«Mir scheint, viele Heteropaare haben einen queeren Lebensstil übernommen»

Interview mit dem Regisseur Mohammad Shawky Hassan über seinen sexpositiven Kinoerstling

Szene aus «Soll ich dich einem Sommertag vergleichen?» (Foto: Salzgeber)
Szene aus «Soll ich dich einem Sommertag vergleichen?» (Foto: Salzgeber)

«Soll ich dich einem Sommertag vergleichen?» («Shall I Compare You to a Summer’s Day?») von Mohammad Shawky Hassan lief beim Queerfilmfestival und seit Ende September auch regulär im Kino. MANNSCHAFT+ traf den Regisseur in Berlin.

Der 41-jährige Regisseur wuchs in Kairo auf und wurde als LGBTIQ-Teenager stark beeinflusst von den legendären Diven der arabischen TV-Welt und ihren Musiksendungen. Die extreme Künstlichkeit der Shows spiegelt sich in Hassans erstem eigenen Spielfilm, dem er einen prominenten Shakespeare-Titel verpasst hat – der zum Nachdenken anregt.

Mohammad Shawky Hassan
Mohammad Shawky Hassan

Um mal damit anzufangen: Was hat dein Film mit Shakespeare und seinem berühmten 18. Sonett zu tun? Der arabische Originaltitel unseres Films lautet tatsächlich anders: «Bashtaalak sa’at». Das ist ein Zitat aus einem arabischen Popsongs der marokkanischen Sängerin Samira Saïd. Ihr Lied heisst – wörtlich übersetzt – «Ich vermisse dich manchmal». Aber als wir anfingen, am Film zu arbeiten, schaute ich mir bei der Vorbereitung Material zu meinen früheren Beziehungen an, und da ich fand eine E-Mail mit der Betreffzeile «Shall I Compare You to a Summer’s Day» («Soll ich dich einem Sommertag vergleichen?»). Als ich diese E-Mail ursprünglich bekam, kannte ich das Shakespeare-Sonett nicht. Deshalb habe ich jetzt erst nachgeschlagen, woher das Zitat stammt. Und so entdeckte ich den kompletten Shakespeare-Text, in den ich mich sofort verliebte. Es ist eines der Sonette, die Shakespeare an einen männlichen Liebhaber schrieb; das fand ich toll.

«Shall I Compare You to a Summer’s Day»
«Shall I Compare You to a Summer’s Day»

Während die Arbeiten am Film fortschritten, machte es immer mehr Sinn, zwei Titel nebeneinander zu haben – den arabischen und den englischen, also den Popsong und das Gedicht. Das spiegelt gut, was ich mit der arabischen Popkultur machen will im Film: zeigen, dass diese Lieder eine Form von exquisiter Lyrik sind. Im Film spielen wir viel mit Übersetzungen. Wenn wir uns gezielt auf arabische Popkultur beziehen, wollte ich das aber nie eins-zu-eins übersetzen. Denn dann versteht man nicht, worum es geht.

Die Verbindung von Shakespeare zu Queer Culture ist inzwischen etabliert und wird im Literaturbetrieb offen thematisiert. Wie steht es um die queeren Elemente in der arabischen oder in deinem Fall speziell der ägyptischen Popkultur? Das ist genau die Art von Diskussion, die mich interessiert. Dabei müssen einen die queeren Elemente nicht unmittelbar anstarren. Vielmehr erkennt man oft – im historischen Rückblick – das bestimmte Dinge queer waren, ohne dass dies an die grosse Glocke gehängt wurde.

Zum Beispiel? Ich denke etwa an die TV-Show «Alf Lilah Wa Lilah» («Tausendundeine Nacht»). Das ist war auch eine beliebte Sendung in den 1980ern, in Ägypten, aber auch in anderen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens. In dieser Show trat Sherihan auf, eine ägyptische Diva, die von LGBTIQ vergöttert wird. Nicht nur, weil sie «camp» ist. Ihre Biografie fasziniert uns: wie sie aus der Asche auferstanden ist und ein Star wurde. Sie und ihre Sendung wurden nie als «queer» verkauft, aber viele Queers meiner Generation haben sie trotzdem so gesehen.

