«So vieles hat sich in der Ukraine zum Guten gewendet»
Der Münchner Kai Kundrath war 2019 zum ersten Mal als Teil einer internationalen Delegation bei der Demo dabei
Wer in Osteuropa an einem CSD teilnimmt, muss damit rechnen, zumindest angefeindet zu werden. Die Pride im polnischen Bialystok etwa wurde von Hooligans attackiert. Bei der Kiew Pride dagegen blieb es diese Jahr ruhig, trotz Gegendemonstranten. Allerdings ist eine Parade in der Ukraine nichts für schwache Nerven.
Als sich beim Rammstein-Konzert Anfang August in Moskau die Gitarristen Richard Kruspe und Paul Landers auf der Bühne küssten (MANNSCHAFT berichtete), beschimpfte der Duma-Abgeordnete Witali Milonow aus St. Petersburg – der Vater des Gesetzes gegen «Homo-Propaganda» – die Musiker als «Idioten» und erklärte: «Wenn sie sich küssen wollen, sollen sie das in der Ukraine tun.»
Nicht dass die Ukraine ein solches LGBTIQ-Paradies wäre. Im April dieses Jahres wurden Teilnehmerinnen der zweiten Europäischen Lesben-Konferenz in Kiew angegriffen, rechte Demonstranten schlugen Fensterscheiben ihres Hotels ein. Im selben Monat wurden Besucher des schwulen Clubs «Potemkin» in der ost-ukrainischen Stadt Dnipro bei einer dreistündigen Razzia festgehalten (MANNSCHAFT berichtete). Die Polizei rechtfertigte die Aktion mit Verstössen gegen die Prostitutionsgesetze, Aktivisten sahen Homophobie als Hauptmotiv.
Solche Vorfälle kennen wir auch aus Russland. Aber im Gegensatz zu dort werden in der Ukraine, die der EU beitreten will und dieses Ziel Anfang des Jahres sogar in die Verfassung aufgenommen hat, werden Pride-Veranstaltungen nicht nur genehmigt, sie werden auch von der Polizei geschützt. In diesem Sommer blieb es weitgehend friedlich, ein grosser Erfolg. Am 23. Juni demonstrierten knapp 8000 Menschen beim einstündigen Pride-Marsch in der ukrainischen Hauptstadt unter dem Motto «Unsere Tradition ist Freiheit».
Die queerpolitische Sprecherin der Grünen, Ulle Schauws, die in Kiew dabei war, twitterte später euphorisch: «Alles andere als selbstverständlich, sich hier offen lesbisch, schwul, trans, bi, inter, queer zu zeigen. In diesem Jahr hat der Kiew Pride alle Erwartungen gesprengt – so viele Menschen wie noch nie, der längste Zug ever.»
München unterstützt Kiew Pride Auch der Münchner Kai Kundrath war als Teil einer internationalen Delegation angereist. Er ist Geschäftsführer des Schwulenzentrums SUB (zum Facebook-Profil). Das SUB kooperiert neben anderen Einrichtungen der Stadt mit der Kontaktgruppe Munich Kyiv Queer. München und Kiew sind Partnerstädte, seit 2012 sind auch ihre LGBTIQ-Communitys miteinander verbunden. Längst reicht die Partnerschaft hinaus in die ganze Ukraine. So unterstützt man schon im fünften Jahr die Odessa Pride. Und auch dort ging es diesen Sommer verhältnismässig zivilisiert zu, wie Lorenz Kloska für Munich Kyiv Queer berichtete. «So vieles hat sich in der Ukraine zum Guten gewendet.»
Dass die Kiew Pride längst nicht so sicher ist wie der heimische CSD, wusste Kai. Die Parade wird immer von rechten Gegendemonstrant*innen begleitet, die sehr gewaltbereit seien. „Es gibt Leute, die sagen, die Ukraine ist, was Akzeptanz von LGBTIQ angeht, auf dem Stand von Deutschland in den 1980ern Jahren – mit dem Unterschied, dass die Gewaltbereitschaft hier nie so hoch war.»
Tatsächlich gab es schon zwei Tage vor der Parade einen Zwischenfall: Ein schwuler Mann wurde mit Pfefferspray attackiert und verprügelt, als er von der U-Bahn zum Pride House ging. Nach dem Überfall forderten Aktivist*innen Bürgermeister Vitali Klitschko auf, Stellung zu beziehen und beim Marsch mitzugehen. Der reagierte nicht. Dafür liess der Verwaltungschef des Rathauses auf der Homepage der Stadt verbreiten, dass die Pride zu unterstützen sei. Kiew sei kein Platz für Diskriminierung und Hass. Ein beeindruckendes Signal, fand Kai.
Als die Delegation nach einem Empfang in der kanadischen Botschaft ein Restaurant besuchte, bemerkte man am Nebentisch vier Männer, die Fotos von ihnen machten. «Wir waren 16 oder 17 schwule Männer. Wir redeten miteinander, man berührt sich auch mal am Arm oder an der Schulter – aber sowas ist in der Ukraine unüblich.»
Die Männer, die die Delegation fotografierten, waren vermutlich Einheimische – was sie im Schilde führten, darüber konnte man nur spekulieren. Zur Sicherheit trug der Leiter der Delegation den Männern auf, sich von nun an nur noch zu zweit oder zu dritt in der Stadt zu bewegen.
