Marcel Mann: Lieber Arm ab als Arm dran?
Eine neue Folge MANNSTRUATION
Unser Kolumnist Marcel Mann möchte sowohl beide Arme wie auch seine zwei Beine behalten. Und das aus gutem Grund.
Heute morgen bin ich aufgewacht und musste an meine verstorbene Oma denken. Ich hatte von ihr geträumt. Der Traum spielte in ihrem alten Haus und drehte sich auschliesslich, darum wie meine Oma putzte, kochte oder im Garten Gemüste erntete. Das waren im Grunde genommen die drei Aggregatszustände meiner Oma. Sie war gegen Ende des Krieges aus dem heutigen Tschechien nach Deutschland geflohen und immer am Arbeiten. Aber auch immer freundlich, positiv und optimistisch.
Sie engagierte sich auch in der Kirche. Sie muss wohl eine Heilige in der Kittelschürze gewesen sein. Ab und an sagte sie auch schlaue Dinge mit lustigem Akzent. Besonders ein Satz meiner Oma hallt heute morgen in meinem Kopf wieder. «Das kaufen wir nicht, das kostet einen Arm und ein Bein.» Das hat sie immer mal wieder gesagt wenn etwas ihrer Meinung nach halsabschneiderisch überteuert angeboten wurde. Diesen anatomisch inspirierten Satz habe ich nach ihrem Tod nie mehr von irgendjemand anderem gehört. Muss wohl ein tschechisches Sprichwort sein.
Was Sprichwörter angeht, bin ich wohl der Meinung meiner Oma. Sicher, ich könnte zur Not hier oder da einen Zeh oder eine Niere verkaufen, aber die sind nicht so wichtig. Einen Arm und ein Bein zu verkaufen finde ich kontraproduktiv, weil ich diesen Arm und dieses Bein für so viele Dinge gebraucht habe, wie könnte ich sie wegen der Erhöhung meiner Lebenshaltungskosten durch mein Kosumverhalten verlieren?
Grosse Gliedmassen zu verkaufen ist eine wirklich sehr kurzfristige finanzielle Lösung. Sagen auch seriöse Finanzperater auf Youtube und mein Orthopäde. Warum? Ganz einfach: Wenn ich zum Beispiel einen Arm und ein Bein verkaufen würde, könnte ich keine Bilder meiner Füsse im Internet verkaufen. Jetzt fragt ihr euch vielleicht, wie toll meine Füsse sind, dass die Leute bereit sind, für Bilder von ihnen zu bezahlen? Das liegt im Ermessen des potentiellen Kunden. Ich sag mal so, es gibt für alles einen Abnehmer. Einige fussfetischisierte Leute mögen sie vermutlich und ich muss das ausnutzen, damit ich mir endlich diesen roten Wintermantel aus dem Internet bestellen kann, um den ich schon seit längerem herumsurfe. Noch habe ich keine Bilder meiner Füsse im Internet angeboten. Vielleicht wird es ja auch ein ganz niederschmetterndes Erlebnis und ich mache am Ende sogar Minus. Kann ich das riskieren?
Eine andere Möglichkeit, mir diesen Mantel zu leisten, besteht darin, sich Experimenten zu unterziehen. In der U-Bahn sehe ich ständig Plakate von klinischen Studien zum Thema Haarausfall bei Männern (ich bin nicht betroffen), Restless-Leg-Synchron (ich mache Stand-Up, das gehört zu meiner Bühnenpräsenz) oder zur Kupferspirale (vielleicht bin ich die falsche Zielgruppe). Aber irgendein ambulant durchgeführtes, medizinisches Experiment wird es schon geben, bei der der Schaden für meinen Körper im Verhaltnis zur Aufwandsentschädigung steht. Ich trinke auf Verantaltungen manchmal recht günstig schmeckenden Wein. Das Vergügen steht auch in keinem Verhältnis zum gesundheitlichen Schaden. In einem finanziell profitablen schon mal gar nicht. Also welcher Doktor muss was testen?
Nachhause zu Fremden möchte ich nicht, denn geschmacklose Einrichtung macht mich traurig.
Selbstverständlich könnte ich auch der Prostitution nachgehen. Ich verweise mal wieder darauf, dass es für alles einen Fetischisten mit locker sitzendem Portmonnaie gibt. Rein statistisch gesehen auf jeden Fall. Mit der Vermietung meines Körpers habe ich in der Theorie auch kein moralisches Problem. Ich denke bei grosser Nachfrage wäre sogar meine Mutter stolz. Sie war ja massgeblich an der Produktion meines Körpers beteiligt. Aber mich scheut einfach der Smalltalk mit Freiern nach, vor oder während des Genitalverkehrs. Mich interessiert einfach nicht, was im Leben von Männern, die ich gerade für unnummiertes Bargeld, beglückt (ich bin optimistisch) habe, ausser mir so passiert. Rein hypothetisch. In Hotels war ich in meinem Leben auch schon genug, nachhause zu Fremden möchte ich nicht, denn geschmacklose Einrichtung macht mich traurig und zuhause bei mir würde ich keine Kundschaft empfangen. Das müsste ich vorher aufräumen und das dann wieder auf den Preis draufschlagen. Somit wäre ich nicht mehr wettbewerbsfähig.
++ Mein Leben auf OnlyFans: Zwischen Online-Prostitution und Selbstverwirklichung (MANNSCHAFT+) ++
Es hilft nichts. Die Berufe, denen ich in meiner aktuellen Lebensphase nachgehe, muss ich wohl bis zum Ende meines Lebens durchziehen. Mit zwei Schuhen und der Option, beidseitig Händchen zu halten. Vielleicht hatte meine Oma Recht. Was einen Arm oder ein Bein kostet, brauchen wir nicht. Und gerade brauche ich eigentlich keinen roten Mantel. Ich bin ja auch glücklich ohne. Und wie sagt man: Wenn du glücklich bist, dann klatsche in die …
Merkt Ihr selber, ne?
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