Flucht und verbotene Liebe im «Ring des Nibelungen»
Richard Wagner und die Frage: Fliehen oder weiterreisen?
Ein Konzertflügel mit gusseisernem Rahmen als tragendem Element und dem Resonanzboden als Startrampe ungezügelter Ideen, bildet bei Stefan Herheim den zentralen Ort seiner Inszenierung des «Ring des Nibelungen» an der Deutschen Oper Berlin. Darüber hinaus beherrscht eine umfängliche Kofferlandschaft die Szenerie.
Eine Rezension von Thomas Petersen
Geflüchtete und Reisende sind sie allesamt, die die Bühne bevölkern (Bühne: Silke Bauer). Angefangen beim Komponisten selber, der mal martialisch mal verzweifelnd die Klaviatur bearbeitet und den Zuschauenden den Eindruck vermittelt, beim eigentlichen Schaffensprozess live dabei zu sein. Und natürlich seine Protagonist*innen, die kommen und gehen und in ihren Beziehungen zueinander und vor allem gegeneinander, alle menschlichen Gemeinheiten, die wir so kennen, genüsslich praktizieren. Wer will da nicht lieber gleich fliehen oder einfach weiterreisen? Wir jedenfalls nicht: So stellen wir uns den Abgründen, die auf uns warten.
Das Rheingold beginnt mit einem Versprechen. Der unattraktive Alberich wird von den Rheintöchtern in umgekehrter #Metoo-Manier blossgestellt und raubt ihnen dafür das Gold. Die Götter erschleichen sich ihren Fluchtpunkt – die Burg – mit falschen Versprechungen und werden zur Strafe ausgerechnet von einem dem Ihren, nämlich Loge ausgetrickst. Alberich, dem der Schatz dadurch wieder abhandenkommt, verflucht das Gold und seine Besitzer. Von da an geht’s eigentlich nur noch bergab.
In der Walküre kommt Sigmund als rastloser Flüchtling in Hundings Haus und sucht einfach erst einmal nur Schutz. Was er findet, sind zwei Extreme: Die Feindschaft Hundings und die Liebe Sieglindes, die sich darüber hinaus auch noch als die von ihm vor langer Zeit getrennte Schwester erweist. Das Siegmund Sieglinde lieben könnte, übersteigt der Göttin Frickas Toleranzgrenzen erheblich und sie zwingt ihren Ehemann Wotan in bester Gattinnenmanier, als Gott dafür Sorge zu tragen, dass dem ein Ende bereitet wird. Eine Flucht der beiden Liebenden scheint möglich. Sie gelingt aber nur halb, was Siegmund letztendlich den Tod bringt und nur noch die schwangere Sieglinde von den Walküren vor Wotans Zorn gerettet werden kann.
Nachdem Wotan Brünnhilde zur Strafe auf eine innere Einkehr mithilfe eines feuerbewehrten Felsen verbannt hat, kommt Siegfried (Sohn von Siegfried und Sieglinde) auf seiner Reise hinaus aus der Pubertät zu Brünnhilde und flieht sich gleich ohne Umwege in brünstige Liebe. Brünnhilde kommt da schon etwas erwachsener daher und wehrt sich erst mit Kräften, kann aber der strotzenden Männlichkeit des Jünglings letztendlich auch nicht entfliehen.
In der Götterdämmerung treffen dann alle verbliebenden Protagonist*innen in seltsam deprimierter Verfassung aufeinander. Sie scheinen selber noch nicht so genau zu wissen scheinen, wie es weitergehen soll. Die in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft blickenden Nornen wissen das schon besser. Machtgier und Intrigen, das haben wir mittlerweile gelernt, beherrschen ja nicht nur die Götter in Perfektion. So kommt es – nicht überraschend – zu einem Desaster, bei dem das ganze Kartenhaus einstürzt. Der Fluch Alberichs erfüllt sich und die Rheintöchter erhalten ihr Gold zurück.
Richard Wagner schreibt am Ende zwar noch einen Hoffnungsschimmer der Erlösung in die Partitur, aber ob es beim nächsten Mal besser könnte, darf gehörig bezweifelt werden… Irgendwie greift auch hier die alte Weisheit, dass alles unmenschlich Verheerende was möglich ist, leider auch irgendwann in die Tat umgesetzt wird. Bleibt einzig die Frage: fliehen oder einfach weiterreisen? Und wenn wir nicht bleiben können oder wollen, wohin zieht es uns dann? Angesichts der aktuellen Weltlage, fällt mir – ehrlich gesagt – kein passender Ort ein.
Stefan Herheim inszeniert diese Tour de force rasant und packend mit sehr stimmigen und teilweise berückenden Bildern. Abgesehen von ein paar spleenigen Ideen, wie Sieglindes und Hundings imaginärer Sohn Hundingling, gelingt es Herheim, wie so oft, klare Kante zu zeigen und die Zuschauenden bei der Stange zu halten, ohne übermässig viele Klischees zu bedienen, oder sich in wildesten, persönlich gefärbten Phantasien zu verlieren. Solisten, Chor und Orchester der Deutschen Oper unter Donald Runnicles sind wie gewohnt superb.
Ab Mitte Mai auf Marquee-TV und bereits jetzt bis Mitte Juli in der ARD-Mediathek verfügbar. Auf DVD und BluRay erscheint der «Ring des Nibelungen» dann bei Naxos im kommenden Herbst.
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