«Rainer war ein Freund, aber einfach nie mein Typ»

Harry Baer über die langjährige Zusammenarbeit mit Rainer Werner Fassbinder

Arbeiteten dreizehn Jahre zusammen: Harry Baer (links) und Rainer Werner Fassbinder (Bild: Belleville Verlag)
Arbeiteten dreizehn Jahre zusammen: Harry Baer (links) und Rainer Werner Fassbinder (Bild: Belleville Verlag)

Die deutsche Filmlegende Rainer Werner Fassbinder hat das Leben des Schauspielers und Produzenten Harry Baer massgeblich beeinflusst – sogar für dessen Nachnamen ist er verantwortlich. Richtig loslassen konnte Baer ihn nie, wie er nun in seiner neuen Autobiografie offenlegt.

Herr Baer, es ist in diesem Juni 38 Jahre her, dass Rainer Werner Fassbinder gestorben ist. Nervt es Sie nicht gewaltig, dass Sie immer noch über ihn sprechen müssen? Manchmal schon, natürlich. Weil man immer wieder die gleichen Fragen hört. Und auch weil man immer wieder zu erklären versuchen muss, wie Fassbinder wirklich war. So einfach, wie er bis heute auch von manchen Wegbegleitern in irgendwelchen Heiligenbildchen dargestellt wird, war er nämlich nicht. Andererseits spreche ich aber auch gerne über ihn. Schliesslich waren die 13 Jahre an seiner Seite die wichtigsten in meinem Leben. Logischerweise ist auch davor und danach jede Menge passiert, aber das war ohne Frage die intensivste Erfahrung, die ich je im Bereich Film gemacht habe.

Umfangreiche Fassbinder-Retrospektive zum 75. Geburtstag

Immerhin bekommt das Davor und Danach in Ihrem neuen Buch «Das musste ausgerechnet mir passieren – Mein Leben mit und ohne Fassbinder» genügend Raum . . . Das war einer der Gründe, warum ich vor zehn Jahren angefangen habe, alle meine Erinnerungen zu Papier zu bringen.

Spukt Fassbinder denn dauerhaft in Ihrem Kopf herum? Früher auf jeden Fall. Nach seinem Tod hatte ich sogar Albträume und bin manchmal mit Angstschweiss aufgewacht, weil ich wieder und wieder «Berlin Alexanderplatz» mit ihm drehen musste. Das wurde dann besser, aber erst vor ein paar Jahren merkte ich wirklich, dass diese Last ganz unbemerkt von mir abgefallen war. Nicht dass er ganz weg war, schliesslich sprechen wir ja gerade auch wieder über ihn. Aber er ist nicht mehr so dauerhaft präsent. Nur wenn so etwas ansteht wie sein Geburtstag Ende Mai. 75 Jahre wäre er dann geworden, unglaublich eigentlich.

Der Spielfilm «Enfant terrible» von Oskar Roehler sollte eigentlich Ende Mai in die Kinos kommen, nun ist er wegen Corona auf den Herbst verschoben. Ist Roehlers Fassbinder-Biopic denn gelungen? Leider überhaupt nicht. Erstens raucht und säuft Rainer in jeder einzelnen Einstellung, ab der Hälfte des Films kokst er dann auch noch in jeder Einstellung. Das hätte nicht mal er länger als drei Tage durchgehalten! Und zweitens die Sexszenen . . . sagen wir es mal so: ausser der Missionarsstellung ist Roehler da nichts eingefallen.

Oh! Ja, leider. Das ist ein bisschen wie damals das Biopic über Marlene Dietrich. Ich fand immer, dass das nur ein schwuler Regisseur machen kann, der niederkniet vor dieser Dame. Wer hats gemacht? Der Vilsmaier, das gestandene bayerische Mannsbild. Gott hab ihn selig, aber der konnte es halt nicht. Das ist bei Roehler das gleiche Problem.