Wurden LGBTIQ-Aspekte in der arabischen Popkultur jemals angesprochen? Ja, es gibt Wissenschaftler*innen, die das tun, etwa Joseph A. Massad in seinem Buch «Desiring Arabs». Ich werde das oft gefragt und wundere mich: warum? Es hat was mit Machtverhältnissen zu tun, denke ich. Die Art und Weise, wie in meinem Film offen mit Sexualität umgegangen wird, sollte LGBTIQ in einer Stadt wie Berlin vertraut sein. Es kommt so auch in vielen deutschen Filmen vor. Trotzdem wollen alle von mir wissen, wie das in Ägypten ist. Meine Antwort: Ich bin Ägypter, ich arbeite mit ägyptischen Schauspielern, mit einem ägyptisch-libanesischem Team, und wir haben zusammen diesen Film gemacht. Es ist ein arabischer Film …

… aber du lebst in Berlin, und den Vertrieb deines Films hat Salzgeber übernommen, also eine deutsche Firma. (aufgebracht) Was macht das für einen Unterschied?

Hätte ein ägyptischer Filmverleih euren Film angenommen? Was ist an dieser Frage interessant? Ich glaube, ich weiss warum du das fragst: Leute hierzulande können sich bei dieser Fragestellung gut fühlen. Weil sie sich dann als besonders fortschrittlich sehen, im Vergleich zu Gesellschaften im Nahen und Mittleren Osten. Unser Film wurde primär von Geldgeber*innen aus dem Libanon finanziert, einer arabischen Kulturinstitution in Athen und einer weiteren libanesischen Institution.

Es ist keine typische Perspektive auf die arabische Welt – niemand wird unterdrückt, keiner ist unglücklich

Aus Deutschland kam vergleichsweise wenig Geld. Denn für deutsche Geldgeber ist es nicht die typische Perspektive auf die arabische Welt, die sie sehen wollen – niemand wird unterdrückt, keiner ist unglücklich, niemand wird getötet wegen seiner Homosexualität.

«Shall I Compare You to a Summer’s Day»
«Shall I Compare You to a Summer’s Day»

Was unseren Film «arabisch» macht ist nicht, dass wir zeigen, wie «anders» queere Araber*innen sind, sondern die Sprache, die im Film gesprochen wird. Und die Referenzen, die sich auf typische arabische TV-Musikshows beziehen. Sogar der Green Screen, den wir dauernd einsetzen, war bei «Alf Lilah Wa Lilah» im Dauereinsatz. Ausserdem sind die Songs, die wir verwenden, Lieder, mit denen jeder arabische Queer meiner Generation aufgewachsen ist. D.h. die Liebesgeschichte, um die es im Film geht, ist universell und kann von jedem – auf hier in Deutschland, Österreich und der Schweiz – verstanden werden. Aber formal ist der Film arabisch und sein Referenzrahmen ist es ebenfalls.

Es ist ein teils sehr künstlicher Look … Ja, alles ist bewusst theatralisch. So waren die ägyptischen TV-Shows damals. Der Film spielt sich quasi im Kopf einer Person ab. Es ist egal, wer diese Person genau ist, es kann jede*r sein. Und das macht den Film – im Idealfall – universell. Es geht nicht um Konflikte zwischen Religion und Sexualität, niemand weint auf dem Gebetsteppich und bittet Gott um Hilfe, weil er verbotenerweise in einen anderen Mann verliebt ist. Nein, das ist nicht die Geschichte, die wir erzählen.



