Polen und Ungarn klagen vor EuGH gegen EU-Rechtsstaatsklausel
Ausgerechnet dieser Tage jährt sich die Erklärung der ersten sogenannten «LGBT freien Zone» in Polen in der Stadt Świdnik zum zweiten Mal
Nach einem Veto von Ungarn und Polen gegen den langjährigen EU-Haushalt gelang Ende 2020 in letzter Minute ein Kompromiss. Knackpunkt des Streits war die neue Rechtsstaatsklausel. Nun zieht Warschau vor das höchste EU-Gericht.
Polen klagt vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die neue Rechtsstaatsklausel im EU-Haushalt. Dies teilte die Regierung in Warschau am Donnerstag mit. Die obersten EU-Richter sollen prüfen, ob der neue Mechanismus zur Kürzung von EU-Geldern bei bestimmten Rechtsstaatsverstössen zulässig ist. Die Machtprobe Ungarns und Polens mit der EU geht damit in die nächste Runde.
Neben Polen klagt auch Ungarn vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gegen die neue Rechtsstaatsklausel im EU-Haushalt. «Wir können nicht zulassen, dass diese EU-Bestimmung, die schwerwiegend gegen EU-Recht verstösst, in Kraft bleibt», schrieb die ungarische Justizministerin Judit Varga am Donnerstag auf ihrer Facebook-Seite. Deshalb klage ihr Land zusammen mit Polen gegen die Rechtsstaatsverordnung.
Nach dem Austritt seiner Partei Fidesz aus der Fraktion der Europäischen Volkspartei will Ungarns Ministerpräsident Orbán die rechten Kräfte um sich sammeln, die nicht dem «LGBT-Wahn verfallen» sind – MANNSCHAFT berichtete.
Ausgerechnet dieser Tage jährt sich die Erklärung der ersten sogenannten «LGBT freien Zone» in der polnischen Stadt Świdnik zum zweiten Mal. Dazu wurde im Europäischen Parlaments eine fraktionsübergreifende Resolution ins Leben gerufen. Darin wird die EU zur «LGBTIQ Freedom Zone» erklärt, in der jede*r frei lieben und leben kann. Dies soll ein deutliches Zeichen an die LGBTIQ Community sein – und an alle Autokrat*innen und Homohasser*innen. Die Abstimmung ist an diesem Donnerstag geplant.
Polen und Ungarn lehnen den neuen Rechtsstaatsmechanismus im mehrjährigen EU-Finanzrahmen für die Jahre 2021 bis 2027 ab. Sie befürchten, dass der Mechanismus darauf abzielt, ihnen wegen umstrittener politischer Projekte EU-Mittel zu kürzen. (Im Sommer 2020 hatte die EU-Kommissarin für Gleichstellung, Dalli, angekündigt, dass sechs polnische Gemeinden, die Resolutionen zu «LGBT-freien Zonen» verabschiedet haben, keine europäischen Mittel für Städtepartnerschaften erhalten – MANNSCHAFT berichtete). Beide Länder bekommen netto hohe Milliardenbeträge aus dem EU-Haushalt. Gegen beide läuft zugleich ein Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge wegen mutmasslicher Missachtung von EU-Grundwerten.
Warschau und Budapest hatten wegen des Streits Ende 2020 zeitweise den neuen EU-Haushaltsrahmen inklusive der geplanten Corona-Hilfen mit einem Gesamtvolumen von 1,8 Billionen Euro blockiert. Als Kompromiss handelte Deutschland – damals im Ratsvorsitz – eine Zusatzerklärung zum Rechtsstaatsmechanismus aus, die letztlich alle 27 EU-Staaten akzeptierten. Zentraler Punkt war die Klarstellung, den Mechanismus vom EuGH überprüfen zu lassen. Ungarn und Polen hatten bereits angekündigt, davon Gebrauch zu machen. Polen setzt dies nun um.
Man gehe davon aus, dass diese Lösung keine rechtliche Grundlage in den EU-Verträgen habe, sagte Regierungssprecher Piotr Müller. Sie beeinträchtige die Kompetenzen der EU-Staaten und verstiesse gegen EU-Recht.
Ob die Klage Polens die Rechtsstaatsklausel schwächt, verzögert oder gar zunichtemacht, wurde nach dem Kompromiss Ende 2020 unterschiedlich bewertet. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sah die Wirkung nicht eingeschränkt. «Es geht kein einziger Fall verloren», sagte sie damals. Die EU-Kommission werde mögliche Fälle im Rahmen des neuen Mechanismus betrachten. «Wenn ein Bruch der Rechtsstaatlichkeit vorliegt, dann wird dieser Fall aufgenommen.» Sobald der EuGH geurteilt habe, würden diese Fälle abgearbeitet. Kritiker fürchten aber, dass die Anwendung der Klausel um viele Monate hinausgezögert wird.
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Die Zusatzerklärung zum Rechtsstaatsmechanismus erläutert auch, dass die Feststellung eines Rechtsstaatsverstosses allein nicht ausreicht, um EU-Finanzhilfen zu kürzen. Vielmehr muss erwiesen werden, dass der Verstoss negative Auswirkungen auf die Verwendung von EU-Geld hat. In strittigen Fragen muss sich der Rat der Staats- und Regierungschefs mit dem Thema beschäftigen.
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