Mit Marco Kreuzpaintner, in dessen Film «Coming In» Sie mitgespielt haben, gab es ja mal einen schwulen Regisseur, der einen Spielfilm über Fassbinder drehen wollte . . . Marco und ich sind befreundet und hätten den Film damals sehr gerne gemacht. Leider sorgte man dafür, dass wir nicht genug Geldquellen für das Projekt anzapfen konnten. Dem WDR und anderen Sendern wurde gedroht, nie wieder einen Fassbinder-Film ausstrahlen zu dürfen, wenn sie sich an unserem Biopic beteiligten. Dieses Risiko war denen verständlicherweise zu hoch.

«Eine Art Gay Mafia gab es in Hollywood durchaus»

Kommen wir vom fiktiven Fassbinder zum realen. Sie haben mal gesagt, dass Sie ohne ihn vermutlich als Familienvater in der Provinz gelandet wären. Glauben Sie das wirklich? Für den Anfang mit Sicherheit. Ich wollte ja eigentlich Lehrer werden. Beamter, mit Frau und zwei Kindern, das war tatsächlich der Plan: Der lange Marsch durch die Institutionen. Heute finde ich diesen Gedanken ganz schrecklich, zumindest für mich selbst. Vermutlich wäre ich dann in Niederbayern gelandet, aber wahrscheinlich todunglücklich geworden und irgendwann nach München abgehauen und hätte sie sitzenlassen. Kein feiner Zug, aber so ungerecht ist halt das Leben.

Der Gedanke, dass Sie vielleicht bisexuell oder schwul sein könnten, war Ihnen da noch nicht gekommen? Ich hatte damals wirklich keine Ahnung, was das heisst: homosexuell. Nicht die geringste. Deswegen war ich anfangs ja auch so entsetzt, als Rainer mich nach Paris einlud und da unsittlich berührte. Ich wusste überhaupt nicht, was er wollte. Als er mich dann am nächsten Tag mit in die Schwulensauna nahm, wurde es mir klar. Und irgendwann habe ich dann auch gelernt, wie das geht mit den Männern.

Tatsächlich kann man Ihrem Buch entnehmen, dass Sie längere Beziehungen nur mit Männern hatten, richtig? Das stimmt. Die längste fing in München an und endete in Berlin. Die ging im Prinzip über 14 Jahre, was ich erstaunlich lang finde. Gut und gerne zehn Jahre davon waren auch richtig schön, danach wurde es eklig, wie das halt manchmal leider so ist. Eine längere Beziehung mit einer Frau hatte ich nie. Sex ja, aber ich habe mich nie richtig in eine verknallt.

Und mit Fassbinder lief auch nie etwas, oder? Das ging für mich einfach nicht, auch als ich dann verstanden hatte, worum es ihm anfangs gegangen war. Rainer war ein Freund, aber einfach nie mein Typ. Das wäre höchstens mal im Vollsuff gegangen, aber so weit ist es zum Glück nie gekommen. Und er war scheinbar nach unserem Paris-Trip auch bedient. Den jungen hübschen Kerl hatte er doch noch auf die richtige Bahn geschubst, das reichte ihm. Und seine eigentliche, grosse Zuneigung galt ohnehin dem Günther Kaufmann, komplett und in jeder Hinsicht. Das habe ich natürlich auch gemerkt.

Der ja aber tatsächlich nicht schwul war . . . Was das Sexuelle angeht, weiss ich viel zu wenig, was zwischen den beiden wirklich lief. Aber ich weiss, dass der Günther sehr wohl seine Karriere im Blick hatte, und zwar immer und zuallererst. Seine Frau hat er damals hintangestellt, das war auf jeden Fall nicht die feine englische Art. Aber es hat sich ja gelohnt, wenn man so will, schliesslich war er bis zum Schluss immer wieder in Filmen mit dabei, bis hin zu «Querelle». Und mit «Whity» hat ihm Fassbinder ja schon zu Lebzeiten ein filmisches Denkmal gesetzt. Trotzdem war ich da nie eifersüchtig, das war mir wirklich scheissegal. Mir wäre das im Gegenteil viel zu anstrengend gewesen.

