«Mein Ex-Freund ist ein krimineller Hochstapler»

Vier Jahre war Matthias Rödder mit einem Mann zusammen, dessen gesamte Biografie auf Lügen fusste

Matthias Rödder: «Ich stand völlig allein da. Aber ich wollte diesen Typ hinter Gitter bringen.» (Bild: Lukas Sowada, Mannschaft Magazin)
Matthias Rödder: «Ich stand völlig allein da. Aber ich wollte diesen Typ hinter Gitter bringen.» (Bild: Lukas Sowada, Mannschaft Magazin)

Der Sänger, Schauspieler und studierte Architekt Matthias Rödder ist wie gelähmt, als er erfährt, dass er einem Hochstapler aufgesessen ist. Vier Jahre war er mit einem Mann zusammen, dessen gesamte Biografie auf Lügen fusste.

Es ist eine Geschichte, die gut zum Drehbuch eines Sonntagabendkrimis passen würde. Matthias Rödder verliebt sich in einen Betrüger, der nicht nur ihm, sondern seinem gesamten Umfeld etwas vormacht. Dessen Alltag daraus besteht, sich mithilfe gezielter Täuschungsmanöver eigene Vorteile zu verschaffen. Als Matthias seinem Ex-Partner nach Jahren der Verblendung – inklusive psychischen Missbrauchs – auf die Schliche kommt, ist er fest entschlossen, die letzten Energiereserven zu opfern, um dabei zu helfen, diesen Falschspieler vor die Richterbank zu bringen.

Matthias, wo hast du den Hochstapler kennen gelernt? Sturzbetrunken um halb fünf Uhr morgens in einer einschlägigen Eckkneipe in Köln. Damals war ich mit Freunden unterwegs und wie immer, wenn ich ausgehe, eher schüchtern und zurückhaltend. Umso toller war es, von jemandem angesprochen zu werden, der einem auf charmante Weise all das sagt, was man so vermisst und was man gerne hören will.

Was gefiel dir damals an ihm? Nach allem, was passiert ist, ist das heute schwierig zu beantworten, aber er war charmant, zuvorkommend, hartnäckig und vor allem bescheiden, was rückblickend natürlich absolut grotesk ist!

Wie lange wart ihr in der Folge zusammen? Es waren fast auf den Tag genau vier Jahre. Er war die meiste Zeit bei mir, wir hörten und sahen uns in den ersten Monaten beinahe täglich, hatten aber auch unsere Freiräume. Das war mir wichtig, ich bin nicht so ein Klammerer. Wir gingen essen und trafen uns mit Freunden, allerdings immer nur mit meinen. Irgendwann stellte sich ein Beziehungsalltag ein und man sah sich eher am Wochenende, telefonierte und schrieb über Whatsapp.

Welche Lügen hat er dir aufgetischt? Als wir uns kennenlernten, gab er vor, Rechtsanwalt mit einer eigenen Kanzlei und Angestellten zu sein. Er sagte, er habe einen Doktortitel und sei von seinem Ex-Mann geschieden. Später war er angeblich am Europäischen Gerichtshof tätig. Seine Familie habe ihn verstossen und melde sich nur, wenn sie Geld brauche. Freunde habe er keine. Die wenigen, die ich kennenlernte, sah ich meistens einmal und dann nie wieder. Oft tat er mir leid. Ihm gelang es, mich vor Treffen so zu manipulieren, dass ich ihm sämtliche Storys abnahm. Seine Lügen waren absolut offensiv, so offensiv, dass ich niemals daran gedacht hätte, dass er sich alles nur ausdenken könnte. Tabletten in meinem Bad, die angeblich gegen seine Laktose-Intoleranz waren, stellten sich als HIV-Medikamente heraus. Ich wusste von nichts und brach völlig zusammen. Trotzdem habe ich ihn nicht verlassen, weil er wieder den Mitleidsknopf drückte.

«Nur Name und Alter stimmten. Alles andere, jede Geschichte war erstunken und erlogen.»

Was weisst du heute zu seiner Biografie, das sich als wahr herausstellte? Das Gericht stellte im Prozess fest, dass er nicht studiert hat, kein Rechtsanwalt ist und keinen Doktortitel hat. Er ist ausgebildeter Erzieher. Ob er je mit seinem angeblichen Ex-Ehemann verheiratet war, konnte man nicht feststellen. Dieser ominöse Typ wurde nie gefunden. Ansonsten wurde klar, dass er neben mir noch zwei weitere Beziehungen führte. Nur Name und Alter stimmten. Alles andere, jede Geschichte war erstunken und erlogen.

