Queerer Widerstand im Libanon: Pointen sind ihre Waffe

Shaden Fakih kennt keine Tabus

Shaden Fakih (Bild: Aline Deschamps)
Shaden Fakih (Bild: Aline Deschamps)

Für die libanesische Comedienne Shaden Fakih gibt es keine Tabus: Auf der Bühne macht sie Witze über die korrupte Elite ihres Landes, toxische Männlichkeit, die Menstruation und Sex. Damit ist sie zum Star der queeren Szene und zur Provokation für die libanesischen Behörden geworden.

Von: Stella Männer

Wenn du schnell beleidigt bist, ist diese Veranstaltung nichts für dich – dieser Satz steht in dicker weisser Schrift auf einem schwarzen Aufsteller vor dem Eingang des Théâtre Tournesol im Beiruter Stadtteil Tayouneh. Er ist Warnung und Versprechen zugleich: Der heutige Abend wird abseits gesellschaftlicher Normen verlaufen.

Es ist wie mit dem Staatsversagen im Libanon – alles nur eine Phase

Drinnen, auf der Bühne des ausverkauften Theaters, steht die 30-jährige Comedienne Shaden Fakih und erzählt, dass sie eine eineiige Zwillingsschwester hat. Die Leute würden immer gleich reagieren, sagt sie. Immer würden sie wissen wollen, ob ihre Zwillingsschwester auch lesbisch sei.

«Wer hat denn überhaupt gesagt, ich sei lesbisch?», ruft Shaden ins Publikum. «Meine Mutter sagt doch, es sei alles nur eine Phase.» Sie macht eine kurze Pause, dann fügt sie hinzu: «Es ist wie mit dem Staatsversagen im Libanon – alles nur eine Phase». Applaus und Lachen aus dem Publikum.

Sie spricht aus, was andere sich nur zu denken trauen Shaden Fakih ist eine der wenigen weiblichen Comediennes im Libanon. Vor gerade mal sechs Jahren stand sie das erste Mal auf einer Bühne, mittlerweile ist fast jede ihrer Shows in Beirut ausverkauft. 2022 tourte sie durch Europa, trat unter anderem in Paris, Berlin und Amsterdam auf. Und Shaden ist eine der wenigen Personen des öffentlichen Lebens im Libanon, die über ihre Homosexualität spricht. Auf der Bühne macht sie Witze über die Menstruation, queeren Sex und korrupte libanesische Politiker.

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 Shaden ist Teil einer Gruppe junger Libanes*innen, die in den Medien neben den Meldungen über die Wirtschaftskrise, den politischen Zerfall des Landes und die Explosion im Hafen von Beirut 2020 kaum Gehör findet. Es ist eine Generation, der Frauen- und LGBTIQ-Rechte wichtiger sind als eine Politik entlang alter religiöser Konfliktlinien. Shaden spreche Dinge aus, die sich viele Libanes*innen nur zu denken trauen, sagen ihre Fans.

Bild: Aline Deschamps
Bild: Aline Deschamps

Auf der Bühne des Theaters ist Shaden zum ersten Mal seit einer dreiviertel Stunde für einen kurzen Moment still. Sie wirft ihren Kopf vorne über, bindet die langen braunen Haare hoch und fächert sich mit der Hand Luft zu.

Während sie erzählt hat, ist sie in energischen Schritten über die Bühne gelaufen und hat das Mikrofon benutzt, um einen Penis zu imitieren. Jetzt läuft ihr Schweiss über Gesicht und Nacken. Als nächstes erzählt Shaden einen Witz, den sie lieber nicht in einer Zeitschrift abgedruckt sehen möchte. Es geht um Gott und um Sex.

Ich wusste damals nicht, dass meine Art zu erzählen Stand-up-Comedy ist

Für ihre Witze musste sie sich vor dem Militärgericht verantworten Begonnen hat Shadens Karriere vor sechs Jahren bei einem Poetry-Slam-Event. Shaden sass damals im Publikum und hörte den Speaker*innen zu. Als die Bühne zum Schluss der Veranstaltung für das Publikum geöffnet wurde, ging sie spontan zum Mikrofon und erzählte von ihrem Coming-out. Die Ironie, mit der sie ihre Worte wählte, brachte das Publikum zum Lachen. «Ich wusste damals noch nicht, dass meine Art zu erzählen Stand-up-Comedy ist. Es hat sich einfach natürlich angefühlt. Für mich war es normal, Pointen in meine Sätze zu packen. Ich habe erst später verstanden, was an meinen Sätzen die Leute zum Lachen bringt», erinnert sie sich.

