«Am I OK?»: Bemerkenswerte Freundschafts-Chemie im Kino
Komikerin Tig Notaro und ihre Ehefrau Stephanie Allynne führen erstmals zusammen Regie
Dass es dem Kino aktuell nicht gerade umwerfend gut geht, wird dieser Tage vor allem an diversen Grossproduktionen wie «The Fall Guy» oder «Furiosa» festgemacht, deren Zuschauer*innenzahlen hinter den Erwartungen zurückblieben. Doch natürlich zeigt sich die Krise auch im Kleinen.
Bedeutete früher eine erfolgreiche Premiere beim Filmfestival in Sundance, dem «Zuhause des amerikanischen Independent-Kinos», samt zugehörigem Verkaufsdeal in der Regel einen baldigen Kinostart, brauchte «Am I OK?» nun fast zweieinhalb Jahre für den Weg auf die Leinwand. Und dass, obwohl der Film um Klassen besser ist als alle anderen, in denen Dakota Johnson zuletzt zu sehen war.
Im Regiedebüt von Komikerin Tig Notaro und ihrer Ehefrau Stephanie Allynne spielt Johnson die 32-jährige Lucy, die noch nicht so ganz genau herausgefunden hat, welchen Weg das Leben für sie bereithält – und entsprechend zaudernd ihren Alltag bestreitet.7
Erster grosser Schritt in Richtung Veränderung Statt ihrem Traum von der Malerei weiter zu folgen, jobbt sie als Rezeptionistin in einem Spa in Los Angeles. Sich einzugestehen, dass sie vor allem deswegen noch nie verliebt war und keine Lust auf Sex mit ihrem netten Kumpel hat, weil sie eigentlich auf Frauen steht, ist immerhin ein erster grosser Schritt in Richtung Veränderung.
Noch mehr als die Tatsache, dass sie sich womöglich bei der Arbeit in die Masseurin Brittany (Kiersey Clemons) verliebt, beschäftigt Lucy allerdings eine Ankündigung ihrer besten, deutlich zupackenderen Freundin Jane (Sonoya Mizuno). Denn die will für ihren Job nach London ziehen, was eine ziemliche Umstellung bedeuten wird für die beiden, die nur zehn Minuten voneinander entfernt wohnen und sich beinahe täglich sehen. Eine mittelschwere Krise ist also so gut wie vorprogrammiert.
Dass «Am I OK?» weniger eine Coming-out-Geschichte ist als eine über die tiefe und dadurch nicht unkomplizierte Freundschaft zweier Frauen, ist die eigentliche Überraschung dieses von Ellen DeGeneres‘ langjähriger Autorin Lauren Pomerantz geschriebenen Films – und seine grosse Stärke. Die Erkenntnis, dass für nicht wenige Menschen – ob queer oder nicht – oft die engen, platonischen Beziehungen im Leben die eindeutig wichtigeren (und auch erzählerisch ergiebigeren) sind, kommt ja in Film und Fernsehen sonst doch eher zu kurz.
Nie bloss plumpe Klischees All das wäre nur halb so sehenswert, würden Johnson und Mizuno nicht so ein grossartiges, glaubwürdiges Freundinnen-Duo abgeben. Als Figuren sind ihre Rolle für die Geschichte gerade gegensätzlich genug, aber nie bloss plumpes Klischee. Und schauspielerisch sind beide auf eine Art und Weise authentisch, die alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist.
Johnson, die selbst schwachen Filmen wie zuletzt «Madame Web» oder «Daddio – Eine Nacht in New York» ein wenig Charme entlocken kann, verleiht Lucy in ihrer zögerlichen Unentschlossenheit und auf dem späten Weg der Selbstfindung echte Glaubwürdigkeit. Und Mizuno, die durch Alex Garlands «Ex-Machina» bekannt wurde und seither in jedem seiner Filme zu sehen war, stattet Jane mit herrlich britischem Humor, aber auch echter Emotionalität aus. Die Freundschafts-Chemie (MANNSCHAFT berichtete) zwischen den beiden stimmt auf bemerkenswerte Weise.
Authentizität und Frische zum Leben Den rasanten, ungemein pointierten, jedoch nie unnatürlich wirkenden Dialogwitz, der Anleihen nimmt bei Notaros Stand-up-Progamm (empfehlenswert: «Happy to Be Here» auf Netflix und «Hello Again» auf Prime Video), aber doch einen ganz eigenen, funkelnden Tonfall findet, erwecken die beiden mit so viel Authentizität und Frische zum Leben, dass es die reinste Freude ist. Und die Gefahr, dass die Queerness der Geschichte zum blossen Running Gag ohne Hand und Fuss verkommt, besteht bei lauter lesbischen Frauen, die die kreative Verantwortung hinter der Kamera tragen, zum Glück ebenfalls nicht.
Langer Rede kurzer Sinn: witziger und charmanter hat man sich in diesem Jahr im Kino noch kaum amüsiert.
Die queere Regisseurin Erica Tremblay mit indigenen Wurzeln spricht über ihren Werdegang und über die Entwicklung der Hollywood-Industrie, die bis vor zehn Jahren noch behauptete, Native Americans hätten vom Filmemachen keine Ahnung und könnten weder schreiben noch spielen (MANNSCHAFT+).
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