Stephen Fry kehrt mit «Treasure» ins Kino zurück
Die schwule Schauspiellegende stellte den Film in Berlin vor
Im neuen Film von Julia von Heinz spielt Stephen Fry («Oscar Wilde») an der Seite von Lena Dunham. Basierend auf dem Roman «Zu viele Männer» geht es um eine tragikomische Vater-Tochter-Geschichte, Anfang der 1990er in Polen. Premiere war bei der Berlinale, diese Woche kam der Streifen regulär ins Kino.
In Grossbritannien ist Stephen Fry eine kulturelle Institution. In den 1980er Jahren wurde er als Comedian bekannt, er moderiert populäre Quiz-Sendungen und führt durch Dokumentationen, hat Romane veröffentlicht, als Sprecher Hörbücher und Radiosendungen verantwortet und auch schon einen eigenen Film inszeniert. Ausserdem kennt man den 1957 geborenen Londoner natürlich als Schauspieler, aus so unterschiedlichen Filmen wie «Der Hobbit: Smaugs Einöde» oder zuletzt in der Gay Romance «Royal Blue» (MANNSCHAFT berichtete).
Nachdem Fry, der seit 2015 mit dem Komiker Elliott Spencer verheiratet ist, zuletzt vor allem kleine Auftritte in Serien wie «It’s a Sin» (MANNSCHAFT berichtete) oder «The Morning Show» hatte (aber auch in «A Very English Scandal»), spielt er nun die männliche Hauptrolle in «Treasure» (seit 12.9. im Kino) der deutschen Regisseurin Julia von Heinz. MANNSCHAFT traf ihn in Berlin zum Interview.
Mr. Fry, dass Sie mal Interview zu einem deutschen Film geben würden, hätten Sie vermutlich auch nicht gedacht, oder? In der Tat nicht. Vor etlichen Jahren stand ich mal in einem Studio in Köln für einen Werbespot vor der Kamera, das war bislang meine einzige Arbeitserfahrung in Deutschland. Deswegen war ich jetzt begeistert, bei der Arbeit an «Treasure» wochenlang von einem deutschen Team umgeben zu sein. Denn ich liebe ja eigentlich alles, was mit Deutschland zu tun hat: die Sprache, die Geschichte, die Menschen!
Also waren Sie auf Anhieb begeistert, als die deutsche Regisseurin Julia von Heinz bei Ihnen anklopfte? Auf jeden Fall war ich sofort neugierig und habe sofort das Drehbuch gelesen. Mich begeisterte die Wahrhaftigkeit, mit der hier über den Holocaust erzählt wird – und vor allem die weitreichenden Folgen, die er hatte und noch immer hat. Denn bei einem so monumentalen, unfassbaren Ereignis geht es ja nicht nur um die Folter, den Hunger und den Tod, den die unmittelbar betroffenen Opfer zu erleiden hatten. Auch die Überlebenden sind für immer davon gezeichnet. Und auch Angehörige und Nachfahren werden davon geprägt. Die Geschichte von Lily Brett, auf der unser Film basiert, zeigt das ganz deutlich. Und «Treasure» ist wirklich ein eindrückliches Porträt eines Mannes, der Auschwitz überlebt hat. Was ja, wie man nicht vergessen sollte, nichts ist, was einem passiv passiert.
Wie meinen Sie das? Nun, um Auschwitz zu überleben, musste man Unsagbares leisten. Man musste seine Menschlichkeit aufgeben. In dem Sinn, dass man nicht hilft, wenn neben einem jemand ohnmächtig zusammenbricht, denn sonst wird man selbst zu Tode geprügelt. Man wirft seine Moral über Bord; man macht und sagt nichts, auch wenn man die unerträglichsten Dinge mitansieht, die Menschen einander antun können. Da entsteht eine seltsame Mischung aus dem sogenannten Überlebenden-Syndrom und den Schuldgefühlen darüber, was man schweigend beobachtet hat.
Im Film geht es nun darum, dass der von Ihnen gespielte Edek seine Erfahrungen eben nie mit seiner Tochter geteilt hat … Was ich gut verstehen kann. Nach allem, was er durchgemacht hat, schafft er es nach New York und wird Vater einer kleinen Tochter. Warum würde er die hineinziehen wollen in jene Welt, die er gerade mit viel Mühe hinter sich gelassen hat? Man will doch, dass sie nach vorne blickt, das Leuchten der Zukunft sieht, den amerikanischen Traum.
Aber natürlich hat seine Tochter Ruth einen eigenen Kopf und spürt den starken Wunsch, tief einzutauchen in ihre Familiengeschichte. Diesen Clash gab und gibt es in vielen jüdischen Familien und allgemein im Umfeld von Trauma-Überlebenden.