Ich kenne die von dir genannten ägyptischen TV-Sendungen nicht und spreche nicht Arabisch. Meine Reaktion auf den Film ist daher sicher sehr anders als die von jemandem aus dem arabischen Raum, oder? Die Reaktionen sind total verschieden. Auch in der arabischen Welt erkennt nicht jeder sofort alle Anspielungen auf die alten TV-Shows. Ich hoffe natürlich, dass der Film trotzdem für alle Zuschauer*innen funktioniert, auch wenn sie nicht alle Referenzen verstehen. Klar, es hilft, die Sprache zu verstehen. Und wenn man die Lieder kennt, wird das Ganze nochmals intimer. Wir haben den Film schon auf diversen Festivals gezeigt, wo viele arabischstämmige Zuschauer*innen anwesend waren. Wir haben den Film auch in arabischen Ländern wie Ägypten und Tunesien gezeigt. Die arabische Welt ist kein Monolith, die Reaktionen sind entsprechend divers.

Wir bekommen auch Anfrage bzgl. privater Screenings, oder einzelne Gruppen wollen den Film für ihre Mitglieder zeigen. Ich versuche zu solchen Vorführungen zu fliegen und mit den Zuschauer*innen zu sprechen, weil mich ihre Meinung interessiert. Unser weiblicher Star, Donia Massoud, flog nach Tunis zum Screening. Sie ist in der arabischen Welt eine bekannte Sängerin, sie wurde also als Celebrity empfangen, die Teil dieses queeren Filmprojekts ist.

«Shall I Compare You to a Summer’s Day»
«Shall I Compare You to a Summer’s Day»

Was wollte man in der Q&A-Session von ihr wissen? Sie wurde gefragt, welche persönliche Beziehung sie zu den Charakteren im Film hat und zu ihren Kollegen. Das war eine wunderbare Diskussion. Man nimmt Donia Massoud wahr als couragierte Frau, die Schranken einreisst. Ihre Teilnahme an unserem Film wird von vielen in diese Richtung interpretiert.

In Deutschland läuft dein Film im September beim Queerfilmfestival (8.-14. September). Wirst du da mit dem Publikum diskutieren? Ja, ich werde den Film persönlich am Freitag, 9. September, in Berlin vorstellen. Am 24. September bin ich Gast beim Afrika Film Festival in Köln. Und am 29. September wird der Film dann in Deutschland im Kino starten. Am gleichen Tag werde ich beim Soura Film Festival in Berlin anwesend sein, das ist ein queeres Festival, das Arbeiten aus der SWANA-Region zeigt (South West Asia & North Africa). Sie haben «Soll ich dich einem Sommertag vergleichen?» als Eröffnungsevent ausgewählt.

«Shall I Compare You to a Summer’s Day»
«Shall I Compare You to a Summer’s Day»

Du sagtest schon: es ist ein sexpositiver Film, mit gutaussehenden Männern um die 30, die Beziehungsmodelle zu zweit und zu dritt ausprobieren. Gibt’s für junge Männer in Ägypten Rollenvorbilder für solche queeren Beziehungen? Manchmal denke ich, es ist ein Segen, dass es für uns keine Rollenvorbilder gibt. Ich selbst hatte nie Vorbilder für meine Beziehungen – weder in Ägypten noch anderswo. Für uns gibt es keine Checkliste, wie eine Beziehung funktionieren sollte. Wir versuchen im Film zu zeigen, dass jede Form von Beziehung schwierig ist, auch Polyamorie. Jedes Paar muss seinen eigenen Weg finden, ausprobieren, was am besten passt. Nichts ist unmöglich. Wir wollten die Nuancen verschiedener Beziehungsmodelle zeigen, ohne zu sagen, die ein oder andere Art wäre «ideal».

Ist das eine Generationenfrage? Der Film basiert auf meinen eigenen Erfahrungen, deshalb dreht sich vieles um Männer mehr oder weniger in meinem Alter. Ich versuche nur, eine Welt aus meiner eigenen Geschichte und meinen Referenzen aufzubauen, weil das die Welt ist, mit der ich am meisten vertraut bin.