Shaden Fakih
Shaden Fakih

Nach ihrem Auftritt fragten die Veranstalter sie als Speakerin für ihr nächstes Event an. Shaden sagte zu, genau wie zum nächsten Angebot, einem 30-Minuten-Auftritt bei einem Fundraising-Event. Zwei Wochen vor dem Auftritt bekam sie plötzlich Panik: «Ich hatte noch nie zuvor ein Stand-up-Programm geschrieben, wie sollte das gehen?», erinnert sie sich. Also versuchte sie, den Auftritt abzusagen. Doch der Veranstalter hatte bereits die Poster mit ihrem Namen gedruckt. Es war zu spät. «Das war mein Glück», sagt Shaden. «Dieses 30-Minuten-Programm war der Anfang von allem.» Als sie auf der Bühne stand, war die Panik verflogen und in Shadens Kopf nur noch ein Gedanke: «Das ist es, das ist meine Bestimmung.»

Fuck this! Ich werde meinen Job kündigen

Es folgten erste Auftritte in Bars und Theatern. Bald bekam sie immer höhere Gagen und in ihrem Kopf wuchs ein neuer Gedanke: «Fuck this! Ich werde meinen Job kündigen». Shaden arbeitete als Texterin in einer Werbeagentur. Ihre Kreativität zu nutzen, um mit Werbung den Kapitalismus anzukurbeln – davon hatte sie schon lange genug. Also ging sie zu ihrem Vorgesetzten, kündigte und gab ihm bei der Gelegenheit den Tipp mit auf den Weg, einen respektvolleren Umgang mit seinen Mitarbeiter*innen zu lernen. «Dann versuch doch, anderswo mehr Geld zu verdienen», habe ihr der Chef zum Abschied gesagt. «Und es hat geklappt», sagt Shaden und lacht. Sich Vollzeit auf Stand-up-Comedy konzentrieren zu können, habe ihrer Karriere einen «Boost» gegeben.

Sie fragte die Sicherheitsbeamten nach Slipeinlagen Doch nicht allen gefällt Shadens Erfolg. 2021 nahmen die libanesischen Behörden sie fest und verhörten sie. Der Vorwurf: Shaden habe dem öffentlichen Ansehen der Sicherheitskräfte geschadet. Sie beriefen sich auf ein Video, das Shaden während des Corona-Lockdowns auf ihrem Instagram-Account gepostet hatte. Die libanesische Regierung hatte damals spät auf die Coronavirus-Pandemie reagiert. Nach der Explosion im Hafen der Hauptstadt stand der Wiederaufbau der Stadt im Vordergrund. Während es in vielen anderen Teilen der Welt Ausgangssperren gab, führten die libanesischen Politiker kaum Beschränkungen ein. Erst als die Infektionszahlen Anfang 2021 extrem anstiegen, verhängte die Regierung von einem Tag auf den anderen einen mehrwöchigen kompletten Lockdown. Das Haus zu verlassen war fortan verboten, nicht einmal die Supermärkte durften öffnen. Viele in der Bevölkerung fragten sich, wie sie sich versorgen sollten.



Also wählte Shaden die Nummer der libanesischen Sicherheitskräfte und fragte die Militärbeamten auf der anderen Seite, ob sie ihr Slipeinlagen vorbeibringen könnten. Sie habe ihre Tage, könne aber nirgends Periodenprodukte kaufen. Das Video des Anrufs, das Shaden auf Instagram veröffentlichte, ging viral. Im Juni 2022 folgte auf ihre Festnahme ein Prozess vor dem Militärgericht. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisierte die Vorladung als Angriff auf die Meinungsfreiheit. In der Verhandlung wurde Shaden zu einer Geldstrafe von 1,8 Millionen libanesischen Pfund verurteilt, was etwa dem Monatslohn eines Soldaten entspricht. Durch die Inflation war der Betrag damals auf dem Schwarzmarkt allerdings nur noch knapp 50 Euro wert.

Shaden Fakih
Shaden Fakih

«Das war es wert», sagt Shaden heute. «All diese Männer in dem verdammten Gericht mussten sich in der Verhandlung anhören, wie ich über die Periode spreche, was für ein Erfolg!» Shaden lacht, ihre rauchige Stimme klingt mittlerweile heiser. Die Show im Théâtre Tournesol ist zu Ende. Shaden sitzt vor der Eingangstür des Theaters. Während sie von der Verhandlung erzählt, zieht sie immer wieder an einer Zigarette. Hatte sie keine Angst vor schlimmeren Konsequenzen? «Ich fühle keine Angst», sagt Shaden. «Wirklich nicht».

«Sie verdrängt die Gefahr nur», Shadens Zwillingsschwester Bane unterbricht das Gespräch. Während der Show hat sie im Publikum gesessen, sie hat gewartet, als Shaden Fotos mit ihren Fans gemacht hat, jetzt möchte sie eigentlich los. «Alle um sie herum leben in der ständigen Angst, dass Shaden etwas zustossen könnte», führt sie fort. «Es gibt so viele Fanatiker da draussen, die Menschen im Namen Gottes umbringen, für Dinge, die viel harmloser sind als die Witze, die Shaden erzählt.»

