Neue alte Sichtbarkeit im Pride-Monat oder Tanz auf dem Vulkan?

Unser Kommentator sieht dunkle Wolken hinter dem Regenbogen

CSD Berlin (Archivbild: Jörg Carstensen/dpa)
CSD Berlin (Archivbild: Jörg Carstensen/dpa)

Alle Jahre wieder: Der Juni ist Pride-Monat. Damit wird an die Stonewall Riots im Jahr 1969 erinnert. Unser Autor warnt in seinem Kommentar*: Auch wenn seitdem vieles erreicht wurde: Minderheiten werden schnell vergessen, wenn globale Krisen stattfinden.

Die gute Nachricht zuerst: in ein paar Tagen beginnt der Pride-Monat und nach zwei Jahren mit CSD Absagen oder starken Einschränkungen kehrt endlich wieder so etwas wie Normalität ein. Darauf haben wir alle gewartet und hin gefiebert. Endlich wieder CSD-Paraden und Strassenfeste, wo sich die Community trifft und feiern kann. Aber natürlich auch auf ihre Anliegen aufmerksam machen kann. Wir haben es vermisst und es ist bei den vielen Vorbereitungen der verschiedenen Veranstaltungen zu merken: Alle sind Feuer und Flamme, dass es endlich wieder los geht (zum Beispiel in Wien mit der Regenbogenparade – MANNSCHAFT berichtete).

Die Corona-Pandemie hat die Community hart getroffen. Nicht wenige Community Bars mussten schliessen, queere Vereine, die sich auch durch eigene Veranstaltungen finanziert haben, sind durch die fehlenden Einnahme-Möglichkeiten in Schwierigkeiten geraten. Die Zeit der Lockdowns und Begrenzung der sozialen Kontakte haben auch besonders die queeren Menschen getroffen, die z.B. Single sind, oder auch viele Jugendliche die – ungeoutet – in ihrem Zuhause «gefangen» waren. Das alles ist momentan etwas in den Hintergrund geraten durch die Freude über weggefallene Einschränkungen. Und die Freude kann auch im wahrsten Sinne des Wortes nicht grenzenlos sein. Der Überfall Russlands auf die Ukraine und die täglichen Schreckensmeldungen aus dem Krieg sind bedrückend. Der Sieg Orbáns in Ungarn heisst nichts Gutes, sondern vielmehr weiter Unterdrückung der queeren Community dort.

Irgendwo in meinem Hinterkopf blitzt bei aller Vorfreude auf die CSD-Saison, mit ihrem bunten Programm im Umfeld immer wieder ein Gedanke bei mir auf: Ist das der «Tanz auf dem Vulkan»? Können wir überhaupt fröhlich feiern bei diesem Ausblick in eine unsichere Zukunft? Ich bin der Meinung, dass wir das nicht nur können, sondern geradezu müssen! Wenn wir aus Furcht vor dem was durch das menschenverachtende Handeln von Despoten, Kriegsverbrechern, Diktatoren und Anti-Demokraten noch alles passieren kann, uns ängstlich verstecken, dann ist das schon ein Sieg für dieses Pack. Senden wir von unseren CSDs ein klares Signal an die Putins, Orbáns und Xi Jipings dieser Welt das klare Signal: die Freiheit, die Demokratien und die Menschenrechte werden siegen.

Am 30. Juli findet der erste CSD in Bayreuth statt, und ich bin eingeladen dort ein paar Worte zu sprechen. Das Motto, welches sich das CSD-Team ausgedacht hat, könnte treffender nicht sein: «Sichtbarkeit schafft Sicherheit!». Nur wenn die queere Community überall und dauernd auf sich aufmerksam macht, dann schaffen wir eine bessere und sicherere Zukunft für uns. Minderheiten werden schnell vergessen, wenn globale Krisen stattfinden. Und so wichtig es ist, dass die Bundesregierung sich aktiv um die Beendigung des Ukraine-Krieges bemüht, die Energie-Sicherheit für den Winter organisiert, der durch den Krieg drohenden globalen Auswirkungen wie z.B. einer Lebensmittelkrise entgegen steuert, oder Vorsorgepläne für den Herbst und Winter entwickelt, um nicht erneut in den Virus-Lockdown zu laufen, der von dieser Regierung versprochene queere Aufbruch für unser Land muss genauso vorangetrieben werden! Um auch daran zu erinnern und dafür zu demonstrieren, müssen wir den Pride-Monat nutzen.

Und bevor sich die Anfänge der HIV-Hetzjagd wiederholen, und durch gezielte Desinformation und Hetze die Panik unter der Bevölkerung ausweitet, die besonders zu einer Ächtung und Ausgrenzung von Schwulen und Männern die Sex mit Männern haben führt, müssen wir frühzeitig und konsequent gegensteuern. Die 80er Jahre dürfen sich nicht wiederholen. Die Affenpocken sind seit den späten 1950er Jahren bekannt, allerdings erst jetzt infizieren sich auch Menschen ausserhalb Afrikas damit. Dies hat nach jetziger Einschätzung von Virolog*innen unterschiedliche Ursachen. Jegliche Kommunikation, auch von den amtlichen Stellen des Robert Koch-Instituts oder des Bundesgesundheitsministeriums, die dazu führen, dass Affenpocken zur «Schwulenseuche» erklärt werden, muss unterbleiben.

Um für erhöhte Sensibilität in der Community zu sorgen, kann es durchaus eine wichtige Information sein, dass unter den derzeitig infizierten Menschen viele schwule und bisexuelle Männer sind. Zielgruppenspezifische Ansprache ist wichtig. Gerade weil es aber um eine gesellschaftlich diskriminierte Gruppe geht, müssen Panikmache und Stigmatisierungen unbedingt vermieden werden. Nicht umsonst warnen UNAIDS, WHO und die Deutsche AIDS-Hilfe genau vor diesem Effekt (MANNSCHAFT berichtete). Viele schwule Männer nehmen die jetzige Kommunikation des RKI und Bundesgesundheitsministeriums (BMG) sowie die Diskussion in der Öffentlichkeit jedoch genauso wahr. Von daher sollten das RKI und das BMG ihre Kommunikation kritisch überprüfen. Verkürzte und stigmatisierende Statements und Überschriften helfen niemandem.

Statt wieder Risikogruppen zu konstruieren, muss verständlich über Übertragungswege und Risikoverhalten aufgeklärt werden. Neben dem stigmatisierenden Effekt hat eine verkürzte Kommunikation auch die negative Folge, dass viele Menschen sich nicht angesprochen fühlen. Sie denken, sie könne es nicht treffen. Nach gegenwärtigem Stand können Affenpocken über engen körperlichen Hautkontakt und Tröpfcheninfektion übertragen werden. «Ungeschützten Sexualverkehr» zu vermeiden, bietet gerade keinen ausreichenden Schutz. Die gebotene Wachsamkeit für ungewöhnliche Hautveränderungen gilt folglich für alle Menschen. Für das Virus oder Viren allgemein ist die sexuelle Orientierung unerheblich (MANNSCHAFT berichtete).

Zurück zur guten Nachricht vom Anfang: Der Pride-Monat steht bevor! Lasst ihn uns angemessen feiern und den Regenbogen endlich wieder sichtbar leuchten. Stärker, sichtbarer und selbstbewusster als zuvor. Trotz der dunklen Wolken – oder gerade deswegen!

*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar oder eine Glosse zu einem aktuellen LGBTIQ-Thema. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.

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