Als ich heranwuchs, war die Vorstellung, mit drei Menschen in einer Beziehung zu leben, nicht besonders präsent für mich. Aber irgendwann landete ich in solch einer Situation und habe sie ausprobiert als etwas Neues. Wenn ein junger Queer den Film sieht, erscheint ihm das alles vielleicht viel selbstverständlicher und überhaupt nicht neu, weil er bzw. sie von Anfang an in offenen Beziehungen lebte. Bei mir war das nicht so.

Kürzlich sah man in der Netflix-Serie «Uncoupled» ein schwules Paar um die 50, das seit 20 Jahren zusammen war (MANNSCHAFT berichtete). Im Spielfilm «Supernova» wird auch ein Langzeitpaar mit all den Problemen des Alters gezeigt. D.h. es geht nicht mehr nur um junge Männer und ihre sexuellen Eskapaden, es geht um ganz andere Ebenen von Intimität. Wir wollten definitiv die sexuelle Seite der Geschichte in den Vordergrund rücken. Denn Sex beeinflusst unsere Beziehungen, unsere Eifersuchten, unsere Entscheidungen. Er beeinflusst, welche Beziehung wir zu unserem Körper haben, zu den Körpern von anderen. Von Sex hängt ab, ob wir uns minderwertig fühlen oder überlegen. Gleichzeitig handelt unser Film von Verlust, von Tod, von Drogen, von Sucht. Als wir ich mit dem Team und unseren Schauspielern darüber sprachen, was ihr zeitgenössischen queeren Beziehungen beeinflusst, waren das die Punkte, die immer wieder genannt wurden. Selbst wenn es nicht unmittelbar um Sex ging, hing doch alles damit zusammen.

Mohammad Shawky Hassan
Mohammad Shawky Hassan

Das hatte ja schon Sigmund Freud konstatiert … (lacht) Ich hoffe, unser Film ist nicht freudianisch! Wir wollen nicht in die Falle vieler queere Filme fallen: es gibt ja diese typischen Tropen im LGBTIQ-Filmbereich. Einer davon sind Erfahrungen von Unterdrückung und vom Kampfes mit der Gesellschaft, in der LGBTIQ leben. Es gibt auch den Tropus des «guten» und «heroischen» Schwulen, wie damals während der AIDS-Krise. Das wollten wir umgehen.

Bist du nicht etwas zu jung, um dich an die Filme aus der AIDS-Zeit zu erinnern? Als Teenager habe ich sie durchaus mitgekriegt. Und ich bin selbst HIV+, weswegen sie mich sehr interessieren. (MANNSCHAFT berichtete darüber, wie das Thema AIDS in den letzten 40 Jahfren filmisch aufgearbeitet wurde.) Ich wollte jedenfalls keinen guten schwulen Helden zeigen.

«Shall I Compare You to a Summer’s Day»
«Shall I Compare You to a Summer’s Day»

Queere Bösewichter sind ja eh meist spannender … Sie verkörpern mehr Wahrheit. Ich finde Darstellungen von erfolgreichen schwulen Rollenvorbildern abstossend. Ich will nicht so sein. Und ich finde es wichtig, dass es auf der Leinwand eine Repräsentation von anderen LGBTIQ-Typen gibt, die dichter an meiner eigenen Lebensrealität sind.