Ruth wird gespielt von Lena Dunham. Kannten Sie beide sich? Nein, wir waren uns nie begegnet. Aber ich war ein Fan, seit ich damals ihre Serie «Girls» gesehen habe, die mich durch ihren Mut, ihren Witz, ihr Selbstvertrauen und ihre unverschämte Brillanz begeisterte. Ich freute mich unglaublich darauf, mit ihr zu arbeiten, auch wenn ich mir ausmalte, dass sie sehr Respekt einflössend sein würde. Stattdessen war sie vom ersten Moment an hinreissend und wir wurden schnell Freude.
Sie verbinden auch einige Gemeinsamkeiten, angefangen mit der Tatsache, dass Sie eben beide nicht nur schauspielerisch, sondern auch als Autor*innen tätig sind. In der Tat, und für uns beide ist in der Arbeit in der Regel der Humor der erste Ansatzpunkt. Auch sonst stellten wir ein paar Parallelen fest, etwa in den Familiengeschichten. Unsere Mütter stammen beide aus zentraleuropäischen, jüdischen Familien.
Ihren eigenen jüdischen Wurzeln sind Sie 2006 im Rahmen der BBC-Sendung «Who Do You Think You Are?» nachgegangen. In dem Kontext sind Sie auch erstmal nach Osteuropa gereist, richtig? Bis dahin war ich nur in Österreich gewesen. Meine Grosstante Dita und mein Onkel Rudi hatten einst einen Laden in der Getreidegasse in Salzburg, nicht weit von Mozarts Geburtshaus. Das Geschäft gibt es heute noch. In den Tagen nach dem Anschluss 1938 packten sie so viel tragen können ein und machten sich davon nach Paris, später nach London und weiter nach New York. Diesen beiden und ihre Geschichte kannte ich gut. Aber über den Rest meiner mütterlichen Verwandtschaft wusste ich sehr wenig, da wurde kaum drüber gesprochen. Erst im Rahmen dieser BBC-Show forschte ich intensiver nach und musste natürlich feststellen, dass alle Wege – wie eigentlich in jeder jüdischen Familie im Europa des 20. Jahrhunderts – nach Auschwitz führen.
Vergangenes Jahr haben Sie im britischen Fernsehen auch eine bewegende Rede gehalten mit Blick auf wachsenden Antisemitismus in Grossbritannien, auch nach dem Überfall der Hamas vom 7. Oktober 2023. Vielen Menschen wurde erst dadurch bewusst, dass Sie selbst Jude sind! Dadurch, dass ich nicht religiös bin, war meine jüdische Identität die meiste Zeit meines Lebens auch eigentlich nur ein spannendes, exotisches Detail meines Lebens, von dem ich nebenbei erzählt habe. In erster Linie war ich immer das, was man wohl einen typischen Briten durch und durch bezeichnen könnte: Privatinternat, dann Cambridge, Sendungen in der BBC, Cricket-Fan und eine Stimme, die so klingt wie sich Tweed anfühlt. Dass ich nebenbei ein stolzer schwuler Mann bin, war dann stets die erste Besonderheit, mit der die Menschen konfrontiert wurden. Aber mindestens genauso stolz bin ich eben darauf, dass die Familie meiner Mutter den Holocaust überlebt und sich ein erfolgreiches Leben in England aufgebaut hat. Diese Wurzeln zu verstecken, wäre mir nie in den Sinn gekommen.
Die Ereignisse des vergangenen Jahres brachten Sie dann dazu, offensiver damit umzugehen? Die Stimmung heizte sich damals auf, die Zahl der antisemitischen Übergriffe stieg nach dem 7. Oktober (MANNSCHAFT berichtete). Das musste ich meine Herkunft bewusster herausstellen. Rechte Zeitungen veröffentlichten Listen britischer Juden, und ich hatte kein Interesse, mich von Antisemiten definieren zu lassen. Das erinnerte mich an die Zeiten, als die Klatschpresse früher drohte, die Homosexualität von Prominenten öffentlich zu machen. Auch da sind viele von uns dann lieber selbst stolz und offensiv nach vorne getreten und haben dieses vermeintliche Geheimnis freiwillig zum Thema gemacht.
Genau das macht ja Antisemitismus so grundlos und fürchterlich
Trotzdem will ich nochmal betonen, dass ich keinerlei Sympathie für Netanyahu und die israelische Regierung habe, auch nicht für die Siedler in den besetzten Gebieten oder für die orthodoxe, fundamentalistische Seite der jüdischen Religion. Mein Jüdischsein ist kein religiöses oder kulturelles, sondern lediglich in meinem Blut zu finden ist. 53 Prozent jüdisch, denn mein Vater war, ohne dass er das vor seinem Tod je erfahren hat, auch zu drei Prozent jüdisch. Sie sehen also schon: letztlich ist das geradezu willkürlich – und genau das macht ja Antisemitismus so grundlos und fürchterlich.
«Royal Blue»: Wie geht es mit Prinz Henry und Alex im Sequel weiter? (MANNSCHAFT berichtete)
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