Georgien und Moldau jetzt «sichere Herkunftsländer»

Der Queer-Beauftragte der Bundesregierung distanziert sich von dem Beschluss

Sven Lehmann (Foto: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa)
Sven Lehmann (Foto: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa)

Der Bundestag hat Georgien und Moldau als sichere Herkunftsstaaten eingestuft. Wenn sich der Bundesrat dem Parlamentsbeschluss vom Donnerstag anschliesst, können Asylbewerber aus den beiden osteuropäischen Ländern künftig einfacher abgewiesen werden.

Der SPD-Abgeordnete Helge Lindh sprach in der abschließenden Plenardebatte von einem wirksamen und legitimen Mittel, um irreguläre Migration zu reduzieren. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) geht davon aus, dass Rückkehrern in Georgien und Moldau in der Regel weder Verfolgung noch unmenschliche Behandlung droht.



Sven Lehmann, der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, distanzierte sich von dem Beschluss. Er selber habe diesem Gesetz nicht zugestimmt. Am Abend veröffentlichte er eine persönliche Erklärung:

«Heute hat der Deutsche Bundestag über einen Gesetzentwurf der Bundesregierung abgestimmt, mit dem Georgien und die Republik Moldau als sog. ‹sichere Herkunftsstaaten› eingestuft werden. Diesem Gesetzentwurf habe ich nicht zugestimmt, da dieses Vorhaben weder mit meinem Gewissen noch mit meinem Amt als Queer-Beauftragter der Bundesregierung vereinbar ist. Länder, in denen Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans und inter sowie andere queere Menschen (LGBTIQ) nicht ausreichend geschützt werden, dürfen nicht als sicher gelten.»

Das Bundesverfassungsgericht hat 1996 geurteilt, dass für die Bestimmung eines Staates zum «sicheren Herkunftsstaat» Sicherheit vor politischer Verfolgung landesweit und für alle Personen- und Bevölkerungsgruppen bestehen muss. In der EU-Richtlinie 2013/32/EU heisst es, dass das Konzept des sicheren Herkunftsstaates nur dann anwendbar ist, wenn sich die zuständigen Behörden davon überzeugt haben, dass für eine Person, die um internationalen Schutz nachsucht, in dem betreffenden Herkunftsstaat keine Gefährdung von Leben und Freiheit aus Gründen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe besteht.

Massstab für die Einschätzung eines Verfolgungsrisikos sei ein offenes und geoutetes Leben, so Lehmann. Das sei für LGBTIQ als soziale Gruppe in Georgien und Moldau nicht möglich.



Im georgischen Tiflis wurde in diesem Jahr erneut ein Pride-Festival von Nationalisten gestürmt und verwüstet (MANNSCHAFT berichtete). Die Sicherheitsbehörden kamen ihrem Schutzauftrag nicht nach. Der georgische Staat hat mehrmals gezeigt, dass er nicht in der Lage ist, LGBTIQ ausreichend vor nichtstaatlicher Verfolgung zu schützen. Stattdessen beteiligen sich Teile der Regierung sogar an der Hetze. Zudem seien Teile des Landes von Russland kontrolliert. Georgien erfülle nicht die Kriterien eines «sicheren Herkunftsstaats» – weder für LGBTIQ noch für andere Minderheiten. Diese Einschätzung werde von dem weltweiten LGBTIQ-Dachverband ILGA geteilt und finde sich auch in mehreren Urteilen deutscher Verwaltungsgerichte. Erst im April 2023 habe Belgien Georgien daher von seiner nationalen Liste sicherer Herkunftsstaaten gestrichen.

Ich hoffe, dass sich die rechtliche Anerkennung und gesellschaftliche Situation für LGBTIQ in Georgien und Moldau durch eine EU-Beitrittsperspektive verbessert.

«Ich hoffe sehr, dass sich die rechtliche Anerkennung und gesellschaftliche Situation für LGBTIQ in Georgien und Moldau durch eine Beitrittsperspektive zur Europäischen Union verbessern wird», so Lehmann,

Generell sei das Konzept der «sicheren Herkunftsstaaten» problematisch, besonders für Minderheiten wie LGBTIQ. Ihre Chancen auf ein faires Asylverfahren sänken, weil ihre Anträge in der Regel als «offensichtlich unbegründet» abgelehnt werden. Ihre Asylverfahren würde auch prioritär bearbeitet, die zu setzende Ausreisefrist verkürze sich auf eine Woche, auch eine Klage sei innerhalb einer Woche zu erheben und habe keine aufschiebende Wirkung.

Die Antragstellenden müssten in der Erstaufnahmeeinrichtung verbleiben. All das führe dazu, dass für sie der Zugang zu unabhängiger Rechtsberatung sehr eingeschränkt sei. Gerade geflüchtete LGBTIQ brauchten aber Zeit, um sich gegenüber staatlichen Behörden zu outen und ihre Fluchtgründe vorzubringen. Mit der Einstufung als «sichere Herkunftsstaaten» verschlechtere sich folglich die Chance auf ein faires Asylverfahren für LGBTIQ-Geflüchtete aus Georgien und Moldau. «Dies macht eine Zustimmung für mich nicht möglich», so der Grünen-Politiker.

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