Ich finde Darstellungen von erfolgreichen schwulen Rollenvorbildern abstossend

Du lebst in Berlin. Spiegelt die sexpositive Seite queeren Lebens deine Erfahrungen in der deutschen Hauptstadt oder auch die in Ägypten? Ich unterrichte an der Humboldt Uni in Berlin und habe viel mit jüngeren Menschen zu tun, auch meine Neffen und Nichten bringen mich immer wieder in Kontakt mit einer jüngeren Generation. Und ich merke: Egal wo auf der Welt diese jungen Menschen sind, sie sind viel mehr mit dem Thema Polyamorie beschäftigt als ich das in ihrem Alter war (MANNSCHAFT+ berichtete über Polyamorie als Beziehungsoption für jüngere Queers). Damit meine ich sowohl Jugendliche, die in Kairo leben, als auch solche in Berlin. Das gilt auch für Hetero-Paare! Selbst wenn unser Film sich mit queeren Charakteren beschäftigt, sind das Themen, die alle angehen. Mir scheint, dass viele Hetero-Paare einen queeren Lebensstil übernommen haben. Sie reden nicht mehr gleich von «Verrat» und «Betrug», sondern probieren ihrerseits offene Beziehungsmodelle aus.

Solche Modelle gab’s in der Heterowelt schon immer, es wurde nur nicht so öffentlich darüber gesprochen. Deshalb sollten sich die Hetero-Paare bei uns bedanken, dass wir diese Diskussion öffentlich gemacht haben und sie jetzt davon profitieren.

Du erzählst deine Geschichte als Musical. Der Araburlesque-Künstler Yousef Iskandar aus Beirut sagt im neuen Buch «Breaking Free: Die wunderbare Welt des LGBTQ-Musicals», dass es in Musicals um Empowerment gehe, ums Ausbrechen aus einer Situation, in der man sich unwohl fühlt. Er nennt Sherihan und ihre Ramadan-Shows ebenfalls als Vorbild und wichtigen Einfluss. Die «Fabulousness» von Musicals ist etwas, was LGBTIQ stark anzieht. Ich höre dauernd diese Kritik: Wieso fangen die in Musicals einfach an zu singen? Warum tanzen sie plötzlich los? Wo ist das Klavier oder das Orchester, das man hört, aber nicht sieht? Für mich war das nie ein Problem. Es ist Kino, und es ist Fantasie. Es ist eine eigene Welt.

«Breaking Free: Die wunderbare Welt des LGBTQ-Musicals»
«Breaking Free: Die wunderbare Welt des LGBTQ-Musicals»

Und es ist Musical! Genau. (lacht) Mir macht es als Filmemacher Spass, eine eigene Welt zu erschaffen. Deshalb mochte ich Musicals schon immer, weil da alles erlaubt scheint. Logik und Realismus sind ausgehebelt. Bei meinen Vorbereitungen habe ich mich wiederholt gefragt, wieso viele Queers die Künstlichkeit von Musicals so lieben, warum sie sich in Zeiten von Trennungsschmerzen ausgerechnet den überzuckerten Liebesliedern aus Musicals zuwenden. Oder auch den Musikshows von Künstler*innen wie Sherihan. Wieso hatte ich ihre Lieder im Kopf nach einem besonders schönen Sex-Date? Ich wollte diese musikalische Sprache in meine eigene Sprache integrieren und in den Film. Darin reagieren die Charaktere mit diesen Liedern aufeinander – in einer künstlichen Welt, in der alles möglich ist. Damit fordern wir das queere Erbe dieser Musik ein.

Wieso hatte ich ihre Lieder im Kopf nach einem besonders schönen Sex-Date?

Wir überführen es in einen Kontext, der ganz und gar uns gehört. Früher haben wir uns die queeren Assoziationen nur im Geheimen vorgestellt, jetzt singen wir diese Musik wirklich zu unserer queeren Geliebten.

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Filmmusicals erleben seit einer Weile einen enormen Boom. Gehört dein Film in diese neue Tradition? Ehrlicherweise weiss ich das nicht. Das Framing der Musik funktioniert bei uns anders als bei Serien wie «Glee» oder «High School Musical: The Musical: The Series» oder «Greatest Showman». Trotzdem gibt es Anspielungen auf «Careless Whisper» und «Bohemian Rhapsody», Titel, die ich in Ägypten gesehen haben und die mich dort als schwuler Araber beeinflusst haben, ebenso Sachen wie «The Sound of Music» oder «Oliver». Das sind keine arabischen Filme, aber sie werden durch mich zu einem arabischen Erlebnis.

