«Karl und ich, wir hatten eine warmherzige Beziehung»

Der Sänger und Schauspieler Jared Leto (51) im Interview

Gemeinsam mit seinem anderthalb Jahre älteren Bruder Shannon (l.) hat Jared 1998 die Band Thirty Seconds To Mars gegründet (Bild: Bartholomew Cubbins)
Gemeinsam mit seinem anderthalb Jahre älteren Bruder Shannon (l.) hat Jared 1998 die Band Thirty Seconds To Mars gegründet (Bild: Bartholomew Cubbins)

Jared Leto gewann einen Oscar für seine trans Rolle in «Dallas Buyers Club» (MANNSCHAFT berichtete), brillierte zuletzt in «House Of Gucci». Seit 1998 tourt er mit seiner Alternative-Rockband Thirty Seconds To Mars um die Welt und besingt mit dem jüngst erschienenen Album deren Ende an einem wunderschönen Tag. Darüber sprachen wir mit ihm sowie über Freiheit und Karl Lagerfeld.

Jared Leto, wie ist es aktuell um deine eigene Lebenslust bestellt? Der Titel eures Albums ist ja ein wenig ambivalent: «It’s The End Of The World But It’s A Beautiful Day». Lebst du nach der Devise: Die Welt geht vor die Hunde, also geniesse ich mein Leben, solange es noch geht? Ich finde, dass der Titel die vollkommen verrückten Zeiten, in denen wir leben, ziemlich gut reflektiert. Ich meine, wir feiern, wir haben Spass, aber wir tanzen ganz schön nah an der Klippe.



Wobei der Mensch das Chaos, in dem er sich zurechtfinden muss, natürlich selbst verursacht hat. Absolut, absolut. Das Irre ist doch, dass wir allesamt in einer total friedlichen und total harmonischen Welt leben könnten, aber wir uns ständig wieder neue Probleme schaffen. Das ist wirklich bizarr. Abgesehen von Naturkatastrophen, und selbst für die tragen wir oft eine Mitverantwortung, sind wir diejenigen, die uns das Leben selbst schwer machen. Und die anschliessend gucken müssen, wie sie die Suppe wieder auslöffeln. Ganz grundsätzlich macht es mich fertig, wie viel Schmerz der Mensch anderen Menschen zuzufügen imstande ist.

Euer Album klingt nun überwiegend bombastisch, elektronisch und episch. Es wirkt wie der Soundtrack zu einem monumentalen Katastrophenfilm, in dem am Ende alles gut wird. Bist du tief in dir drin ein hoffnungsvoller Mensch? Ja, ich bin ein Optimist, und ich halte es für mich, Optimismus zu teilen und zu verbreiten. In unserer Welt gibt es sehr viel Negativität und Dunkelheit. Das Leben kann einen schon runterziehen. Und manchmal singe auch ich im Chor der Pessimisten mit. Aber was mich zuversichtlich stimmt und ermutigt, ist meine Überzeugung, dass wir die Werkzeuge, die Kreativität und das Know-how haben, um erfolgreich an einer besseren Zukunft zu arbeiten. Auch wenn die Zeiten düster erscheinen, kann die Zukunft trotzdem hell erstrahlen. Wir haben alle Möglichkeiten, um unseren Untergang abzuwenden, wir müssen sie nur nutzen.

Freiheit ist ein zentrales Thema auf dem Album. Was bedeutet dir der Begriff der Freiheit persönlich, was ist deine Definition eines freien, selbstbestimmten Lebens? Freiheit ist für mich die Fähigkeit, meinen wildesten Träumen zu folgen und meinen verrücktesten Leidenschaften zu frönen. Ausserdem heisst ein freies Leben für mich ein Leben, in dem ich ganz ich selbst sein kann. In dem mir nicht die ganze Welt vorschreiben will, was ich zu tun und wer ich zu sein habe.

Menschen zu langweilen wäre mir ein Grauen

Als Musiker wie auch als Schauspieler legst du dich nicht auf ein Genre fest, nicht auf eine bestimmte Art von Rolle. Fällt es dir leicht, immer du selbst zu bleiben, wenn du bei der Arbeit immer wieder in die Person von jemandem anderem schlüpfst? Die Herausforderung liegt darin, bei mir zu bleiben und auf meine innere, kreative Stimme zu hören. Und natürlich die beste Arbeit abzuliefern, die ich zu leisten imstande bin. Ich will, dass die Leute, die in meine Filme gehen, zu unseren Konzerten kommen oder die sich unsere Platte anhören, ein hohes Level an Qualität bekommen. Und vielleicht finden sie nicht alles überzeugend, was ich mache, aber es soll sie mindestens überraschen. Menschen zu langweilen wäre mir ein Grauen. Und ich gebe ein Versprechen ab: Wenn du zu einer Show von Thirty Seconds To Mars kommst, werden mein Bruder und ich alles in unserer Macht Stehende dafür tun, dass du diesen Abend niemals vergessen wirst.

Im Video zu eurer aktuellen Single «Stuck» spielen sehr viele, sehr unterschiedliche Menschen mit. Nicht alle entsprechen dem typischen Schönheitsideal. Aber alle tragen fantastische Outfits. Geht es auch hier um das Feiern der Freiheit? Ja, das denke ich. Wir kommen immer wieder auf die Freiheit zurück, und das gefällt mir. Freiheit ist so wichtig – emotional, körperlich, psychisch und kreativ. Ganz ehrlich, schon das Wort «Freiheit» ist wundervoll.

