Trans im Basketball: Nach zwei Coming-outs im Leben angekommen

«Dieser Schleier ist endlich weg, der mich in meiner gesamten Kindheit und Jugend unterdrückte»

Basketball hat
auch in Mauds neuem Leben einen wichtigen Platz (Bild: Lukas Johann)
Basketball hat auch in Mauds neuem Leben einen wichtigen Platz (Bild: Lukas Johann)

Maud liebt Basketball seit ihrer Jugend. Und seit ihrer Transition zur Frau kann Maud auch sich selbst lieben, wenn sie in den Spiegel schaut. Zusammen mit ihrem Team spielt sie bei den Eurogames in Wien gegen andere Teams aus Europa. Im Hobbysport müsse es dringend mehr Inklusion für trans Frauen geben, sagt sie.

Leistungssport und das gegenseitige Messen sind eigentlich nicht so das Ding der Basketballerinnen von Aufschlag Wien. Spass an Spiel und Bewegung stehen an erster Stelle, wenn sich die queeren Frauen dienstags im 21. Bezirk von Wien zum Basketball treffen.



Die Basketballerinnen sind aber mit dabei, wenn die österreichische Hauptstadt vom 17. bis 20. Juli zum Schauplatz der Eurogames 2024 wird (MANNSCHAFT berichtete). Für Europas grössten LGBTIQ-Sportevent werden über 3000 Hobbysportler*innen aus der ganzen Welt erwartet, die sich in mehr als 25 Sportarten messen. Darunter befinden sich klassische wie Badminton, Fussball, Leichtathletik und Schwimmen sowie modernere wie Klettern, Pickleball und Roundnet.

Sich mit der Community bewegen Maud Böhm konnte bereits bei den Eurogames 2023 in Bern Turnierluft schnuppern und ergatterte mit Aufschlag Wien die Bronzemedaille. «Klar haben wir mit der Absicht zu gewinnen gespielt. Trotzdem gab es eine sehr angenehme Stimmung und die Teams haben aufeinander Rücksicht genommen», sagt sie. «Dass es sich bei den Eurogames um einen queeren Event handelt, hat die Atmosphäre für alle entspannter gemacht. Und alle hatten Spass.»

Aufschlag Wien
Aufschlag Wien

Gegenseitige Rücksichtnahme, Fairness, ein möglichst tiefes Verletzungsrisiko und eben auch Spass sind bei den Basketballerinnen von Aufschlag Wien Priorität. Das Team umfasst 40 Spielerinnen, bei den Trainings sind immer etwa 8 bis 12 Personen dabei. Nach einem gemeinsamen Aufwärmen üben sie das Überwerfen aus bestimmten Distanzen und machen Pass- oder Lauf-Dribbel-Übungen.

Anschliessend teilen sie sich in gleich starke Gruppen auf und spielen zwischen einer und eineinhalb Stunden gegeneinander. Die Trainings sind selbstgeleitet, sowohl organisatorische als auch spielrelevante Entscheide werden von der Gruppe gefällt – für Schiedsrichter*innen gibt es keinen Bedarf. Ein gemeinsam erstelltes Regelwerk fasst die Werte des Teams zusammen. «Unser Fokus ist das Rauskommen aus dem Alltag und gemeinsam mit der Community aktiv werden und sich bewegen», sagt Maud.

Aufschlag Wien ist Österreichs grösster LGBTIQ-Sportverein und hat acht Sportarten im Angebot. Neben Basketball sind das Badminton, Beachvolleyball, Fussball, Tennis, Tischtennis, Volleyball und Wandern.

Wegen der Abneigung zum Fussball beim Basketball gelandet Vor ihrer körperlichen Transition zur Frau spielte Maud bereits als zehnjähriges Kind in der Schule Basketball. Die Sportart war eine willkommene Abwechslung zur Welt des Fussballs, die bei den Jungs stets im Mittelpunkt stand. Zudem konnte sie sich im Basketball besser ins Knabenteam integrieren als im Fussball. «Fussball war in meinen Augen immer zu männlich», sagt sie. «Als Kind hatte ich Mühe mit der Bedeutung der Geschlechterrollen und so fühlte sich Fussball nicht richtig an für mich.»

Maud von Aufschlag Wien
Maud von Aufschlag Wien

Der Basketballtrainer erkannte Mauds Potenzial, motivierte und förderte sie. Mit dem klassischen Sportunterricht tat sich Maud hingegen schwer, zu sehr seien die Inhalte auf die stereotypischen Merkmale von Jungs und Mädchen «gegendert» worden. Sie beobachtete das Verhalten der Jungs und versuchte, sich ihre Geschlechterrollen anzueignen.