Fassbinder selbst dagegen beschreiben Sie als sehr eifersüchtig! Ja, am schlimmsten war es, als ich mit Hans-Jürgen Syberberg den Film «Ludwig – Requiem für einen jungfräulichen König» drehte. Dass ich da sogar die Titelrolle spielte, muss den Rainer sehr gefuchst haben. Obwohl ja Günther und die Ingrid Caven auch mitgespielt haben. Danach hat er schnell versucht, uns alle wieder unter seinen Mantel zu bekommen. Auch als ich mit Werner Schroeter im Libanon «Salome» drehte, stand er danach direkt wieder vor meiner Tür und bestand darauf, dass wir wieder etwas zusammen machen. Das war irgendwie seine Art, Zuneigung und Anerkennung zu zeigen.

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Hin und wieder haben Sie ja auch mal versucht, aus seinem Dunstkreis auszubrechen, oder? Ich habe nicht alles mitgemacht, zum Beispiel seinen Theaterwahnsinn, als er nach Frankfurt zum Theater im Turm oder zum Zadeck nach Bochum ging. Und mir fehlt da gar nichts, denn ich kenne aus diesen Zeiten eigentlich nur Horrorgeschichten. Aber ich bin eben auch eine treue Seele. Und wo Rainer war, war auch immer Arbeit für mich. Am Ende war ich der, der am längsten dabei war, vom Film «Katzelmacher» bis zum Schluss.

Nach Fassbinder Tod lief es beruflich oft weniger gut, damit gehen Sie in «Das musste ausgerechnet mir passieren» erfreulich ehrlich um. In München gab es dann erst einmal eh keine Jobs mehr für uns, also bin ich schliesslich 1985 auf nach West-Berlin. Und nach der Wiedervereinigung haben die Westproduzenten zunächst Leute aus dem Osten genommen, die waren billiger und die arbeiteten rund um die Uhr, wenn es sein musste, ohne Überstunden, versteht sich. Da habe ich auch Jobs bekommen, aber die wurden im Laufe der Zeit natürlich weniger. Je älter man wird, desto weniger interessieren sich die Leute für einen, das war schon immer so. Das ist der Preis des Ruhms: Er wird weniger. Frauen haben es da noch schwerer als wir, wenn sie nicht gerade Ausnahmeerscheinungen sind wie Hannelore Elsner.

Allerdings haben Sie – auch zu Fassbinder-Zeiten – nie nur als Schauspieler gearbeitet, sondern immer auch hinter der Kamera, etwa als Produktionsleiter. Welche Seite des Filmemachens liegt Ihnen letztlich mehr? Eigentlich die Arbeit hinter der Kamera. Aber ich gebe es zu: Ich bin auch eitel! In jungen Jahren, als ich rank, schlank und gutaussehend war, habe ich mich schon sehr gerne auf der Leinwand gesehen. Bei der Produktion hat man natürlich viel mehr Verantwortung. Aber vor der Kamera zu sitzen, schön auszusehen und kluge Sätze zu sagen – das ist mir schon auch manchmal runtergegangen wie Öl.

Harry Baer

Was als Aushilfsjob begann – ein bisschen Trommeln für ein Theaterprojekt –, wurde für Harry Baer zur Geschichte seines Lebens. Beim Antiteater in München begegnete er Ende der Sechzigerjahre Rainer Werner Fassbinder und wurde zu einem seiner engsten Mitarbeiter, Wegbegleiter und Freunde. Baer stand dem Filmemacher sowohl als Assistent oder Produktionsleiter hinter wie auch als Schauspieler vor der Kamera zur Seite, unter anderem in «Lili Marleen», «Querelle» oder dem Schwulendrama «Faustrecht der Freiheit». Fassbinders war es auch, der Baers Nachnamen Zöttl im Abspann des ersten gemeinsamen Films «Katzelmacher» geändert hatte, worüber sich Baer sehr ärgerte. Als Wiedergutmachung bot ihm Fassbinder die Hauptrolle in «Götter der Pest an». Nach Fassbinders Tod 1982 war Baer auch in Filmen wie «Im Himmel ist die Hölle los», «Westler» oder «Prinz von Hölleland» zu sehen, spielte im «Tatort» genauso mit wie im «Spreewaldkrimi». Er arbeitete mit Regisseur*innen wie Doris Dörrie, Mika Kaurismäki, David Wnendt oder Marco Kreuzpaintner («Coming In») zusammen.

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