«Hinterlader» und «böse Afteröffnung»: AfD-Chats über Schwule

Martin Reichardt, Landeschef der AfD (Foto: Peter Gercke/dpa-Zentralbild/dpa)
Martin Reichardt, Landeschef der AfD (Foto: Peter Gercke/dpa-Zentralbild/dpa)

Mehr als 40.000 interne Chat-Nachrichten, die NDR und WDR exklusiv vorliegen, enthüllen ein desolates Selbstbild und radikales Gedankengut der ersten AfD-Bundestagsfraktion.

Demnach stellen sich Teile der Fraktion selbst ein schlechtes Zeugnis aus und sehen sich als strategielosen «Chaosladen». Einige der Abgeordneten bezeichnen Deutschland als «Unrechtsstaat», Angela Merkel als «Volksverräterin» und sie erwarten in Deutschland bürgerkriegsähnliche Zustände.

Die Chats, die NDR und WDR von einem Whistleblower zugespielt wurden, stammen aus der streng vertraulichen internen Chatgruppe der ersten AfD-Bundestagsfraktion. Mindestens 76 der 92 AfD-Abgeordneten schreiben in der Gruppe bis nach der Bundestagswahl 2021 regelmässig.



Regelmässig werden auch Politiker*innen anderer Parteien in der «Quasselgruppe» mit üblen Beschimpfungen bedacht. Als der offen homosexuelle CDU-Politiker Jens Spahn kurzzeitig in den Medien als möglicher neuer Verteidigungsminister gehandelt wird, heisst es: «Oh gut, wieder eine Verteidigungsministerin“. Und kurz darauf: «Bei Spahn hätte die Bundeswehr wieder auf Hinterlader umgestellt …». Der damalige Staatsminister Michael Roth, Mitglied der Bundesregierung, sei ein «ekelhafter Wicht», oder SPD-Politiker Johannes Kahrs eine «radikal böse Afteröffnung».

Im Rahmen der Fussball-EM 2021 nannte AfD-Mann Uwe Junge die Regenbogen-Kapitänsbinde von Manuel Neuer eine «Schwuchtelbinde» (MANNSCHAFT berichtete).

Zwei Jahre, nachdem die AfD mit 12,6 Prozent der Wählerstimmen in den Bundestag eingezogen ist, mehren sich in der Chatgruppe Stimmen wie diese: «Uns fliegt langsam die Partei unterm Arsch weg, die gegründet wurde, um unser Land zu schützen!» oder: «Was fremdschämen angeht, bin ich durch die Partei extrem belastbar geworden.» Etwa neun Monate vor der Bundestagswahl 2021 postet Parteivorstand Joana Cotar, die damals gegen Alice Weidel um die Spitzenkandidatur für die Wahl ringt: «EINMAL in die gleiche Richtung ziehen. Das wärs. Die Wähler haben keine Ahnung, was sie erwartet, wenn sie AfD wählen …» Ihre harte Kritik an der auch heute amtierenden Fraktionsführung unterstreicht Cotar jetzt im Interview mit NDR/WDR: «Es ist generell die fehlende Führung in der Fraktion, der Mut, auch mal durchzugreifen und sich unbeliebt zu machen.»

Auch andere greifen in der Chatgruppe die Fraktionsführung heftig an: Es handele sich um einen «Schlafwagenvorstand», der nichts hinbekomme.

Die Fraktionsvorsitzende Alice Weidel wird von Fraktionskollegen auch namentlich angegriffen: «Frau Weidel kann offenbar Prioritäten setzen, aber nur wenn es um ihren eigenen Kopf geht.» Weidel war kein Mitglied der Chatgruppe.

Im Interview mit NDR und WDR sagt Weidel: «Wenn Sie in der AfD in der ersten Reihe stehen, ist das völlig normal. Das berührt mich nicht.“ Unzufriedene gebe es immer. «Da müssen die sich überlegen, ob sie sich vielleicht ein anderes Hobby suchen, anstatt ihre Zeit zu vergeuden, permanent in Chats reinzuschreiben. Da würde ich mir mehr Einsatz in der parlamentarischen Arbeit wünschen.»

Die Ratte Merke gehört lebenslang in den Knast.

Die vertraulichen Posts der Bundestagsabgeordneten enthalten auch zahlreiche radikale, rassistische und verächtlich machende Äusserungen: «Die Ratte Merkel an der Spitze! Diese Volksverräterin gehört lebenslang in den Knast!“ Auch deutliche Umsturzrhetorik findet sich in der Gruppe: «Wir müssen wohl warten, bis das alte Regime wirtschaftlich ans Ende kommt und der Funke aus Österreich, Italien, Frankreich usw. überspringt. Das wird kommen und für die dann ebenfalls kommenden gnadenlosen Kämpfe müssen wir uns rüsten (…).» Auf Nachfrage sagt Alice Weidel, dass solche Äusserungen für sie inakzeptabel seien. Hätte sie davon Kenntnis gehabt, wäre sie dagegen vorgegangen.

Auch die jahrelangen parteiinternen Lagerkämpfe zwischen dem rechtsextremen Flügel und den Gemässigteren ziehen sich durch die Chatgruppe. Ein Abgeordneter fragt: «Wir brauchen eine Richtungsentscheidung. Wollen wir eine national-sozialistische oder eine freiheitlich-konservative Partei sein…» Und ein anderer: «Da müssen wir uns SELBST die Frage stellen, ob wir erwiesene Nazis in der Partei und dann auch noch in führenden Positionen haben wollen. Ich will das nicht. Die Ideologie und den Führerkult, die Höcke und Kalbitz vertreten, lehne ich zutiefst ab.»

Als im Frühjahr 2020 der Verfassungsschutz den damaligen «Flügel» als erwiesen extremistische Bestrebung einordnet, schreibt Joana Cotar: «Es wundert mich nicht, dass das jetzt so kommt. Wir haben zu spät den Stecker gezogen. (…) der Flügel hat es dem VS viel zu einfach gemacht.» Damit konfrontiert, sagt Cotar gegenüber NDR und WDR, dass sie sich von der Parteispitze «eine klare Ansage“ gewünscht hätte «das geht so nicht, ihr schadet damit allen».

Kürzlich flog die AfD wieder aus dem Kieler Landtag (MANNSCHAFT berichtete).

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