Russland stuft «Inter­natio­nale LGBT-Be­wegung» als Terror­gruppe ein

Queere Organisationen fordern die EU und alle Mitgliedsstaaten zum sofortigen Handeln auf

Protest gegen Wladimir Putin (Foto: Daniel Schäfer/dpa)
Protest gegen Wladimir Putin (Foto: Daniel Schäfer/dpa)

Während in Russland am Freitag der reale IS-Terror zuschlug, im Veranstaltungszentrum Crocus City Hall nahe Moskau, setzte die Regierung am gleichen Tag die «LGBT-Bewegung» auf ihre Liste der vermeintlichen terroristischen und extremistischen Organisationen.

Die entsprechende Liste wird von der Behörde Rosfinmonitoring geführt, die Präsident Putin unterstellt ist. Sie überwacht Finanzströme und kann u.a. die Konten von Personen und Organisationen einfrieren, die sie als Terrorist*innen bzw. Extremist*innen einstuft.



Kreml-Kritiker Alexej Nawalny war vor zwei Jahren auf die Liste gesetzt worden, ausserdem finden sich dort Al-Qaida neben dem US-amerikanischen Technologieunternehmen Meta, zu dem Facebook und Instagram gehören.

Laut der staatlichen Nachrichtenagentur RIA gelte der neue Listeneintrag «der internationalen LGBT-Bewegung und ihren Strukturen»; was vage formuliert ist und entsprechend vielfältig angewendet werden kann.

Zehn Jahre Haft Bereits Ende 2023 hatte das Oberste Gericht Russlands – auf Antrag des Innenministeriums – die nicht genauer definierte «internationale LGBT-Bewegung» als «extremistisch» verboten (MANNSCHAFT berichtete). Das bedeutet, dass seither jede*r, der oder die Aktivitäten organisiert, die als «LGBT» eingestuft werden können, nach dem Extremismusparagrafen des Strafgesetzes zu maximale zehn Jahren Haft verurteilt werden kann.

Für die «Verbreitung» von entsprechenden Materialien drohen bis zu fünf Jahre Haft. Nach Inkrafttreten des Gesetzes im November 2023 kam es zu verstärkten Razzien, verschiedene noch verbleibendende Szeneeinrichtungen wurden geschlossen (MANNSCHAFT berichtete).

Etliche LGBTIQ-Organisationen waren in den letzten Jahren bereits ins Ausland geflüchtet, weil gegen sie der Vorwurf erhoben wurde, sie seien «internationale Agent*innen», die entsprechend verfolgt wurden. Sogar den beiden russisch-ukrainischen Autorinnen des – vergleichsweise harmlos erscheinenden – Erfolgsromans «Du und ich und der Sommer» mit seiner bewegenden schwulen Liebesgeschichte wurde dieser Vorwurf gemacht (MANNSCHAFT berichtete), sie flüchteten bereits 2022 nach Rostock bzw. in die Ukraine.

schwul
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«Nie dagewesene Steigerung der systemischen Unterdrückung» Verurteilungen nach dem Gesetz vom November kann es schon geben, wenn man nunmehr einen Regenbogenohrring trägt. Eine Frau wurde laut Medienberichten deswegen zu fünf Tagen Haft verurteilt. Nun ist mit der Einstufung der «internationalen LGBT Bewegung» als «Terrorgruppe» die nächste Eskalationsstufe erreicht.

Als Reaktion darauf veröffentlichte die Organisation Forbidden Colours in Brüssel am Freitag ein Statement. Darin drückt sie ihre «tiefe Empörung» darüber aus, was gerade in Russland passiert.



Laut Rémy Bonny, dem Direktor von Forbidden Colours, markiere diese Aktion der russischen Regierung «eine nie dagewesene Steigerung der systemischen Unterdrückung von LGBTIQ+ Personen in dem Land», was eine «himmelschreiende Verletzung von grundsätzlichen Menschenrechten» sei.

LGBTIQ Podcast
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«Die Zeit der diplomatischen Zurückhaltung ist vorbei» Indem die russische Regierung jetzt die queere gesamte Community mit terroristischen Organisationen gleichsetze, werde die Tür «weit geöffnet», um noch mehr Diskriminierung, Gewalt und Verfolgung zu ermöglichen.

Bonny spricht von «abscheulichen und unbegründeten Massnahmen» und fordert die EU und alle ihre Mitgliedsstaaten auf, «stark und gemeinsam» auf diese «Provokation» zu reagieren. Russland müsse für diese staatlich vorangetriebene Homo- und Transphobie zur Verantwortung gezogen werden, heisst es.

Laut Bonny stelle Forbidden Colour derzeit ein Liste russischen Agent*innen zusammen, die innerhalb der EU bewusst Anti-LGBTIQ-Desinformationen verbreiten würden. Solche Aktionen seien, so Bonny, gedacht, um die EU und westliche Demokratien zu destabilisieren.

«Die Zeit des Schweigens und von diplomatischer Zurückhaltung ist vorbei», sagt Bonny.

Sean Gunn wurde 1993 in Simbabwe geboren, für sein Land trat er 2016 bei den Olympischen Sommerspielen in Rio an. Nun erzählt er von seinem Coming-out (MANNSCHAFT berichtete).

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