Unter Shadens Videos auf Youtube ist allzu sichtbar, wovon Bane spricht. Neben Zuspruch («Du bist die Beste») sammeln sich hier auch Hasskommentare. Menschen bezeichnen sie als «Schande» und als «moralischen Abschaum», drohen ihr, sie solle Allah aus ihren Witzen raushalten und sprechen ihr das Recht ab, Muslima zu sein.

Bane Fakih
Bane Fakih

Und der Hass bleibt nicht im Internet: Die gewaltbereite rechtsradikale christliche Gruppe Jnoud el-Rabb drohte damit, einen ihrer Auftritte zu stürmen. Die selbsternannten Soldaten Gottes sehen Homosexualität als das Werk Satans an und kämpfen für die Ausrufung eines sogenannten «christlichen Staates» im Libanon. Um Shaden zu schützen, war auch an diesem Abend ein Team aus Bodyguards vor Ort. Vor dem Einlass kontrollierten die Männer die Taschen aller Zuschauer*innen, während der Show liefen sie durch die Reihen und stellten sicher, dass niemand Ton- oder Videoaufnahmen machte, die an die Öffentlichkeit geraten und gegen Shaden verwendet werden könnten. Und sie standen vor der Bühne, um zu verhindern, dass jemand auf Shaden springt. «Ich glaube nicht, dass ich jemals aufhören werde», sagt Shaden. «Mal ein Video löschen, ok, aber aufhören? Niemals! »

Die Kindheit ist geprägt vom kreativen Spiel Ein paar Wochen später in Hamra, einem muslimischen Stadtteil am anderen Ende von Beirut. Shadens Zwillingsschwester Bane sitzt auf dem Balkon der Familie Fakih. Hinter ihr geht die Sonne im Mittelmeer unter. «Shaden war schon immer selbstbewusst», erzählt sie, und: «Sie war schon immer eine Performerin.» Ihre gemeinsame Kindheit sei von kreativen Spielen geprägt gewesen. Als Kinder entwickelten Shaden und Bane fiktive Charaktere, die sie in Theaterstücken auftreten liessen, als Teenager gründeten sie eine Band: Bane spielte Gitarre und Shaden sang. Aus dieser kindlichen Kreativität könnten sie beide noch heute in ihre Arbeit schöpfen, erzählt Bane. Die 30-Jährige arbeitet als Drehbuchautorin für internationale Film- und Serienproduktionen.

«Unsere Eltern haben diese Kreativität gefördert, selbst wenn wir Müll produziert haben. Wollte eine von uns ein selbstgemaltes Bild wegwerfen, haben sie gesagt: Ich möchte es kaufen», erinnert sich Bane. «Unsere Band war maximal mittelmässig. Trotzdem haben sie all ihre Freunde zu unseren Auftritten eingeladen.»

Shaden Fakih
Shaden Fakih

Nicht immer seien die Eltern einer Meinung mit ihren Töchtern gewesen, erzählt Bane, aber sie hätten sie immer ernst genommen. Etwa als sie sich als erste der beiden Schwestern als lesbisch outete. Stundenlang habe ihr Vater mit ihr diskutiert, erinnert sich Bane. «Das Gespräch hat er aber mit den Worten begonnen: Du kannst werden, wer du willst, ich werde dich immer lieben.» Die Eltern schärften auch das Bewusstsein ihrer Kinder für die politischen Geschehnisse im Land. Als 2005 der libanesische Ministerpräsident Rafiq Hariri bei einem Sprengstoffattentat getötet wurde, in das höchstwahrscheinlich Mitglieder des syrischen Geheimdienstes verwickelt waren, nahm die Mutter sie mit auf eine Demonstration gegen die politische Einflussnahme anderer Länder im Libanon. «Mein Vater hat sich mit uns hingesetzt, eine 14-teilige Dokumentation über den libanesischen Bürgerkrieg mit uns geguckt und danach all unsere Fragen beantwortet», erinnert sich Bane.

Comedy ist mein Anteil im Kampf für einen sozialen und politischen Wandel

Der Blick für das Politische um sie herum ist Shaden geblieben: «Politik in Comedy zu verpacken, macht sie zugänglicher», erklärt sie. «Die Menschen im Libanon sind müde. Wir mussten mit ansehen, wie die Verbrecher, die für die Explosion im Hafen verantwortlich sind, einfach so ins Parlament zurückgekehrt sind, ohne juristisch zur Rechenschaft gezogen zu werden. Mit Comedy kann man Menschen noch erreichen. Comedy ist mein Anteil im Kampf für einen sozialen und politischen Wandel.»

«Die Geflüchteten tragen europäische Werte heim in die Ukraine». Sascha hat vor einem Jahr seine ukrainische Familie bei sich in Berlin aufgenommen und musste sein Schwulsein plötzlich wieder verstecken. Nun erzählt er, wie die Geschichte weiterging (MANNSCHAFT+).

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