«Du Schwuchtel wirst hier ausradiert …»

Frauenfeindlichkeit und Homophobie im Hip-Hop: Was ist erlaubt?

Schwule sind ein beliebtes Feindbild für Rapper. (Bild: Aiden Marples/Unsplash)
Schwule sind ein beliebtes Feindbild für Rapper. (Bild: Aiden Marples/Unsplash)

Im Hip-Hop, vor allem im Gangsta-Rap, geht es hoch her. Frauen und Schwule werden auf das Heftigste gedisst und beschimpft. Sprechen wir noch von Kunst?

In einer Nacht-und-Nebel-Aktion veröffentlichte der US-Rapper Eminem Ende August 2018 ein neues Album: Auf «Kamikaze» teilt er ordentlich gegen Kollegen aus. In einem seiner Diss-Tracks widmet er sich Tyler, The Creator, den er als «Faggot» (Schwuchtel) beschimpft. Songs auf dessen letztem Album «Flower Boy» (2017) lassen sich wie ein Coming-out lesen. «I’ve been kissing white boys since 2004», heisst es da etwa.

US-Rapper Eminem wurde für seinen Track kritisiert. Die britische Independent schrieb etwa: «Es ist 2018, aber offenbar hat das Eminem niemand gesagt.» Denn, so die Zeitung, man disse niemanden (mehr) aufgrund seiner Sexualität.

«Schwuchtel» und «schwuler Spast» Im Vergleich zu dem, was man sonst im Hip-Hop hört, sind die Zeilen von Eminem aber eher zahm. Textbeispiele von anderen Rappern machen keinen Hehl aus ihrer Schwulenfeindlichkeit: «Kleine Schwuchtel mit dei’m Unterlippenpiercing, ein falsches Wort und deine Zunge spürt Rasierklingen» oder «Du schwuler Spast» oder auch: «Berlin ist mein Hauptquartier, du Schwuchtel wirst hier ausradiert.»

Es handelt sich um Zitate aus dem umstrittenen Bushido-Album «Sonny Black», das die deutsche Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) im Jahr 2015 auf den Index gesetzt hat. Ihre Begründung: «Die Texte wirken verrohend und diskriminieren Frauen und homosexuelle Menschen.» Der Rapper mit dem bürgerlichen Namen Anis Mohamed Youssef Ferchichi sah das anders und zog vor Gericht (eine Übersicht – siehe unten!).

Allgemeine Beschreibungen von Gewalt fallen unter die Kunst- und Kulturfreiheit.

«Ich heisse Klaus, bin ab heute schwul, und ich will darüber reden» Ein anderer Fall liegt einige Jahre zurück: 2010 entschied die Prüfstelle, die Rechtsrock-CD «Freiheit statt BRD!» zu indizieren. Der Sampler wurde damals im Auftrag der NPD, einer rechtsextremen Partei in Deutschland, kostenlos vor Schulhöfen verteilt, 25 000 Stück wollte man auf diese Weise unters Volk bringen. Im Song «Talkshownation» der Gruppe Frontalkraft, der weiterhin bei YouTube zu finden ist, schimpft man neben Migranten auch über Homosexuelle. «Meine Schwester ist ‘ne Lesbe und sie treibt es zwölf Mal täglich», heisst es in der Strophe. Und: «Ich heisse Klaus, bin ab heute schwul, und ich will darüber reden.» Das Ganze mündet in den Refrain: «Kranke Menschen, krankes Land».

Fazit der deutschen Bundesprüfstelle: Hier werden homophobe Botschaften gesendet. Titel, die auf den Index gesetzt werden, dürfen im Handel nicht öffentlich ausgelegt und nur an Kunden ab 18 Jahren auf Nachfrage nach dem entsprechenden Titel abgegeben werden.

Im Gegensatz zu Deutschland gibt es in der Schweiz weder eine Prüfstelle noch einen Musikindex. «Allerdings besteht hierzulande die Möglichkeit, strafrechtlich gegen Musiktitel vorzugehen, wenn diese beispielsweise gewaltverherrlichend sind», sagt Fabian Niggemeier vom Rechtsdienst der Genossenschaft der Urheber und Verleger von Musik, SUISA, gegenüber MANNSCHAFT. Dafür müssten die in Frage kommenden Textpassagen jedoch bestimmte Kriterien erfüllen und dürften nicht in den Bereich der Meinungsfreiheit fallen, so Niggemeier.

