Jonny Fischer: «In der Öffentlichkeit galt ich als Frauenheld»

Auf der Bühne durfte Jonny Fischer lange nicht zu seiner Sexualität stehen

Jonny Fischer wollte selbst lange nicht schwul sein. (Bild: SRF/Mirco Rederlechner)
Jonny Fischer wollte selbst lange nicht schwul sein. (Bild: SRF/Mirco Rederlechner)

Auf der Bühne reisst das Cabaretduo Divertimento Witze. In seiner Kindheit gab es für Jonny Fischer jedoch nicht viel zu lachen: Er wuchs in einer christlich-fundamentalistischen Familie auf. In einem neuen Buch verarbeitet der Comedian seine Vergangenheit.

Am 16. September erschien die Biografie von Jonny Fischer mit einem Jahr Verspätung. Der Comedian und eine Hälfte von Cabaret Divertimento spricht im Interview über sein spätes Coming-out, die Ehe für alle, Konversionstherapien, Religion und wie er gelernt hat, Dinge einfach anzunehmen, wie sie nun mal sind. Zudem verrät er, was er isst, wenn niemand hinschaut und von welchem Parfüm sein Mann wünscht, dass er es aufträgt.

Jonny, «Ich bin auch Jonathan», das Buch über dein Leben, erscheint am 16. September in den Läden. Wie nervös bist du? Schon ein bisschen nervös. Es ist wie ein zweites Coming-out: Man steht zu Dingen, die die Leute da draussen von mir nicht wissen und ich weiss nicht, wie sie reagieren werden.

Nach der Lektüre hatte ich das Gefühl, du seist dauergestresst, könntest aber schlecht Nein zu etwas sagen. Was würdest du jetzt in diesem Moment tun, wenn du nicht gerade mit mir sprechen würdest? (Lacht.) Wahrscheinlich würde ich am See sitzen, ohne Musik in den Ohren, ohne zu lesen und ohne Social Media…

Keine Termine, die du wahrnehmen müsstest? Doch, doch – 24 Medientermine zum Beispiel. Aber wenn man etwas gerne macht, dann geht es. Der Abschluss dieses Buchprojekts nun ist schwierig und kräfteraubend, das stimmt. Aber es ist ja auch ein Privileg.

jonny fischer
jonny fischer

Ich habe dein Buch in einem Zug gelesen; deine Geschichte hat mich so gepackt. Ich habe mit dir gelitten, mich mit dir gefreut und mich auch über dich geärgert. Vor allem darüber, dass du deinen fundemental-christlichen Eltern nicht mal die Leviten gelesen, beziehungsweise den Kontakt abgebrochen hast. Hättest du dich ohne sie nicht viel freier gefühlt? Ich kann diese Frage gut verstehen. Rückblickend gesehen: ja. Ich habe mich unheimlich spät geoutet, was schade ist. Und ich habe spät mit Menschen gebrochen, die mich gebremst haben. Nun versuche ich aber so zu leben, dass ich abends jeweils zu mir sagen kann: Das war ein toller Tag. Ein Tag, an dem ich voll und ganz zu mir gestanden bin.

Über weite Strecken im Buch haderst du mit dem christlichen Gott, kannst dich aber nicht wirklich von ihm lossagen. Gegen Schluss kommt dann aber das Universum ins Spiel, dem du auch für alles dankst. Hat das Universum Gott abgelöst? Und was bedeutet das genau für dein Leben? Mir fällt so vieles in den Schoss, wofür ich nichts kann. Dass ich hier sein darf zum Beispiel, dass ich schöne Hände habe oder auf Männer stehe. In den letzten acht, neun Jahren ist mir bewusst geworden, dass es da in der Tat etwas gibt, das für mich schaut und einen Plan für mich hat. Wenn man sich selbst gerne hat, dann ist man diesem Etwas am nächsten…

Du hast dich im Lehrerseminar bei allen mit einem Brief geoutet, warum war dir das so wichtig? Ich hatte zwei Coming-outs. Eines mit 22 bei meinen Mitstudierenden und Freund*innen. In der Öffentlichkeit galt ich noch lange als Frauenheld.

