«Wie werde ich porno­kompetent?»: Neues Buch von Madita Oeming

Die Wissenschaftlerin untersucht, welchen Platz Pornografie in unserer Gesellschaft einnimmt

Szene aus einem «Romantic Porn»-Film des US-Labels CockyBoys, die in der Ausstellung «Porn That Way» im Schwulen Museum präsentiert wurde (Foto: R. J. Sebastian / CockyBoys)
Szene aus einem «Romantic Porn»-Film des US-Labels CockyBoys, die in der Ausstellung «Porn That Way» im Schwulen Museum präsentiert wurde (Foto: R. J. Sebastian / CockyBoys)

Kulturwissenschaftlerin, politische Aktivistin, Aufklärerin: Madita Oeming will Pornofilme aus der Tabuzone holen. Denn sehr viele Menschen schauen sie, aber fast niemand redet darüber.

Von Christina Sticht, dpa

Ihre Mission trägt Madita Oeming an diesem Tag auf ihrem T-Shirt: «Wissen statt Scham» steht in weissen Grossbuchstaben auf schwarzem Stoff. Die 37 Jahre alte Kulturwissenschaftlerin aus Göttingen möchte Menschen dazu bringen, offen über Pornos und Lust zu sprechen, statt Sex-Filme nur heimlich, verschämt oder gar mit Schuldgefühlen zu schauen. «Pornos sind Teil der Alltagskultur», betont Oeming.

Porno
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Erst waren Pornos nur für über 18-Jährige in der Videothek zu haben, dann kam das Internet. Auf dem Smartphone, Tablet und PC sind sie heute jederzeit und überall verfügbar. «Wenn wir von Anfang an lernen würden, darüber eine Gesprächskultur zu entwickeln, dann wäre das hilfreich», sagt Oeming. Laut einer repräsentativen Umfrage haben 96 Prozent der Männer und 79 Prozent der Frauen schon einmal Pornos geguckt.

Seit 2014 beschäftigt sich die gebürtige Bonnerin, die in Berlin aufgewachsen ist, wissenschaftlich mit Pornos. Nach dem Studium von VWL, Kulturwissenschaften und Amerikanistik in Göttingen übernahm sie an der Universität Paderborn eine Promotionsstelle. Lehraufträge hatte sie auch an anderen Hochschulen wie der Uni Münster. Die Analyse von Pornos sei ein Thema für die Kulturwissenschaften, weil Pornos Teil unserer Kultur seien, sagt Moritz Bassler, Germanistikprofessor an der Uni Münster.

«Porno-Tante an der Uni» Schon nach Ankündigung eines Seminars für die FU Berlin 2019 erlebte Oeming einen Shitstorm mit sexistischen Anfeindungen und massiven Drohungen. «Konservative und rechte Gruppen sind anti-Porno, sexfeindlich, lustfeindlich und frauenfeindlich», beobachtet sie.

Zwar keine Hassnachrichten, aber Sticheleien und übergriffige Bemerkungen erlebte die junge Dozentin auch in der akademischen Welt. «Wenn man die Porno-Tante an der Uni ist, stösst man permanent auf Gegenwehr. Ein Kollege meinte mal, ich sollte doch mein Privatleben zu Hause lassen.»

Auch weil sie merkte, dass sie in das System Universität nicht passte, machte sich Oeming im Mai 2022 selbstständig. «Natürlich gibt es beim Finanzamt nicht das Kästchen Porno-Wissenschaftlerin, aber ich finde, dieses Wort funktioniert einfach gut: Jeder weiss, was gemeint ist und man hat einen schönen Irritationsmoment.»

Als unabhängige Porno-Wissenschaftlerin hält Oeming Vorträge und Seminare. Anknüpfungspunkte gibt es ihr zufolge auf vielen Forschungsfeldern wie Filmwissenschaften, Genderforschung, Sexualpädagogik oder Medienpsychologie.

«Eine unverschämte Analyse» Derzeit ist sie mit ihrem im August erschienenen Sachbuch «Porno. Eine unverschämte Analyse» auf Lesereise unterwegs. Ihr Verlag Rowohlt bezeichnet die Autorin als sex-positive Feministin und Lustaktivistin, die sich als Brückenbauerin zwischen Academia, Pornoindustrie und breiter Öffentlichkeit versteht.