Es ging eine Weile, bis ich mein Verhalten hinterfragte. Ich realisierte dann auch, dass das nicht normal war – dass das nicht alle machten

«Es ging eine Weile, bis ich mein Verhalten hinterfragte. Ich realisierte dann auch, dass das nicht normal war – dass das nicht alle machten.» Die Pubertät entfremdete sie zusätzlich von ihrem Körper und sie fühlte sich nirgends so richtig zugehörig. In dieser schwierigen Zeit gab ihr Basketball Halt und wuchs ihr ans Herz. Sie spielte bis zum Ende ihrer Schulzeit mit 18 Jahren. «Ich mag, dass es ein schneller Sport ist und Teamarbeit erfordert», sagt sie. « Wer länger mit demselben Team spielt, entwickelt eigene Strategien und schöpft aus den unterschiedlichen Stärken der anderen Spieler*innen.»

Zwei Coming-outs auf der Reise Mit 19 Jahren outete sich Maud als nicht-binär – «relativ spät», wie sie selbst findet. Sie begab sich in Therapie und tauschte sich mit Gleichgesinnten in der Community aus, die sich ähnlich fühlten wie sie. In der Nicht-Binarität fand sie Antworten, nach denen sie jahrelang gesucht hatte, und die Freiheit, sich frei gemäss ihrer Identität zu entfalten.

Ich musste in keine Schiene passen und nahm mir kleine Schnittchen, die gerade zu mir passten – egal, ob diese nun typisch männlich, weiblich oder neutral waren

«Ich musste in keine Schiene passen und nahm mir kleine Schnittchen, die gerade zu mir passten – egal, ob diese nun typisch männlich, weiblich oder neutral waren», erklärt sie. «Ich entfaltete mich im Kleidungsstil, in meiner Sprache, in der Körpersprache und in all den vielen Dingen, mit denen man Gender ausdrücken kann.»

In dieser Zeit des Ausprobierens realisierte Maud, dass sie sich auf dem Spektrum immer mehr in Richtung Weiblichkeit orientierte. «Auf einmal war das mehr verletzend als befreiend und ich realisierte, dass ich mich viel wohler als Frau statt als nicht-binäre Person fühlte», sagt sie. Statt alle Pronomen wollte sie nur noch «sie» und «they» verwenden. Maud hatte ein zweites Coming-out: als Frau.



Seit zwei Jahren lebt Maud, heute 25 Jahre alt, nun als Frau. «Dieser Schleier ist endlich weg, der mich in meiner gesamten Kindheit und Jugend unterdrückte und bei dem ich nicht wusste, dass nur ich ihn hatte und alle anderen nicht», sagt sie. «Ich bin im Leben angekommen, das ich schon immer hätte leben sollen. Heute lebe ich mein Leben und schwebe nicht hindurch in der Hoffnung, dass mir nichts widerfährt.»

Nur etwas fehlte in Mauds neuem Leben: Basketball. Übers Internet wurde sie auf das Basketballteam von Aufschlag Wien aufmerksam, in dem vor allem queere Frauen spielen. «Sie waren von Anfang an sehr offen und sahen mich als Teil der Gruppe an, obwohl ich damals noch keine Hormone nahm», sagt sie. «Mir war es wichtig, einen Safe Space zu haben, der mich mit einem cis-männlichen Körper akzeptierte. Und es war nie ein Problem.»

Aufschlag Wien
Aufschlag Wien

Mit ihren 193 cm ist Maud die grösste im Team, sie ist auch die einzige trans Frau. Zu ihren Stärken zählt sie ihre Ballkontrolle und ihren Vorteil als Linkshänderin auf dem Spielfeld. Und ihre Schwächen? «Meine Treffsicherheit», sagt sie lachend.

Eine hitzige Debatte um Testosteron Ernster wird sie beim Thema trans Frauen im Sport, das in den letzten Jahren vermehrt in den öffentlichen Diskurs gerückt ist. Wiederholt für Schlagzeilen sorgten internationale Sportverbände, die trans Frauen vom Spitzensport ausschlossen, darunter etwa der Leichtathletik-Weltverband World Athletics. Dieser sprach 2023 ein Teilnahmeverbot von trans Frauen bei offiziellen Wettkämpfen aus, die die männliche Pubertät durchlaufen haben. Gegen eine ähnliche Regelung des Internationalen Schwimmverbands World Aquatics reichte die trans Schwimmerin Lia Thomas im Januar 2024 eine Beschwerde beim Internationalen Sportgerichtshof in Lausanne ein.

Widerstand regte sich auch in der Allgemeinbevölkerung, was sich in teils menschenverachtenden Kommentaren in den sozialen Medien zeigt, aber auch bei vereinzelten Sportlerinnen. Im Mai 2024 weigerte sich die Dartsspielerin Deta Hedman, gegen ihre Kontrahentin Noa-Lynn Leuven anzutreten, weil diese trans sei. Eine ausgesprochene Kritikerin von trans Frauen im Frauensport ist auch die ehemalige Tennisspielerin Martina Navratilova, die als offen lesbische cis Frau selbst Teil der LGBTIQ-Community ist.

