Lieber lesbisch lebensfroh als verklemmt und hetero?

Müssen wir immer nett sein zu cis Heteros, fragt sich Anna Rosenwasser

Foto: Chewy/Unsplash
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Wut ist gut, oder? Manchmal muss es im Umgang mit unseren nicht-queeren Brüdern und Schwestern sein, schreibt unsere Autorin in ihrem Samstagskommentar*.

Letztens machte ich bei einem Video über Feminismus mit. Eine der Fragen lautete: «Bringt Feminismus überhaupt etwas?» – «Wenn das Einsetzen für Feminismus nichts bringen würde», antwortete ich darauf, dann würde ich gerade meinem Mann und meinen drei Kindern das Essen vorbereiten und hätte kein Stimmrecht, geschweige denn ein eigenes Konto.»

Feminismus kämpft dafür, dass jede Person frei lieben kann.

Ich fand diese Aussage wichtig. Denn ich habe weder vor, einen Mann zu haben noch Kinder, ich koche ungern und stimme dafür umso lieber ab. Drum: Cool, gibt’s Feminismus. Das meine ich übrigens auch aus queerer Perspektive: Feminismus kämpft dafür, dass jede Person ihr Geschlecht frei leben kann, frei lieben kann.

Ich fand meine Aussage in diesem Video also eigentlich koscher. Bis ich folgenden Kommentar darunter las: «Ich habe vier Kinder, bin zuhause, koche Mittagessen, habe kein eigenes Konto, aber auf jeden Fall ein Stimmrecht. Bin ich deswegen weniger wert? Was ist das für ein frauenverachtender Vergleich einer Feministin? So schade!»

Da erschrak ich. Also, natürlich wurde ich zuerst etwas defensiv-wütend, wie immer, wenn mich jemand kritisiert und damit auch noch Recht haben könnte. Ich lasse dieses gefühl des Defensiv-Wütendseins dann ziehen, bis ich wieder schlaue Gedanken fassen kann. Und in diesem Fall war der schlaue Gedanke: Shit. Ich habe einen Fehler gemacht. Denjenigen, den nicht nur ich, sondern auch viele andere Queers und Feministinnen machen: Sie werten traditionellere Lebensformen ab. Manchmal aus Versehen. Manchmal extra. Eine Abwertung ist es so oder so.

Um nochmals kurz in die Defensive zu gehen: Natürlich habe ich das im Video nicht so gemeint. Ich meinte, dass ich ohne Feminismus keine Wahl hätte, ob ich Mann und Kinder habe. Aber gut gemeint ist eben nicht gut gemacht. Nicht nur die Frau, die kommentiert hat, wird sich abgewertet gefühlt haben über meine Aussage – und womöglich ihre Meinung über queerfeministische Anliegen darauf bauen.

Mein Ziel ist es nicht, traditionelle Lebenswege abzuschaffen. Mein Ziel ist es, dass wir alle die Entscheidungsfreiheit haben, traditionell zu leben oder eben nicht. Sonst würde ich ja nicht für die Ehe für alle kämpfen – ein traditionelleres Homo-Anliegen gibt es ja kaum. Will ich mal in Weiss (Jungfräulichkeit-Symbol) vor dem Staat (den meine Beziehung mittelviel angeht) meiner Partnerin (nur einer, Ehe ist monogam) das Ja-Wort geben? Njä. Will ich, dass jede Person, homo, bi oder hetero, diese Möglichkeit hat? Ja. Wir dürfen nicht nur für diejenigen Lebensentwürfe kämpfen, die wir selbst sympathisch finden. Idealerweise setzen wir uns für alle queeren Anliegen ein, weil es um die Freiheit geht, sich voneinander unterscheiden zu dürfen.

Lieber lesbisch lebensfroh als verklemmt und hetero

Dieser Text könnte an dieser Stelle zu Ende sein. Er könnte dazu aufrufen, dass wir traditionelle Lebenswege nicht abwerten – und fertig. Wenn ich nicht das Gefühl hätte, dass uns dieses Abwerten manchmal zu Unrecht vorgeworfen wird. Ich meine, die Frau, die unter das Video kommentiert hat, hätte sich durchaus überlegen können, wie ich die Aussage wohl gemeint habe, anstatt sich in ihrer wohl akzeptierten, rechtlich abgesicherten Hetero-Welt angegriffen zu fühlen. Es erinnert mich an das Demoschild, auf dem der Satz steht: «Lieber lesbisch lebensfroh als verklemmt und hetero.»

Das Schild ist historisch; es gibt es vielleicht schon länger als mich und einige Mannschaft-Leser*innen. Als ich bei der Lesbenorganisation LOS gearbeitet habe, haben wir das Schild nachgemacht – und prompt Kritik geerntet. Wir würden Heteros abwerten, hiess es von einiger Seite. Ich glaube, das ist Interpretationssache: Sagt das Schild wirklich, dass Heteros verklemmt sind? Oder sagt es, dass lebensfrohes Lesbentum schöner ist als diejenige Version von Heterosein, die verklemmt ist? Wie wollen wir ein Schild lesen? Wie sehr ist die Leserin des Schildes darauf an, sich in ihrer Heterosexualität angegriffen zu fühlen? Wer will verstanden werden – und wer will falsch verstanden werden?

Zuletzt find ichs auch wirklich unempathisch, uns Queers vorzuwerfen, sie seien gemein zu cis Heteros. Denn manchmal sind wir gemein zu cis Heteros. Guess what: Es waren und sind cis Heteros, die uns seit Jahrhunderten verfolgen und umbringen. Es waren und sind cis Heteros, wegen denen viele von uns sich nicht sicher fühlen, wenn sie das Haus verlassen. Die Queerfeindlichkeit, die wir unser ganzes Leben erleben, hängt eng zusammen mit der Cis-Hetero-Norm. Und eure Forderung ist, dass wir weniger gemeine Witzli machen?! Im Ernst?

Wenn Lesben unsichtbar gemacht, auf offener Strasse angegriffen und gesetzlich ungleich gemacht werden; wenn sie dann auf ein Demoschild schreiben, dass Heteros verklemmt sind; ist es dann wirklich Priorität, diese Lesben dazu aufzufordern, netter zu sein zu den Heteros?

Nein. Wir haben Grund für unsere queere Wut. Sie ist nicht immer lieb und höflich, denn sozialer Wandel geschieht nicht lieb und höflich. Sie ist zugegebenermassen nicht immer fair. Aber das hat Gründe. Ich verlange nichts anderes, als Verständnis für diese Gründe aufzubringen.

*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar oder eine Glosse zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.

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