute sagt sich der Influencer: Das Problem haben die anderen
T-Shirts spezifisch für Männer, Hosen ausdrücklich für Frauen. Für den Influencer Marlon Schulte, besser bekannt als Marlonish, ergibt die Geschlechtereinteilung in der Mode keinen Sinn.
Auf Instagram zeigt der gelernte Journalist, Influencer und Aktivist: Männlichkeit darf auch anders aussehen. Der Kölner Marlon Schulte alias Marlonish ist für viele Menschen zum Vorbild geworden, das ihm selbst gefehlt hatte. Auf seinen Social-Media-Kanälen will er deutlich machen: Männlichkeit ist divers und soll unterschiedlich gelebt werden.
Durch Mode projizieren auf Instagram User*innen und Influencer*innen ein Stückweit die eigene Persönlichkeit. Dass wir von männlichen oder weiblichen Kleidungsstücken sprechen, ergibt für Marlon keinen Sinn: «Ich frage mich nicht, ob ein Kleidungsstück männlich oder weiblich ist — schon als Sechsjähriger trug ich Plateaustiefel von Buffalo.» Solche Aussagen sind für Marlon selbstverständlich, sie brechen aber mit den in der Gesellschaft etablierten Genderrollenbilder.
Eine queere Ausdrucksform der Männlichkeit als tagliche Herausforderung der Heteronormativität: «Es gab immer wieder Menschen, die meine Kleidung nicht gut fanden. Ab der 5. Klasse waren meine Mitschüler*innen sehr wertend. Täglich kamen Bemerkungen — ich wurde immer wieder als Schwuchtel beleidigt, geschupst oder angespuckt“. Trotz ständiger Homophobie zog Marlon sein Ding durch: «Für mich gab es nie die Option aufzuhören — auch wenn ich bewusstlos grün und blau am Boden liegen soll. Ich wollte mich nie ändern.»
Familie als Quelle für Mut und Selbstsicherheit Obwohl Marlon in der Schule einige Freund*innen hatte, die ihn verteidigten, war es seine Familie, die seinen frühen Selbstwillen ermöglichte. Er bezeichnet seine Eltern als wichtigste Stütze und als Grund für seine Selbstsicherheit, trotz ständiger Erniedrigungen in der Schule. «Meine Eltern haben mich immer unterstützt. Sie akzeptierten mich so wie ich bin — sonst hätte ich es nicht ausgehalten.»
«Für meine Eltern war es ganz normal, dass ich schwul bin. Diese Selbstverständlichkeit hat dazu geführt, dass ich mich nie fragen musste, ob ich für meine Familie okay bin». Dementsprechend war Marlons Coming-out etwas anders als üblich: «Ich habe einmal gesagt, dass ich mit einer Person eine Beziehung habe. Im Gespräch spielte das Geschlecht keine Rolle.»
Männlichkeiten statt Männlichkeit Viele queere Menschen üben sich früh in Selbstreflexion. Der Grund: Sie müssen ihre Sexualität, ihr Verhalten und/oder ihre Geschlechtsidentität hinterfragen. Marlon ist keine Ausahme: Aufgrund seines Modegeschmacks — und die Reaktionen, die seine Kleidungswahl in anderen verursachten, setzte er sich mit seiner Genderidentität auseinander: «Ich fragte mich tausend Mal, ob etwas bei mir nicht stimmt. Heute denke ich: das Problem haben die anderen». Marlon identifiziert sich als Mann und er fühlt sich männlich. Was ihm dabei wichtig ist: Er spricht nicht von Männlichkeit, sondern von Männlichkeiten — in Mehrzahl.
Mehrzahl, weil das männliche Rollenbild einem engen Korsett gleicht — das mache dieses Rollenbild toxisch, so Marlon: «Laut der Wissenschaft gibt es toxische Männlichkeit. Diese Rollenbilder tun den Männern nicht gut — Körper, Frauen, Geld, Gewalt: Das kann alles toxisch sein. Es sind toxische Rollenbilder, die beispielsweise zu mehr Suizid führen.» Tatsächlich führen diese Rollenbilder dazu, dass Männer in Gefängnissen und in der Suizidstatistik überrepräsentiert sind.
Jahrelang im Gym abgerackert Genderrollen werden nicht nur durch spezifische Kleidung, Redewendungen oder ein bestimmtes Verhalten charakterisiert. Ob wir männlich, weiblich oder androgyn gelesen werden, hänge auch mit unserem Körperbau zusammen, so Marlon. In der Vergangenheit habe er viel trainiert, um eine «männlichere Statur» zu bekommen. «Ich habe jahrelang versucht, meinen Körper zu verändern. Früher rackerte ich mich im Gym ab. Ich wollte unbedingt Masse aufbauen, doch das ging bei mir nicht. Ich realisierte, dass mein Körper so ist, wie er ist und ich muss ihn entweder akzeptieren oder ich mache ihn kaputt. Also: Mein Körper, meine Regeln.“
Ein bestimmter Körperbau, Gewalt, Sex oder Emotionslosigkeit: Dieses enge Rollenbild, mit dem viele Männer erzogen werden, könne man durchbrechen, ist Marlon überzeugt. Wichtig ist hier: Was als weiblich gilt, solle nicht als etwas Schlechtes aufgenommen werden. Schliesslich sei alles, was nicht unter der Definition des Männlichen fällt, automatisch weiblich. «Männer müssen verstehen: feminin zu sein ist nichts Schlechtes. Femininität kann männlich sein», sagt er. «Meine Traumvorstellung ist, dass alle selbst entscheiden können, was sie möchten.» Das sei nicht einfach, schliesslich müsse man oft den Erwartungen seines Umfelds gerecht werden, darunter Familie, Freund*innen, Vorgesetzt, Arbeitskolleg*innen und Liebespartner*innen.
Für Marlon ist klar: Sich zu verstellen, nur um einen potenziellen Date zu gefallen, kommt nicht in Frage: «Ich selbst finde es attraktiver, wenn sich jemand so zeigt, wie er*sie ist. Wer zu sich steht, wirkt selbstsicherer.»
Alte Rollenbilder halten sich zwar hartnäckig, doch sie sind im Umbruch: Immer mehr Menschen zeigen ihre Queerness in der Öffentlichkeit und inspirieren andere, sich auszudrücken. Marlon hofft, dass die neuen Männlichkeiten nicht nur vielfältiger werden, sondern eines Tages auch auf breite Akzeptanz stossen.
In der Modewelt wird das Spiel mit den Geschlechterrollen nach und nach immer grösser. Beispiel: Nagellack für Männer (MANNSCHAFT berichtete)
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