Die Eurogames in Wien

Nach 2022 in Nijmegen (Niederlande) und 2023 in Bern finden die Eurogames 2024 vom 17. bis 20. Juli in Wien statt. Der queere Multisportevent existiert seit über 30 Jahren und steht allen Sportler*innen offen, ungeachtet ihrer Leistungsklasse, sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität. Getragen wird der Event von der European Gay & Lesbian Sports Federation (EGLSF), der Dachverband von über 130 LGBTIQ-Sportvereinen in Europa. Für die Eurogames in Wien ist die Anmeldung für Teams bereits geschlossen, Einzelsportler*innen können sich bis zum 15. Juni registrieren: eurogames2024.at



Für Maud sind die Unterschiede der verschiedenen Sportarten zu gross und die Anzahl durchgeführter Studien über trans Frauen zu klein, um eine pauschale Aussage über Transgeschlechtlichkeit im Frauensport treffen zu können. Sie macht drei Beispiele, weshalb die Frage einer möglichen Überlegenheit von trans Frauen sportartenspezifisch und anhand weiterer Studien untersucht werden müsse.

Die Diskussion über trans Frauen im Sport wird zu sehr vom Testosteronwert dominiert

«Die Diskussion über trans Frauen im Sport wird zu sehr vom Testosteronwert dominiert», sagt sie. «Dabei gibt es eine Studie, die besagt, dass trans Frauen unter Hormontherapie oft sogar noch tiefere Testosteronwerte aufweisen als cis Frauen. Dann gab es auch Fälle von cis Frauen, die aufgrund hoher natürlicher Testosteronwerte von Wettkämpfen ausgeschlossen wurden.» (Maud spricht von der offen lesbischen Leichtathletin Dutee Chand und erwähnt die Studie von Dr. Joshua D. Safer und Kolleg*innen, die in der Zeitschrift The Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism erschien, Anm. d. Red.)

Maud von Aufschlag Wien
Maud von Aufschlag Wien

Ein weiteres Beispiel sei die Praxis, dass trans Sportlerinnen oft mit der weiblichen Allgemeinbevölkerung verglichen würden, um die Ergebnisse dann auf das Niveau von cis Spitzensportlerinnen zu extrapolieren. «Trans Frauen sind durchschnittlich grösser als cis Frauen. Professionelle Basketballspielerinnen sind das aber auch», sagt Maud, die zurzeit ihren Master in Bioinformatik studiert.



Als drittes Beispiel führt sie die Sportverbände auf, die trans Frauen in der weiblichen Kategorie zulassen, darunter zum Beispiel Tennis oder Powerlifting. «Die Befürchtung, trans Frauen seien cis Frauen überlegen, hat sich dort nicht bewahrheitet», sagt sie. «Daher empfinde ich es als unfair, uns pauschal auszuschliessen.»

Mit Hobbysport zur Inklusion Angesichts der öffentlich aufgeladenen Diskussion um trans Frauen im Profisport sei es umso wichtiger, trans Personen im Hobbysport zu inkludieren. Eine wichtige Rolle spielen dabei queere Sportevents wie die Eurogames, die für Maud eine bereichernde Erfahrung waren. «Die Woche in Bern war überraschend toll», sagt sie.

Sie erinnert sich an eine Stadt voller Regenbogenfahnen, an das Euro-Games-Village als Treffpunkt aller Sportler*innen und an eine durchwegs positive Stimmung. «Die Teilnehmer*innen waren beim Basketballturnier, um Spass zu haben, aber auch um zu performen – das Beste aus beiden Welten, ohne dass es zu kompetitiv wurde oder es ums Ego ging.»

Maud von Aufschlag Wien
Maud von Aufschlag Wien

In Wien wird es auch ein Pride Village geben sowie eine offizielle Eröffnungs- und Abschlussfeier der Eurogames. Die Bewerbung für die Austragung des grössten LGBTIQ-Sportevents Europas hatte Aufschlag Wien 2021 gemeinsam mit dem queeren Wiener Schwimmverein Kraulquappen eingereicht.

Im Organisationskomitee sind Mitglieder beider Vereine vertreten, darunter auch Maud. Mit ihrem Hintergrund als Data Analyst betreut sie zusammen mit anderen das Registrationssystem, in dem die über 3000 Athlet*innen erfasst sind. Obwohl sie beim Basketballturnier mitspielen wird, will sie sich an den anderen Tagen als Freiwillige für die Eurogames engagieren. «Es ist mir wichtig, der Community etwas zurückzugeben.»

Seit ich die Hormontherapie angefangen habe, kann ich jeden Tag in den Spiegel sehen und mich ein bisschen mehr erkennen als am Tag zuvor

Dazu gehört für Maud die Medienarbeit und als Teil der Trans-Community sichtbar zu sein. «Seit meiner Transition habe ich viel mehr Energie, bin viel positiver eingestellt und fühle mich wohl in meinem Körper», sagt sie. «Seit ich die Hormontherapie angefangen habe, kann ich jeden Tag in den Spiegel sehen und mich ein bisschen mehr erkennen als am Tag zuvor.»

Es gibt was Frisches auf die Ohren, die erlesensten unter den neuesten queeren Alben – und obendrauf unsere Playlist für einen sphärischen Sommer (Jetzt reinhören!).

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