Ein Beispiel für Letzteres sind Metalbands, die sich in ihren Liedern negativ über Gott, die Kirche oder das Christentum äussern. Folglich sind auch pauschalisierende Aussagen wie «Bullen sind Schweine» aus strafrechtlicher Sicht harmlos. Auch allgemeine Beschreibungen von Gewalt erfüllen keinen Tatbestand des Strafrechts und fallen unter die Kunst- und Kulturfreiheit. «Wenn im Song allerdings dazu aufgerufen wird, auf die Strasse zu gehen und Polizisten zu erschiessen, dann ist dies schon kritischer und unter Umständen verboten», sagt Niggemeier.

Die Gerichte müssen im Einzelfall beurteilen, ob ein schmaler Grat überschritten wurde oder nicht.

Wenn Bushido also davon rappt, wie man eine «Schwuchtel» mit Unterlippenpiercing eine Rasierklinge spüren lässt, sei das juristisch gesehen bloss eine Beschreibung und kein Aufruf zur Gewalt. Niggemeier verweist auf die Band Krawallbrüder, die aufgrund ihrer beschreibenden Texte über Auseinandersetzungen mit ausländischen Gangs besonders auch in rechten Kreisen sehr beliebt sei. «Es ist völlig klar, dass das ein schmaler Grat ist, aber genau deshalb müssen die Gerichte im Einzelfall beurteilen, ob dieser Grat überschritten wurde oder nicht.»

Spezialfall Rassismus Werke mit rassistischen Äusserungen werden in der Schweiz hingegen kritischer beurteilt. Aufgrund der Rassismus-Strafnorm – ein Artikel im Strafgesetzbuch, der vor Diskriminierung aufgrund der Rasse, Ethnie oder Religion schützt – können bereits unspezifische rassistische Äusserungen strafrechtlich belangt werden.

In der gegenwärtigen Sommersession behandelt der Nationalrat eine Erweiterung des Diskriminierungsschutzes der Rassismus-Strafnorm auf die sexuelle Orientierung und die Geschlechtsidentität. Entschieden wurde schliesslich 2020 (MANNSCHAFT berichtete).

Niggemeier weist darauf hin, dass die SUISA als Genossenschaft keine Möglichkeiten hat, rechtlich einzuschreiten. Um gegen ein musikalisches Werk vorzugehen, müsse zuerst ein strafrechtliches Urteil vorliegen. Erst dann würde die SUISA die Registrierung eines musikalischen Werks ablehnen. Als Folge gibt es weder ein Inkasso, etwa bei Konzerten, noch eine Verteilung an die Urheber. Ferner würde die SUISA auch keine Bewilligung für Konzerte oder Tonträgerproduktionen erteilen.

Medienwirksam auf Diskriminierung hingewiesen Um ein Zeichen gegen diskriminierenden Rap zu setzen braucht es aber nicht immer ein strafrechtliches Urteil. Im Juni 2018 sagte ein Veranstalter in Schaffhausen ein Konzert mit den umstrittenen Rappern Farid Bang und Kollegah aufgrund von «Sicherheitsbedenken» ab und weil er sich von «der Debatte um die textlichen Inhalte der beiden Künstler» distanziere. Ein Erfolg für SP-Kantonsrat Patrick Portman und Anna Rosenwasser, Geschäftsleiterin der Lesbenorganisation Schweiz. Gemeinsam mit dem Frauenstammtisch Schaffhausen hatten sie die Onlinepetition «Keine Bühne für Diskriminierung» gestartet, um auf die frauenfeindlichen Texte der beiden Skandalrapper aufmerksam zu machen und eine Absage des Konzerts zu fordern.

Mit einem medienwirksamen Protest konnten auch die Homosexuellen Arbeitsgruppen Bern HAB im Frühling 2014 einen Auftritt des umstrittenen Reggaekünstlers Elephant Man verhindern. Als der Betreiber des Clublokals von den schwulenfeindlichen Texten des Jamaikaners hörte, verweigerte er den Veranstaltern das Konzert. Mehrere Boykottaufrufe hatten auch in Deutschland bewirkt, dass Elephant Man seine Tournee zweimal absagen musste.