Als Kai mit der Delegation schliesslich am Sonntag mit der U-Bahn zum Startpunkt der Pride fuhr, wurden sie schon von religiösen Gruppen empfangen. «Das waren richtig verbitterte Personen, die haben dort für uns gebetet.» Auf Plakaten waren Sprüche zu lesen wie «Sodomie = der Weg in die Hölle» oder «Ihr seid die Schande Eurer Eltern».
Die Pride-Teilnehmer*innen mussten eine Sicherheitsschleuse passieren und wurden von oben bis unten abgescannt. Anschliessend kamen sie einen abgesperrten Bereich, wo sich auch die Gegendemonstrant*innen aufhielten, wenngleich unbewaffnet. Die Route, die die Parade nahm, musste noch kurzfristig verändert worden – wegen einer Gegenveranstaltung. Aber dann ging es los.
«Alle Gruppen der Community waren gut vertreten, hinter uns lief eine riesige Gruppe mit einer trans Fahne», erinnert sich Kai. „Ich habe vor allem junge Leute bei der Parade gesehen, größtenteils unter 30 oder sogar 25; teilweise liefen auch Familien mit. Die ältere LGBTIQ-Generation traut sich eher nicht, teilzunehmen.»
Bei dem Marsch ging es nicht nur um LGBTIQ-Rechte, demonstriert wurde auch für Frauenrechte und für die Freiheit der Ukraine. Die Gegendemonstranten schimpften und pöbelten, es wurden Eier auf die Parade geworfen, aber ansonsten gab es keine Zwischenfälle – zum ersten Mal bei Kiew Pride. Der rechte Mob wurde mit panzerartigen Fahrzeugen abgeschirmt.
Insgesamt war Kai beeindruckt vom funktionierenden Sicherheitskonzept. Freunde fragten ihn, ob es Übergriffe von Polizisten gegeben haben, wie man es beispielsweise von CSD Veranstaltungen in der Türkei kenne. «Die sind so gut ausgebildet und professionell, dass sie die Parade schützen», erzählt der Münchner.
Gut geschützt bei der Kiew Pride Als die Parade vorüber war, standen Busse und U-Bahnen für die Teilnehmer*innen bereit, um sie sicher fortzubringen. Die U-Bahnhöfe wurden schon seit dem Vortag nicht mehr angefahren. Es gehört zu den Sicherheitsauflagen in Kiew, dass die Teilnehmer*innen nach der Pride nicht noch in der Stadt herumlaufen. «Weil die Rechten da eine Art Safari spielen. Sie laufen in der Stadt rum, und schauen, ob sie jemanden finden, den sie verprügeln können.»
Die Polizei begleitete die Pride-Teilnehmer*innen bis zum U-Bahnhof, der ebenfalls von Polizist*innen gesichert wurde. Dann fuhren leere Züge ein. Sie fuhren etwa sechs, sieben Stationen stadtauswärts, ohne irgendwo zu halten, dann kamen sie in einer Wohnsiedlung an. Dort gingen sie etwas essen und machen sich später wieder auf den Rückweg in die Stadt.
Fortschritte binnen kurzer Zeit Kai findet es erstaunlich zu beobachten, wie schnell sich die Situation in Kiew gewandelt hat. Im Jahr 2013 hatte es erstmals eine Pride mit 150 Menschen gegeben, die Premiere im Vorjahr war wegen aggressiver Anfeindungen gestrichen worden. Auch 2014 fand keine Parade statt, wegen Sicherheitsbedenken angesichts des Krieges in der Ostukraine. 2015 waren es rund 200 Teilnehmer*innen, die weit entfernt vom Stadtzentrum demonstrierten, Bei Angriffen durch Ultranationalisten wurden neun Polizisten verletzt. 2018 zählte man 5000 und in diesem Jahr noch einmal 3000 Demonstrant*innen mehr – bei rund 1000 Gegendemonstranten.
Die Parade 2019 war ein Erfolg und ist Anlass für Hoffnung auf bessere Zeiten. Im nächsten Jahr ist Kai vielleicht wieder dabei. «Ich finde es wahnsinnig wichtig, die Community dort zu unterstützen.» Den neuen ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj bekam man bei der Parade dieses Jahr nicht zu sehen, auch wenn ihn die Organisator*innen eingeladen hatten. Ganz so weit ist man in der Ukraine dann doch noch nicht.
LGBTIQ in der Ukraine
Laut dem 2019er-Bericht der Kiewer Menschenrechtsorganisation «Nasch Mir» ist der Reformkurs der Ukraine im Bereich LGBTIQ ins Stocken geraten, gewaltbereite ultrarechte Splittergruppen bestimmen die Agenda. Tatsächlich attackieren immer wieder Organisationen wie «Nationaler Korpus» oder «Rechter Sektor» öffentliche Veranstaltungen und Einrichtungen der Community. Um den 17. Mai herum gibt es immer wieder Vorfälle, die sich gegen Veranstaltungen zum IDAHoBIT richten. In Saporischschja wurde bei einer Zusammenkunft der örtlichen LGBTIQ-Organisation «Gender Z» ein Feuerwerkskörper in die Menge der Protestierenden geschleudert und ein Polizist verletzt. In Tschernowitz blockierten Rechtsradikale und religiöse Fanatiker das Equality-Festival, zu dem die Organisation «Insight» aus Kiew regelmässig an einen anderen Ort der Ukraine lädt. Insgesamt dokumentierte Nasch Mir im Jahr 2018 über 300 Vorfälle.
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