Dramatiker Eri Nox zeigt den Polen, wie schwul sie sind

Für seine Inszenierung in Krakau führt Eri Nox Gespräche mit polnischen LGBTIQ-Menschen

Eri Nox (Bild: Audrey C. Tiernan, Brooklyn College)
Eri Nox (Bild: Audrey C. Tiernan, Brooklyn College)

Eri Nox bringt mit seinem Stück «The Title Will Be Determined After the Play» eine queere Neuinszenierung eines polnischen Klassikers auf die Bühne. Für die Aufführung, die im August in einem prachtvollen Krakauer Theater stattfinden soll, spricht der US-amerikanische Dramatiker mit Menschen aus der LGBTIQ-Community Polens.

Eri, worum geht es in deinem neuen Theaterprojekt? Meine Inszenierung ist eigentlich eine queere Adaption des Stücks «Oni». Dabei handelt es sich um ein Werk der polnischen Avantgarde der 20er-Jahre von Stanislaw Witkiewicz. «Oni» bedeutet «sie» oder auf Englisch «they». Ich möchte das Pronomen «sie» genauer unter die Lupe nehmen und damit auch erforschen, wie der Begriff des «Anderen» konstruiert wird.

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Wie kommt ein Dramatiker aus den USA zu einer Inszenierung in Krakau? Ich habe ein Fulbright-Stipendium erhalten, um von September 2019 bis nächsten Juni in Krakau zu wohnen und zu arbeiten. Mein Ehemann, mit dem ich in Brooklyn lebe, stammt ursprünglich aus dem Süden Krakaus. Er ist es auch, der mir viel über die Kultur und die Menschen dort berichtet. Er konnte mich ausserdem Leuten vorstellen, die mich ihrerseits wiederum mit anderen bekanntgemacht haben.

Gespräche mit LGBTIQ-Menschen in Polen willst du ja in dein Stück einbauen, so lautet jedenfalls dein Konzept. Genau. Dazu gehören auch etwa Chats auf Grindr. Im Januar begann ich, gezielt mit LGBTIQ-Aktivist*innen und Historiker*innen aus Warschau zu sprechen. Ausserdem führte ich Interviews mit Community-Mitgliedern, die in den sogenannten «LGBTIQ-freien Zonen» Polens leben. Im Allgemeinen gingen die Konversationen bisher vor allem darum, wie sich queere Menschen verstecken müssen. Viele sehen sich gezwungen, das Land zu verlassen – oder zumindest nach Warschau zu ziehen. Ein schwuler Mann in Krakau sagte mir, dass die, die es sich leisten konnten, früher nach London auswanderten. Seit dem Brexit zöge es die meisten nun Richtung Berlin oder Amsterdam.

MANNSCHAFT hat über die zunehmend LGBTIQ-feindliche Stimmung in Polen berichtet. Wie schlimm ist die Lage aus deiner Sicht? Ich höre oft, was dir auf den Strassen Polens alles «einen Schlag in die Fresse» bescheren kann. Man soll etwa sein Outfit verstecken, wenn man aus dem Club kommt, damit einem niemand nachhause folgen kann. Andere sagen: «Du willst hier nicht, dass dein Nachbar weiss, dass du schwul bist.» Solche Dinge eben. Schwule werden verprügelt, ausgeraubt oder gefeuert. Aber das war schon vor dem Ausruf der «LGBTIQ-freien Zonen» so.

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Inwiefern hat sich denn die Lage nochmals verschlechtert? Ich glaube, der Hass auf LGBTIQ-Menschen ist noch konkreter und offensichtlicher geworden. Die Nationalisten fühlen von der konservativen Partei darin bestärkt, ihre Homophobie offener zur Schau zu stellen – ein ähnlicher Prozess vollzog sich ja auch in den USA. Viele in Krakau stellen sich deshalb die Frage, ob sie die Stadt nicht lieber verlassen sollten.