Du bringst in dem Clip Musik, Mode, Schauspiel, Kunst und Design zusammen. Macht es dir Spass, quasi alle deine Talente gleichzeitig auszuleben? Oh ja, total. Und ich liebe es auch, der Regisseur meiner Videos zu sein, meine eigene Vision umzusetzen. Ein Video zu drehen ist für mich so ähnlich wie ein Bild zu malen. Du kannst tun und lassen, was du willst, es gibt kein Richtig und kein Falsch, und du hast, da sind wir schon wieder, die vollständige Freiheit, dich künstlerisch auszutoben.

Du hast 2014 einen Oscar bekommen für deine Rolle als eine trans Frau im Film «Dallas Buyers Club». Beeindruckt es dich, wie weit die Gesellschaft in Sachen Diversität vorangekommen ist in den vergangenen zehn Jahren? Für mich ist jeder Mensch ein Faszinosum. Ich denke, Vielfalt, nicht zuletzt menschliche Vielfalt, macht die Welt zu einem interessanteren Ort. Wir sind nicht alle gleich, und das ist grossartig. Unterschiede bereichern uns. Und speziell dieses Video feiert Menschen, die ein bisschen anders sind als die Norm, oder die vielleicht auf andere Art schön sind.



Bist du auch ein bisschen anders? So habe ich mich immer empfunden. Ich bin mit Künstler*innen, mit kreativen Menschen aufgewachsen. Seit ich klein war, wurde ich ermutigt, meine eigene Trommel zu schlagen und meinen ganz individuellen Weg zu gehen. Mein Bruder und ich, wir haben schon früh eine eigene künstlerische Sprache entwickelt, ohne uns gross an anderen zu orientieren.

Ihr seid mit eurer alleinerziehenden Mutter viel umhergezogen und habt eine Art Hippie-Kindheit erlebt. Wie wichtig war deine Mutter für dich? Unsere Mutter hat eine riesengrosse Rolle dabei gespielt, dass wir unsere Kreativität entdecken konnten. Wir waren eine Vagabundenfamilie, ohne wirkliche materielle Stabilität, aber mit viel Liebe und Zuneigung. Kunst und Musik waren immer Teil unseres Lebens. Ich war ein kleiner Junge, als mir einer unserer Freunde ein paar Akkorde auf der Gitarre beibrachte, und an diese Akkorde erinnere ich mich heute noch.

Später fanden wir ein altes Klavier am Strassenrand, das jemand weggeworfen hatte. Wir behielten und stimmten es, und ich lernte zu spielen. Mein Bruder haute auf sämtliche Kisten und Pfannen, die er in die Hände bekam, so fing seine Karriere als Schlagzeuger an.

Was ist von diesem Hippie-Geist heute noch präsent in deinem Leben? Ich bin absolut davon überzeugt, dass zum Leben mehr gehört, als einfach nur viel Geld zu verdienen und Erfolg zu haben. In der Hippie-Ära wurde das Fundament gelebt für vieles, was wir heute schätzen. Freies Denken, Selbstliebe, Achtsamkeit, Gemeinschaftssinn – das ist der Geist jener Zeit gewesen. Und diese Werte werden immer wichtiger. Ich hoffe, dass auch ich sie bis zu einem guten Grad leben und vermitteln kann.

Du machst zumindest einen recht gut ausbalancierten Eindruck. Bist du erleichtert, dass du in Hollywood nicht verrückt geworden bist? Und ob! Ich versuche wirklich, einigermassen intakt zu bleiben. Ich bin zum Beispiel total nüchtern, ich nehme keine Drogen, trinke keinen Alkohol, rauche nicht, lebe seit langem vegan. Das alles hilft ungemein. Ich kann mich sehr gut fokussieren. Mein grösstes Laster ist wahrscheinlich, dass ich ein bisschen zu viel arbeite.

Wenn das deine übelste Angewohnheit ist, kannst du dich nicht beklagen. Was tust du, um dich zu entspannen? Yoga, Meditation, lange Spaziergänge und Klettern. Klettern ist toll, du bist in der Natur, es ist absolut anstrengend und um den Kopf freizukriegen, gibt es nichts Besseres.

Jared Leto
Jared Leto

Alles andere als frei war dein Kopf unlängst bei der Met-Gala in New York. Du bist im Ganzkörperkostüm gekommen, verkleidet als Karl Lagerfelds Katze Choupette. War es nicht heiss unter dem Fell? Es war sogar höllisch heiss (lacht). Aber auch lustig. Ich wollte Karl mit dem Kostüm ehren, er hatte einen herrlichen Humor und hätte sicher auch gelacht.

Karl, eines Tages werde ich dich in einem Film darstellen

Kanntet ihr euch? Ich habe Karl einige Male getroffen. Einmal sagte ich zu ihm «Karl, eines Tages werde ich dich in einem Film darstellen.» Und er meinte nur: «Wenn das einer macht, dann du, Darling.»

Wie würdest du euer Verhältnis beschreiben? Wir waren uns in gegenseitiger Zuneigung verbunden. Und natürlich bewunderte ich sein Schaffen zutiefst, und auch er sagte immer wieder sehr nette Dinge über meine Arbeit. Wir hatten eine warmherzige Beziehung.

Tatsächlich wirst du nun in der Verfilmung von Lagerfelds Leben die Hauptrolle spielen. Wie weit ist das Projekt gediehen? Wir arbeiten aktuell am Drehbuch, ein bisschen wird es also noch dauern. Mein Gott, ich freue mich so. Was für einen Jahrhundertcharakter ich spielen werde – ich bin unendlich dankbar über diese Rolle.

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