Wann bist du stutzig geworden? Das war, als mich mein Onkel anrief, der ihn damals als Anwalt beauftragt hatte. Er sagte, wir müssten reden, irgendwas stimme da nicht. Mir ging es damals richtig schlecht und dieser Ex-Freund beschimpfte mich als dumm und dement, weil ich Geschichten hinterfragte, wenn Ungereimtheiten auftauchten. Nichts passte mehr zusammen, zudem war ich völlig überarbeitet. Ständig hatte ich ihn heulend am Telefon und musste ihn aufbauen, dabei war ich selbst psychisch am Boden. Irgendwann liess sich mein Onkel dann nicht mehr abwimmeln und fing mich vor meinem Büro ab. Er kam damals extra aus Trier nach Köln, also habe ich zugehört. Anschliessend bin ich verschiedensten Fragen erneut nachgegangen.

Was dann passierte, lief wie in Trance ab. Es war einfach surreal. Seine «Kanzlei» war geräumt worden, Mieten standen aus, ich erhielt Inkassoschreiben und angeblich fehlgeleitete Briefe von Versicherungen, welche Forderungen an mich stellten. Nachdem mich ein Reiterhof kontaktiert hatte, dem er Geld schuldete, obwohl ich ihm dieses extra geliehen hatte, rief ich ihn an, um zu fragen, was los sei. Er sagte mir, er sei in Luxemburg und würde sich später melden, da es ihm nicht gut gehe. Wie fremdgesteuert fuhr ich zu seiner Wohnung und schaute von der Strasse ins hell erleuchtete Wohnzimmer, wo er auf der Couch lag und TV schaute.



Das muss ein Schock gewesen sein. Wie hast du reagiert? Daraufhin legte sich ein Schalter in meinem Kopf um und ich schrieb sämtliche Kontakte, die mir aus den vergangenen Jahren in den Sinn kamen, über soziale Medien oder andere Wege an. Am nächsten Morgen brach die Hölle los, seine Bekannten meldeten sich: «Ich habe ihn verklagt!», «Er ist gar kein Rechtsanwalt, er hat mit gefälschten Briefköpfen gearbeitet!», «Er hat Versicherungen betrogen!», «Er schuldet mir noch Geld». Blackout.

Nach fünf Tagen Informationslawine blieb nur noch die Psychiatrie, in die ich mich freiwillig einwies. Dann tauchte ein Hauptkommissar in meinem Leben auf, der mich sechs Stunden lang verhörte und mir anschliessend mitteilte, dass man meinen Partner seit 15 Jahren suche, ihm aber nichts wirklich nachzuweisen sei. Zugleich wurde überprüft, ob ich als Mittäter in Frage kam. Es begann ein Kampf um meine Existenz. Wer jetzt denkt «Mann, Rödder, da warst du aber naiv», dem muss ich leider mitteilen, dass du eine Menge Schaden erleiden kannst, wenn jemand anderes deinen Namen an seinem Briefkasten anbringt. Davor ist niemand sicher.

Viele kennen das Gefühl, zweifelnde Gedanken beiseitezuschieben. Wie sah das bei dir aus? Ich war schon am Anfang unserer Beziehung etwas misstrauisch, weil mich Freunde drauf hinwiesen, dass eine Karriere wie seine sehr ungewöhnlich sei. Zudem fand man nichts von ihm im Internet. Ich bekam allerdings regelmässig Fotos von der Richterbank oder Grüsse von vermeintlichen Kollegen ausgerichtet, die meine Musik ganz super fänden. Sämtliche meiner Zweifel wurden wegdiskutiert und seine Version irgendwie untermauert, bis ich aufgehört habe, laut zu fragen. Sein Lügen und Betrügen wurde so gross, dass ich es nicht mehr wahrnehmen konnte.Das ist, als wenn man den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht. Wer rechnet denn damit, so betrogen zu werden? Wenn man das in dieser Grössenordnung nicht selbst erlebt hat, ist es schwierig bis unmöglich, das nachvollziehen oder verstehen zu können.