Genau, das Divertimento-Publikum durfte anfangs nicht wissen, dass du schwul bist. Warum hast du das mitgemacht? Ich war lange selbst kein Fan davon, schwul zu sein. Ich dachte, vielleicht begegne ich ja doch noch einer Frau, die zu mir passen und ich so nicht aus dem Raster fallen würde. Auf der Bühne spielte ich die Liebesgeschichte mit Fabienne glaubwürdig. Unser damaliges Management war auch der Ansicht, dass unsere vielen weiblichen Fans wegen uns als Männer in unsere Shows kamen. Im Nachhinein kann ich auch nicht mehr sagen, warum ich das bis 32 durchgezogen habe.

Homosexualität ist genauso ein Geschenk, wie alles andere auch.

Im Buch spricht die Autorin über deine Heirat und Beziehung mit Michi, so als ob es die Ehe für alle schon gäbe. Wie wichtig ist dir persönlich, dass am 26. September das Schweizer Stimmvolk Ja zur Ehe für alle sagt? Meine Haltung ist klar: Sehr wichtig. Allerdings bin nicht ein Mensch, der an der Front oder in Politsendungen am Fernsehen für eine Sache kämpft. Mir ist wichtig, dass ich heute so lebe, wie ich wirklich bin und somit allen sage, dass meine Art genauso normal und gleichwertig ist. Das braucht manchmal Mut, denn es gibt nicht nur Fans. Die Schweiz hinkt in gesellschaftlichen Fragen oft etwas hinterher – ich hoffe, dass das Ende Monat korrigiert wird.

Wirst du eure Partnerschaft in eine Ehe umwandeln lassen? Ja, das werden wir tun.

An einigen Punkten im Buch befürchtete ich, dass du dich einer Konversionstherapie unterziehen würdest. Hast du das jemals in Erwägung gezogen? Nein, ich habe ja vieles gemacht, aber nein, das zum Glück nicht.

In der Schweiz laufen Bestrebungen, Konversionstherapien gesetzlich verbieten zu lassen. Deine Meinung dazu? Homosexualität ist genauso ein Geschenk, wie alles andere auch. Ich finde es problematisch, wenn man einen Menschen in seinen Grundzügen zurechtbiegen möchte. Das habe ich am eigenen Leib erlebt und das ist wirklich negativ. Natürlich würde ich für ein solches Verbot stimmen.

Wegen Corona war in den letzten Monaten kaum was los und ihr hattet keine Auftritte mehr. Im Buch sprichst du auch immer wieder über materielle Existenzängste. Wie schlimm war die Zeit für Divertimento und für dich? Alle hatten in dieser Zeit einen bestimmten Rucksack zu tragen. Ich habe in den letzten drei Jahren gelernt, Sachen anzunehmen und nicht immer Schuldige zu suchen. Klar, anfangs war die Coronazeit schwierig, weil niemand wusste, wie es weitergehen sollte. Doch dann haben wir uns entschieden, dass wir die Situation annehmen und nicht jammern werden. Und prompt öffneten sich verschiedene Türchen – Projekte mit SRF beispielsweise. Seit zwei Wochen spielen wir nun wieder und ich muss sagen: Das sind die besten Shows ever! Nicht nur wir brennen darauf, auf der Bühne zu stehen, auch das Publikum ist Feuer und Flamme. Einfach toll.

Dein Buch hätte schon vor einem Jahr erscheinen können. Warum kommt es erst jetzt? Die Leute hätten doch im Lockdown gut Zeit gehabt, es zu lesen… Das haben wir auch gedacht, doch es gab zwei Punkte, die dagegensprachen. Wir haben das Buch letzten Sommer allen Personen, die darin vorkommen, zum Lesen gegeben. Danach mussten wir mehr korrigieren, als wir ursprünglich gedacht hatten. Gerade Passagen bei denen es um meine Mutter, meinen Mann oder meinen Bühnenpartner Manu ging – da war es mir wichtig, dass die für alle stimmig sind. Und zum Zweiten: Wir hätten keine Lesetour machen können…

Wird es nun Lesungen mit dir geben? Ja, im Januar. Bis Ende Jahr spielen wir nun die Divertimento-Ersatzveranstaltungen und bevor es im Februar wieder mit Divertimento weitergeht, ist eine Lesetour durch die Schweiz geplant.