«Schwule sind ein beliebtes Feindbild für Rapper.»

Hip-Hop: männlich-dominiert und heteronormativ «Schwule sind ein beliebtes Feindbild für Rapper», erklärt die Hip-Hop-Expertin Sina Nitzsche von der Technischen Universität Dortmund, wo sie Veranstaltungen wie die erste «Hip Hop Education Week» und die erste «Hip Hop Summer School» organisierte. Vor allem im Gangsta-Rap seien Grenzüberschreitungen ein zentrales Stilmittel. «Hip-Hop-Kultur ist seit ihren Anfängen eine männlich-dominierte, heteronormative Kultur, in der es auch stets homophobe und frauenfeindliche Tendenzen gab», erklärt die Rapforscherin und verweist auf den Klassiker «The Message» von Grandmaster Flash & The Furious Five aus dem Jahr 1982, in dem abwertend von «fags» gerappt wurde.

«Maskulinität stiftet Identität und garantiert eine gewisse Authentizität und Machtposition.»

Auch im Gangsta-Rap gebe es eine Tradition von Homophobie. «Die amerikanische Rapgruppe N.W.A. veröffentlichte 1988 den Track ‹Fuck the Police›, der racial profiling und willkürliche Polizeigewalt auf sehr deutliche Weise anprangert. Gleichzeitig ist das Album ‹Straight Outta Compton›, auf dem der Track damals erschienen ist, aber auch ein Beispiel für die homophoben Tendenzen in der amerikanischen Rapmusik der späten Achtziger- und frühen Neunzigerjahre», so Nitzsche. Trotzdem hält sie die Hip-Hop-Kultur für nicht mehr oder weniger homophob als die Mehrheitsgesellschaft.

Die wichtigsten Merkmale des Gangsta-­Rap sind der Wissenschaftlerin zufolge neben der Grenzüberschreitung auch Gewaltverherrlichung und Hypermaskulinität. Dies erkläre auch die homophoben Tendenzen im Gangsta-Rap. «In einer Gesellschaft, in der die Weissen eine Vormachtstellung besitzen, stiftet Maskulinität Identität und garantiert eine gewisse Authentizität und Machtposition. Hypermaskulinität ist für den Überlebenskampf wichtig, und queeren Rappern wird diese realness oft abgesprochen.»

«Schwuchtel» dient zur Abwertung des Gegenübers Wenn Bushido rappt «Du Schwuchtel wirst hier ausradiert», sei das laut Nitzsche allerdings noch kein Beleg für eine homophobe Gesinnung des Rappers. Sie spricht von einer «Inszenierungsstrategie», die nicht unbedingt den persönlichen Hass des Menschen Bushido darstelle. An den Textpassagen sehe man auch, dass der Begriff «Schwuchtel» als Schimpfwort verwendet werde, aber nicht unbedingt als Synonym für Schwule, sondern als generelle Abwertung des Gegenübers. Dies sei natürlich nicht minder problematisch, sagt Nitzsche. Aber: «Man kann daraus keinen politischen Aufruf zu Gewalt gegenüber Schwulen ableiten.»

Wir entfachen ein Feuer für euch stinkende Schwuchteln und Parasiten.

Dennoch werden Texte wie etwa des Dancehall-Künstlers Bounty Killer genauso empfunden und verstanden. Seit Jahren werden deswegen immer wieder Konzerte des Jamaikaners unter anderem in Deutschland abgesagt, zuletzt im Mai 2018 (MANNSCHAFT berichtete). Nach Protesten durch den LSVD aufgrund der homophoben, menschenverachtenden und gewaltverherrlichenden Texte («Wir entfachen ein Feuer für euch stinkende Schwuchteln und Parasiten. Jamaika wird niemals zulassen, dass ihr unser Paradies beschmutzt») sagte der Berliner Veranstalter den Auftritt von Bounty Killer ab.

