Weihnachten mit der Nazi-Omma

Ist das Fest der Liebe der richtige Zeitpunkt, seine queere Identität zu verstecken?

Foto: Eugene Zhyvchik/Unsplash
Foto: Eugene Zhyvchik/Unsplash

In der neuen MANNSCHAFT-Kolumne: «Familie ist, wenn man trotzdem lacht» geht es um den heteronormativen Wahnsinn unserer Blutsverwandten. Teil 3: Weihnachten mit der Nazi-Omma.

Es ist einige Monde her. Man durfte in Deutschland schon ungestraft schwul oder lesbisch sein, wurde als Homosexueller aber noch mit der Eingetragenen Partnerschaft abgespeist, wenn man sich, möglichst auf Lebenszeit, an einen Mann oder eine Frau binden wollte. Von der Eheöffnung war man noch meilenweit entfernt, von einem Gedenken im Bundestag an sexuelle und geschlechtlichen Minderheiten, die von den Nazis verfolgt und ermordet worden waren (MANNSCHAFT berichtete), ebenso. 17 Jahre, um genau zu sein.



Damals im Jahr 2006 hatte ich einen Partner, der aus dem Rheinland nach Berlin gezogen war. Er pflegte eine recht enge Bindung zu seiner Familie in NRW. Einen Zwillingsbruder zu haben (ebenfalls schwul) bringt das wohl so mit sich.

Es war noch im ersten Jahr unserer Beziehung, dass er mich zum Weihnachtsfest bei seiner Schwester mitnahm. Ich hatte beruflich beim WDR in Köln zu tun, war also in der Nähe und hatte keine guten Argumente, nicht mitzukommen. Ich sage es frei heraus: Ich mag Weihnachten nicht, das hat mir meine Familie verleidet.



Nun also Heilig Abend 2006: Jener Bruder war mit seinem Partner gekommen und natürlich die Mutter. Und die Mutter der Mutter, von den Zwillingen liebevoll «Nazi-Omma» genannt.

Ihre politischen und gesellschaftlichen Ansichten, so wurde ich vorgewarnt, waren nicht aus diesem Jahrhundert, und da sie obendrein nicht mehr die Jüngste war, wollte man sie bei diesem Familienfest schonen. Das hiess nun nicht: kein fettes Essen, nicht zu spät serviert, «Last Christmas» auf Zimmerlautstärke. Schonen wollte man sie vielmehr damit, sie nicht mit der Homosexualität ihrer männlichen Enkelkinder zu belasten. Die Begleiter der Zwillinge waren offiziell einfach gute Freunde. Ob die Grossmutter das geglaubt hat, würde ich aus heutiger Sicht mal in Frage stellen.

Jedenfalls führte die Geheimniskrämerei dazu, dass – als es an die Bescherung ging – mein Freund und ich uns in das Schlafzimmer der Schwester zurückzogen, um uns unsere Geschenke zu überreichen, zu umarmen, zu küssen und uns frohe Weihnachten zu wünschen. Danach kehrten wir zu den anderen zurück. Mit einem sonderbaren Gefühl, als hätten wir etwas Verwegenes, Schmutziges getan, auf dem Klo gewichst oder etwas Ähnliches. Spoiler: Meine Lust auf familiäres weihnachtliches Miteinander hat seither nicht wesentlich zugenommen.

Damals schien mir die Heimlichtuerei gar nicht besonders fremd: Über Gefühliges und Brisantes sprach man ja auch in meiner Familie nicht.

Rückblickend kann ich es aber fast nicht glauben, dass ich mich darauf eingelassen habe. War das das Fest der Liebe, von dem immer alle mit leuchtenden Augen sprechen? Man verstellt sich für die Familie und spaltet seine queere Identität ab? Da kommt mir die Eigenliebe deutlich zu kurz. Dafür möchte ich mich heute aufrichtig und herzlich bei meinem damals 35-jährigen Ich entschuldigen.

This year, to save me from tears – um mit George Michael zu sprechen – dieses Jahr feiere ich Weihnachten übrigens mit engen, lieben Freund*innen. Allerdings ziehen wir das um eine Woche vor, weil eine der Damen über die offiziellen Feiertage ihre Eltern in Zürich beehrt. Das wichtigste Weihnachtsfest aber, sagt sie, wird das mit uns, ihrer kleinen Wahlfamilie. Ausnahmsweise freue ich mich mal auf Weihnachten.

Hier geht’s zum ersten Teil unserer Familien-Kolumne. Titel «Er ist auch homosexuell – aber ganz nett!» 

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