Wann kam es zu Prozess und Verurteilung? Es hat ein Jahr gedauert, ihn in Untersuchungshaft zu bekommen, und noch ein weiteres, bis der Fall verhandelt und endlich rechtskräftig wurde, zumindest vorläufig. Das erste Urteil des Landgerichts Köln lautete Freiheitsentzug von sieben Jahren und neun Monaten. Aber er ging vor dem Bundesgericht in Revision. Der letzte Urteilsspruch, von dem ich hörte, belief sich auf vier Jahre und fünf Monate.

«Sämtliche meiner Zweifel hat er wegdiskutiert, bis ich aufgehört habe, laut zu fragen.»

Ist dir das Urteil eine Genugtuung? Was soll ich sagen? Bereits während des Prozesses wurde festgestellt, dass er aus wirtschaftlichen und rein egoistischen Gründen gehandelt hatte. So wie ich unser Rechtssystem kennengelernt habe, ist er nach Zweidrittel der Gefängnisstrafe wegen guter Führung auf Bewährung rausgekommen, denn ich bin fest davon überzeugt, dass er auch im Gefängnis die Leute um den Finger gewickelt und manipuliert hat. Er ist – das muss man ihm lassen – richtig gut in dem, was er tut. Ich denke, dass er sich zum jetzigen Zeitpunkt bereits wieder frei bewegt und das, obwohl eine Gutachterin einschätzte, dass er nach seiner Haftstrafe genau so weiter machen werde wie vorher.

Hat er sich jemals entschuldigt? Nein, lieber würde er sich wohl die Zunge rausreissen. Er soll es nicht wagen, mir, meiner Familie oder meinen Freunden je wieder zu nahe zu kommen. Damals hat er mich als depressives, am Boden liegendes Wrack zurückgelassen, doch ich habe ihn zu Fall gebracht.



Was hat das alles mit deinem Gefühlsleben gemacht? Auch wenn ich beruflich eine Rampensau bin, war ich privat eher schüchtern und unsicher, was für einen solchen Narzissten natürlich ein gefundenes Fressen war. Das Ganze war so unfassbar, dass der Verstand es nicht mehr aufnehmen konnte. Meine Gefühle habe ich damals ausgeschaltet, mein Körper hat nur noch reagiert. Nachdem er in Untersuchungshaft gekommen war, habe ich angefangen, mich etwas zu entspannen. Die ersten Typen, die ich anschliessend kennenlernte, waren leider von derselben Sorte. Typen, die vorgeben, etwas zu sein, das sie nicht sind. Gott sei Dank waren sie nicht so überzeugend wie ihr Vorgänger. Ich habe mich stark in meine Arbeit gestürzt, so wie ich es immer getan hatte. Teilweise kam ich mir vor wie im freien Fall, aber «et hätt ja immer nochmal jut jegangen» – wie wir in Köln sagen.

Du brauchtest professionelle Hilfe, um das Erlebte zu verarbeiten? Klar, da waren monatelange Akuttherapien, weil alle paar Tage wieder ein neues Schreiben von irgendeinem Prozess im Briefkasten lag oder Menschen auftauchten, die irgendetwas von mir wollten, obwohl ich sie nicht kannte. Inkasso-, Gerichts-, Schufa-Verfahren, andere Betrogene, die mich um Hilfe baten, vor allem Anwälte, um ihre eigene Haut zu retten. Ich stand völlig allein da, in einem Netz aus Lügen gefangen. Aber ich hatte einen unfassbaren Antrieb, diesen Typ hinter Gitter zu bringen, und das Glück, eine tolle Therapeutin gefunden zu haben, die mich in den letzten Jahren begleitet und mir unfassbar geholfen hat. Schliesslich fing ich an, alles bis ins kleinste Detail aufzuschreiben, die kompletten vier Jahre. Es liest sich wie ein Thriller, nur leider ist davon nichts Fiktion.

Was würdest du anderen Opfern ähnlicher Täter*innen raten? Menschen, denen etwas Ähnliches passiert oder passiert ist, sollten sich eine objektive Hilfe wie zum Beispiel eine*n Therapeut*in suchen. Freund*innen und Familie sind meist zu nah dran. Macht es auf keinen Fall mit euch allein aus, so etwas kann passieren und ist keine Schande!

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