Ist eine LGBTIQ-Community in Krakau überhaupt in irgendeiner Form sichtbar? Es gibt ein paar Kellerbars für schwule Männer mit kleinen Darkrooms; dann noch ein paar Bars, wo ein Teil des Lokals quasi für Schwule reserviert ist. Das ist dann mit einer Regenbogenfahne gekennzeichnet. Auf der Strasse sieht man Regenbogenfarben ab und zu auf Tragetaschen. Diese Menschen tun das jedoch, um zu signalisieren, dass sie LGBTIQ-freundlich sind und gehören selbst nicht zur Community. Wenn du dich mit jemandem über eine entsprechende App verabredest, dann sind diese Menschen in der Regel nicht geoutet. Das ist schliesslich die Alternative zum Auswandern: diskret sein.

Glaubst du, dein Stück kann an dieser Situation irgendetwas ändern? Ich denke schon. Es gab auf den grossen Bühnen Krakaus bisher erst eine Handvoll Stücke zu LGBTIQ-Themen. Einen Klassiker zu nehmen und die Geschlechter der Figuren zu ändern oder sie homosexuell zu machen, entlarvt die Geschlechterrollen, von damals wie heute. Es zeigt aber der Community in Krakau ausserdem, dass ihre Geschichte auch eine polnische Geschichte ist. Und es zeigt, dass ein politisches Klima kommen und gehen kann und dass du – selbst wenn Politiker*innen dir das Recht verweigern wollen zu existieren – weiter existierst und Teil der Kultur bist.

Ich werde alle im Publikum in Dragqueens verwandeln.

Wie wird deine «amerikanische Perspektive» das Stück beeinflussen? Ein von Rechten in Polen oft verwendeter Begriff ist die «LGBTIQ-Agenda». Diese sei ein Import aus dem Westen, der die traditionellen katholischen Werte Osteuropas untergraben soll. Ich hoffe, meine amerikanische Sichtweise kann mit dieser Erwartungshaltung spielen und eine wichtige Botschaft vermitteln: LGBTIQ-Menschen in Polen müssen das Land nicht verlassen. Es gibt nicht sowas wie «LGBTIQ-freie Zonen». Schwule Polen haben jedes Recht, dort zu leben und sich zu verwirklichen. Ich wünsche mir, dass die Aufführung einige jüngere Mitglieder der Community inspiriert, ihre eigenen Stücke auf die Krakauer Bühnen zu bringen.

Wie werden wohl die Medien und die breite Öffentlichkeit deine Inszenierung aufnehmen? Die Aufführung findet im prachtvollen und geschichtsträchtigen Juliusz-Słowacki-Theater statt. Die Leute dort unterstützen mich und helfen mir, wo sie nur können. Wir haben darüber gesprochen, dass vielleicht einige Stammgäste das Theater mitten in der Vorstellung verlassen könnten. Ich werde die Gesichter des Publikums schminken und alle in Dragqueens verwandeln, weshalb ich erwarte, dass auch der eine oder andere «maskuline Daddy» rausläuft.

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Hast du Angst vor heftigen Protesten und Ausschreitungen? Angesichts der Gewalt an der letztjährigen Pride in Białystok hatte ich eigentlich mit Protesten gegen meine Aufführung gerechnet. Das Theater denkt jedoch, dass die Leute auf der Bühne mehr zulassen als auf der offenen Strasse. Ich bin eine Dramaqueen und würde es toll finden, wenn ein wütender Mob schwitzender Typen von aussen die Wände niederreissen möchte, während wir den Laden von innen lasziv in Brand steckten… Ich hoffe jedoch vor allem, dass mehr als nur so zwei bis drei Heteros in die Vorstellung kommen und danach die Dinge etwas anders sehen. Und dass viele polnische LGBTIQ-Menschen in diesen zwei Stunden ein Gefühl von «Heimat» wahrnehmen, das für sie noch nie so angenehm war.

Kann die Aufführung trotz Corona wie geplant stattfinden? Bis zum gestrigen Sonntag war das Projekt noch für den 13. Juni eingeplant, nun wurde es jedoch in den August verschoben. Ich bin mittlerweile wegen der Pandemie nach Brooklyn zurückgekehrt. Ich hoffe, sowohl die US-amerikanischen als auch die polnischen Grenzen werden bald wieder offen sein. In der Zwischenzeit arbeite ich von hier aus mit dem Übersetzer am Drehbuch. Die Fortschritte des Projekts lassen sich übrigens auf unserer Internetseite verfolgen.

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