Einst Domäne von Pornostars: Warum der Oberlippenbart Oberwasser hat
«Warum hat jeder Mann, der Ihnen ins Auge fällt, einen Schnurrbart?»
Männer mit Moustache: ESC-Acts, Filmfiguren, junge Kerle von nebenan tragen wieder Schnäuzer. Warum gilt der lange belächelte Schnauz im Jahr 2024 als sexy? Und welchen Typ bevorzugen Style-Experten?
Von Gregor Tholl, dpa
Bismarck, Wilhelm II., Hitler: Die deutsche Geschichte ist voll von Mächtigen mit Oberlippenbart. Doch diese Männer von gestern dürften kaum der Grund sein, warum das kleine Bärtchen über dem Mund nach Jahren des Hypes um den Hipster-Vollbart derzeit wieder angesagt ist. Warum ist das so?
Junge Kerle lassen sich 2024 gern Oberlippenflaum stehen, auch Popstars fallen damit auf, etwa der amerikanische Nummer-eins-Hit-Popsänger Benson Boone (21, «Beautiful Things») und die wilden Twens und Eurovision-Song-Contest-Favoriten Joost Klein aus den Niederlanden («Europapa») und Baby Lasagna aus Kroatien («Rim Tim Tagi Dim») (zu allen ESC-Acts 2024).
«Ich finde, dass ein Bart oft attraktiver aussieht als ein ganz glattes Gesicht, insbesondere bei sonst eher weichen Konturen wie bei mir», sagt der Mittvierziger Jan aus Hamburg. «Andere Bartformen als ein Moustache funktionieren bei mir aber nicht», meint er. «Die sehen bei meinem sehr spärlichen Wuchs albern aus.»
In den 80ern war der Chevron-Bart (ein breiter Streifen, der die gesamte Oberlippe bedeckt und zum Mund hin abgewinkelt ist) en vogue – und ein Inbegriff von (chauvinistischer) Männlichkeit: Man denke an «Magnum»-Serienstar Tom Selleck, Queen-Frontmann Freddie Mercury, Hollywood-Star Burt Reynolds oder «Schimanski»-Darsteller Götz George.
Auf der anderen Seite galten Fussballer mit Schnäuzer oder der Schriftsteller Günter Grass mit seinem Walrossbart nicht gerade als Herren mit dem coolsten Look. Im Klischee war der Schnäuzer zudem hauptsächlich Döner-Verkäufern oder französischen Kellnern vorbehalten.
Ein Schnauzbart kann sehr verschieden wirken: von der sympathischen Serienfigur «Ted Lasso» (Jason Sudeikis) bis zum durchtriebenen Drogenbaron Pablo Escobar. Es gibt ausserdem Schnurres-Träger wie «Bares für Rares»-Kopf Horst Lichter und Ex-Höhner Henning Krautmacher oder einst den gezwirbelten Bleistiftbart bei Salvador Dalí.
Der Schauspieler Tobias van Dieken trug neulich einen sogenannten Respektbalken in seiner Rolle als Nudist und Kleingärtner im Münster-«Tatort». Da fungierte der auffällige Bart quasi auch als Statement – als Symbol für einen selbstbewussten Typ von nebenan.
In jüngerer Zeit fielen etwa die Rapper Apache 207 und Lil Nas X mit Oberlippenbart auf, der DJ und Musikproduzent Purple Disco Machine, Dschungelcamp-Liebling Fabio Knez sowie Film- und Serienstars wie Paul Mescal, Jude Law, Ewan McGregor, Johnny Depp, Jacob Elordi und Florian David Fitz. Auch Stil-Ikone Harry Styles zeigte sich schon mal mit Schnauz. Bei vielen Promis ist er jedoch nur ein Kurzzeitphänomen und schnell wieder wegrasiert.
Lächerlich statt lässig auszusehen, ist eine weitverbreitete Angst im Kontext vom Schnäuzer, der manchmal verächtlich auch Rotzbremse, Pornobalken oder Schenkelbürste genannt wird.
In jüngeren Generationen gilt der sogenannte Schnurri jedoch keineswegs als «cringe», sondern als sexy – egal, ob man Männer oder Frauen, Heteros oder Homos fragt. Beliebt ist auch der Stubble Moustache (Stoppelbart/Dreitagebart mit Schnäuzer). Der Oberlippenbart hat also Oberwasser – und das eben nicht nur im «Movember» genannten November, wenn sich Tausende Männer weltweit als Solidaritätszeichen für Männergesundheit einen Moustache wachsen lassen (MANNSCHAFT berichtete).
Der Schnäuzer war einst Domäne von Pornostars, irgendwie unheimlichen Kerlen, Typen der Gegenkultur sowie des unmodernen Onkels
«Warum hat jeder Mann, der Ihnen ins Auge fällt, einen Schnurrbart?», fragte die New York Times schon letzten Sommer. Und sie führte aus: «Der Schnäuzer war einst Domäne von Pornostars, irgendwie unheimlichen Kerlen, Typen der Gegenkultur sowie des unmodernen Onkels.» Nun sei er aber wieder eine angesehene Option für die Gesichtsbehaarung. Für diesen Trend gebe es mehrere Gründe, so die «NYT». «Der Schnurrbart ist maskulin, aber auch verspielt – in einer Welt, die es ohnehin mag, mit Gender-Styles zu spielen.»
Schnäuzer sehe man hierzulande seit dem letzten Jahr öfter, sagt Antonio Weinitschke, Art Director beim Zentralverband des Deutschen Friseurhandwerks. «In Deutschland ist man immer etwas später dran.» In Nordamerika boomten Oberlippenbartversuche schon während der Corona-Pandemie. Für das Revival nennt Weinitschke mehrere Gründe. «In der Mode erleben wir gerade mal wieder ein wenig die 80er – frisurentechnisch, klamottenmässig – etwa mit Schulterpolstern oder locker sitzenden Bundfaltenhosen. Und da gehört der Oberlippenbart einfach mit dazu.»
Mode-Trends werden meist von jungen Leuten zum Leben erweckt. «Und in der Jugend trägt man halt diesen Oberlippenbart, weil das der erste Bartwuchs ist, den man bekommt», sagt Friseurmeister Weinitschke in Aachen. «Dann geht’s vielleicht mit Mühe und Not ein bisschen am Kinn weiter.» Dennoch machten auch Ältere die aktuelle Entwicklung mit, weil sie «in der Trendwelle mitschwimmen» wollten. Doch nicht jede Schnäuzer-Form sei heutzutage angesagt: «Den Trend des breiten Oberlippenbarts sehe ich jetzt nicht so, es sind eher so schmalere, dezente – also nicht so Typ Tom Selleck.» Sprich: Milchbart statt fetter Balken.
Die erfolgreiche Serie «Charité» meldet sich zurück mit einer ungewöhnlichen, in der nahen Zukunft spielenden 4. Staffel. Mit dabei ist dieses Mal Joshua Seelenbinder, der uns bei einem Matcha Latte in einem Café in Berlin-Mitte u.a. verraten hat, wie er nach #ActOut auf die queere Zukunft in der deutschsprachigen Filmbranche blickt (MANNSCHAFT+).
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