Beim Editing haben wir uns irgendwann entschieden, den Film nach einem durchgehenden Metronomschlag zu schneiden, um einen Rhythmus von Anfang bis Ende zu bekommen. So dass sich selbst dann, wenn keine Musik zu hören ist, der Rhythmus fortsetzt.

Die Musicalfilme und -Serien, die du gerade genannt hast, erreichen via Streamingplattformen wie Disney+, Netflix und Amazon Prime ein weltweites Milliardenpublikum. Kannst du dir vorstellen, dass dein Filmmusical auch mal bei Disney+ landet? Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Das wäre schon toll. Und interessant. Als wir den Film gedreht haben, stellten wir uns vor, dass Menschen ihn im Kino als Gemeinschaftserlebnis schauen. Aber irgendwann wird er sicher als Stream verfügbar sein – und damit wird er ganz andere Zuschauer*innenschichten erreichen, selbst in Ländern, in denen Homosexualität verboten ist. Weil Menschen dort wissen, wie sie trotz Zensur an Sachen rankommen.

Hast du Sherihan eigentlich mal kontaktiert? Nein. Vermutlich weiss sie gar nicht, dass mein Film existiert und eine Hommage an sie ist. Vor ein paar Jahren hat sie mal etwas von mir retweetet. Da war ich völlig aus dem Häuschen und habe das allen meinen Freund*innen erzählt. (lacht) Ich liebe und bewundere Sherihan. Ob diese Diven es gutheissen oder nicht: Wir Queers sind ein wichtiger Teil ihre Fangemeinde. Und dadurch stehen sie auch in unserer Schuld.

Wenn jemand in der arabischen Welt aufwächst und ihre Shows sieht, begreift er, dass es noch eine andere Welt da draussen gibt. Dass man aus dem Alltag und all den dort geltenden Regeln ausbrechen kann. Dass man die Realität hinter sich lassen kann. Für jemanden, der mit seiner Umwelt kämpft – beispielsweise wegen seiner Sexualität – ist das geradezu magisch anziehend. Und dann ist da Sherihans Geschichte: Bis zum heutigen Tag hat ihr Vater sich nicht öffentlich zu ihr bekannt, sie als Tochter nicht anerkannt. Und sie hat es trotzdem geschafft, diese Ungerechtigkeit zu überwinden, sich durchzusetzen.

Zudem kann man sie in keine Schublade stecken, weil sie so vieles macht – Singen, Tanzen, Schauspiel. Sie ist eine Allround-Performerin. Und ihre Shows folgten keinem zuvor bekannten Formaten. Sherihan hat selbst eine neue Form für sich erfunden. Das fasziniert Queers unendlich, viel mehr als Gerüchte, dass sie mal mit dem Sohn des Präsidenten Sex gehabt haben soll. Das ist uns Queers völlig egal. Uns interessieren ihre Outfits, ihre Performance, ihre Durchsetzungskraft.

Wie lange hast du eigentlich am Film gearbeitet? Ich habe 2018 angefangen. Ich bekam ein Künstlerstipendium und bliebt in Berlin, wo ich fast den gesamten Film gedreht habe. Meine Darsteller*innen kommen allerdings von überall her. Donia lebt in Paris, einer der Schauspieler in Amsterdam, jemand anderes in Beirut. Trotzdem spürt man im Film einen deutlichen Berlin-Vibe. Und somit ist es nicht nur ein queerer arabischer Film, sondern auch ein sehr berlinerischer Film. Das passt gut zusammen, finde ich, weil mein Freund auch hier in Berlin lebt.

Hier ist der Trailer zu «Soll ich dich einem Sommertag vergleichen?»:

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