Jonny Fischer über sich selbst

Abgesehen von deinem eigenen, welches Buch sollte man unbedingt gelesen haben? «Ein perfekter Kellner» von Alain Claude Sulzer. Mir gefällt die bildreiche, hühnerhautauslösende Sprache und es ist eine der schönsten Liebesgeschichten, die ich je gelesen haben.

Wonach duftest du am liebsten? Nach dem, was mein Mann passend für mich findet. Im Moment ist das «Genua» von Paglieri.

Was isst du, wenn keiner hinschaut? Fertigpizza mit viel, viel zusätzlichem Mozzarella. Wenn ich mal alleine zu Hause bin, öffne ich eine Flasche Wein und esse so eine eklige Fertigpizza.

Was macht dich nostalgisch? Der Geruch eines italienischen Marktes.

Was bringt dich ins Grübeln? Wenn ich merke, dass ich neben den Schuhen stehe.

ich bin auch jonathan
ich bin auch jonathan

«Ich bin auch Jonathan: Jonny Fischer – Die Geschichte einer Versöhnung» ist im Wörterseh Verlag erschienen (240 Seiten + 32 Seiten Bildteil; ISBN 978-3-03763-131-7)

Zum Buch: Jonny wurde 1979 als Jonathan Fischer im basellandschaftlichen Läufelfingen geboren. Seiner Familie waren selbst Freikirchen zu wenig radikal und so gründeten die Eltern kurzerhand eine eigene Kirche. Obwohl Jonny bereits in Jugendjahren – mit Pauken und Trompeten – aus der Familienkirche ausgetreten war, schaffte er es nie ganz, sich von der Vorstellung eines strafenden Gottes und auch von seinen Eltern zu lösen. Lange Zeit schickte er ihnen sogar den Zehnten seines Lohnes, um nicht den Zorn Gottes auf sich zu ziehen. Auch dann noch, als Jonny schon lange mit Manu, den er im Lehrerseminar Zug kennengelernt hatte, als Comedyduo «Divertimento» unterwegs war und zwar von Anfang an äusserst erfolgreich.

In «Ich bin auch Jonathan» zeichnet die Journalistin Angela Lembo-Achtnich Jonnys Lebensgeschichte nach. Geht mit ihm auf Tuchfühlung und schafft es, ein ganz sanftes Porträt eines zerbrechlichen Jonnys zu zeichnen. Der vermeintliche starke Jonny des Rampenlichts litt unter Einsamkeit, ertränkte seine Sorgen gerne im Alkohol, flüchtete sich in die Arbeit oder in die Körperertüchtigung und stiess sein Umfeld eins ums andere Mal mit seinen unkontrollierten Wutausbrüchen vor den Kopf. Der Planungs- und Kontrollfreak Jonny hat aber auch ganz weiche und einfühlsame Seiten, wie die Biografie deutlich zeigt. Lembo-Achtnich hat Jonny und seine Wegbegleiter*innen über ein Jahr lang begleitet.

In ihrem Buch nutzte sie verschiedene Erzählformen, und macht immer wieder Zeitsprünge. Das ist mit der Zeit zwar ermüdend und inhaltlich manchmal etwas repetitiv. Dennoch ist es ihr gelungen, Jonnys Geschichte in einem packenden und erkenntnisreichen Buch zu Papier zu bringen.

Beim Verlag Wörterseh erhalten MANNSCHAFT-Leser*innen das Buch «Ich bin auch Jonathan» mit dem Codewort mm2021jf zum Spezialpreis von Fr. 31.90 statt Fr. 36.90 (inkl. Porto und Verpackung).

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