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Bei einigen Veranstaltungen, etwa im Literarischen Salon in Hannover (6.11.), stellt sich Oeming gemeinsam mit der Pornoproduzentin Paulita Pappel dem Gespräch. In Pappels Buch «Pornopositiv» geht es nach Angaben ihres Verlags Ullstein um Pornografie als «Werkzeug der Emanzipation». Pappel ist auch Kuratorin des queeren Pornfilmfestivals in Berlin (PFFB), das am 24. Oktober startet mit dem Eröffnungsfilm «Pornomelancholia» von Manuel Abramovich. Es geht darin um den mexikanischen Sexdarsteller Lalo Santos.



Der Dokumentarfilm begleitet ihn in seinem Alltag und speziell bei den Dreharbeiten zu einem Schwulenporno. «Der Film ist eine tiefgründige Erkundung der Grenzen von Intimität, virtueller Kommunikation und der dokumentarischen Form selbst», heisst es offiziell von Seiten des Pornfilmfestivals. Auch sonst setzt das PFFB explizite LGBTIQ-Akzente, auch aus queerfeministischer Perspektive.

Radikalfeministinnen sahen Pornos allerdings lange ganz anders: Die lesbische Aktivistin Alice Schwarzer startete 1987 die PorNO-Kampagne und stritt für ein Porno-Verbot. Nach Oemings Analyse bestimmt die Rhetorik dieser Bewegung noch immer das «öffentliche Bild von Pornos als Erniedrigung von und Gewalt gegen Frauen». «Wir müssen aufhören, Porno zu sagen, wenn wir Gewalt meinen», betont sie. Pornografie sollte an Einvernehmlichkeit gemessen werden.

«Pornos sind Action-Filme» Weil die Filme überall verfügbar sind, kommen auch Jugendliche immer früher damit in Kontakt. «Im Moment rutschen Pornos in die Rolle der Aufklärung, aber dazu sind sie nicht gemacht», sagt Oeming. «Es sind Übertreibungen, Inszenierungen. Pornos sind Action-Filme, keine Dokumentationen.»

Ähnlich äusserte sich auch jüngst der*die nicht-binäre Autor*in des Buchs «Sex, aber richtig?», Joris Kern, im Interview mit der Zeitschrift Siegessäule. Da sagte Kern, von Porno lernen zu wollen, wie Sex richtig geht, sei ungefähr so, als wolle man von Filmen wie «Fast & Furious» Autofahren lernen wolllen. Das müsse schief gehen – besonders wenn man sich als Jugendlicher hilfesuchend an Pornos wendet.

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Um dieser Situation zu begegnen bietet Oeming als Kurs den «Porno-Führerschein» an, der nach ihren Worten darauf abzielt, Pornokompetenz zu vermitteln.

Nach Veranstaltungen oder Auftritten vertrauen viele Menschen der Wissenschaftlerin ihre persönlichen Porno-Erfahrungen an. Mal ist es ein Taxifahrer, mal ein Tontechniker oder ein Professor auf einem Medizinkongress. «Das hat oft einen Beichtcharakter», erzählt Oeming. «Ich fühle mich wie die Porno-Päpstin, die dann sagt, das ist in Ordnung und die Absolution erteilt. Diese Rolle möchte ich eigentlich nicht haben.»

Dann schon lieber die Rolle der Aufklärerin, die in ihrem Sachbuch auch Persönliches einfliessen lässt und einen goldenen Ring mit dem Schriftzug «Milf» trägt. Dies steht für «Mother I’d like to fuck» (deutsch: «Mutter, mit der ich gern Sex hätte»). Milf ist laut Oeming ein Porno-Begriff geworden. Für ihr Buch recherchierte sie, dass bei den beliebten Suchworten die Milfs den Teens den Rang abgelaufen haben. «Ich verbinde damit weniger eine heisse Mutter, sondern eine erfahrene, sexuell selbstsichere Frau», sagt Oeming. «Und damit kann ich mich durchaus identifizieren.»

Laut Statistik des Portals Pornhub sind im vergangenen Jahr vor allem Filme mit trans Inhalten bzw. Darsteller*innen immer beliebter geworden (MANNSCHAFT berichtete).

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