Viele LGBTIQ-Menschen, aber auch andere Bevölkerungsgruppen, wie zum Beispiel Frauen, mögen es nicht hinnehmen, dass man sie in Raptexten beschimpft. Wer Bedenken hinsichtlich eines Songs oder eines ganzen Albums hat, kann sich für weitere Informationen bei der SUISA melden. Wie das Beispiel von Anna Rosenwasser und Patrick Portmann zeigt, kann es sich lohnen, mit einem Partner gegen bestimmte Medien oder Konzerte vorzugehen, die man als diskriminierend empfindet.

Abgesehen davon: Es gibt Bewegung im Hip-Hop. Laut Nitzsche hat sich die kommerzielle amerikanische Rapmusik in den letzten Jahren gewandelt. Seit den Neunzigerjahren gibt es vermehrt amerikanische Rapperinnen und queere Rapgruppen, «die die weibliche Selbstermächtigung der Frau zelebrieren», wie zum Beispiel Salt’n’Pepa, Queen Latifah, Missy Eliot oder Lauryn Hill.

Kultureller Wandel verändert auch kommerziellen Hip-Hop «Seit den 2010ern sind queere Künstler*innen mit den verschiedensten kulturellen Hintergründen vermehrt im kommerziellen Musikmarkt präsent.» Als Beispiele nennt Nitzsche etwa Frank Ocean, Azealia Banks, Mykki Blanco und Le1f, die queere Identitätsentwürfe und Erfahrungen thematisierten. Nicht zu vergessen die heterosexuellen Musiker Macklemore and Ryan Lewis, deren Song «Same Love» im Jahr 2012 sich gegen homophobe Tendenzen in Kultur und Gesellschaft richtete. Offen schwuler Rapper Lil Nas X sprach öffentlich darüber, wie er als Jugendlicher seine sexuelle Identität nicht akzeptieren konnte (MANNSCHAFT berichtete).

Der Wandel in der kommerziellen Hip-Hop-Kultur geht laut Nitzsche einher mit grösseren kulturellen Veränderungen, wie der Öffnung der Ehe und einer verstärkten Trans-Bewegung, der spätestens das Coming-out von Caitlyn Jenner eine neue Dynamik verlieh. «Diese gesellschaftlichen Entwicklungen erlauben es Künstler*innen, ihre Geschichten einem breiteren Publikum näherzubringen und die eigene LGBTIQ-Community zu stärken», sagt die Dortmunder Hip-Hop-Forscherin.

Und dann ist da noch Jay-Z, einer der ganz grossen Player im US-Hip-Hop mit Vorbildfunktion. Ihn veranlasste das Coming-out seiner Mutter dazu, den Track «Smile» aufzunehmen, der auf seinem Album «4:44» zu hören ist.

«Ich möchte sehen, wie du trotz all dem Hass lächelst.»

«Mama hatte vier Kindern, aber sie ist eine Lesbe, musste so lange vorgeben, eine Schauspielerin zu sein», heisst es darin. Es zählte für ihn nicht, ob sie sich in einen Mann oder eine Frau verliebt. «Ich möchte sehen, wie du trotz all dem Hass lächelst.»

Wirkt der Gatte von Beyoncé weniger maskulin oder authentisch, bloss weil er seiner lesbischen Mutter nicht den Kopf einschlagen will? Auf diese Idee ist noch niemand gekommen.



Bushido auf dem Index

In Deutschland setzte die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) 2015 das Album von Bushido «Sonny Black» (2014) auf den Index. Begründung: «Die Texte der verfahrensgegenständlichen CD wirken verrohend, verherrlichen einen kriminellen Lebensstil, insbesondere den Drogenhandel, und diskriminieren Frauen und homosexuelle Menschen.»

Der Rapper sah das anders und zog vor Gericht: Nach Darstellung seines Anwalts gebe es keine Belege für die verrohende Wirkung von Gangsta-Rap, ausserdem seien die Texte bewusst klischeehaft überzeichnet. Im Mai 2018 urteilte das Oberverwaltungsgericht in Münster: Die Bundesprüfstelle habe nicht sorgfältig genug zwischen Jugendschutz und Kunstfreiheit abgewogen. Doch das Urteil wurde nicht rechtskräftig, die BPjM legte Revision ein. Damit blieb das Album vorerst auf dem Index. Das bestätigte schliesslich auch das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig im Herbst 2019 (MANNSCHAFT berichtete).

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