«Die Plattenfirma sagte, ich solle mich nicht in Schwulenbars blicken lassen»
Interview mit Rob Halford von Judas Priest zum neuen Album «Invincible Shield»
Rob Halford von Judas Priest gilt als einer der härtesten Kerle im Metal – und lebt seit langem offen schwul. Weil er mühelos zwischen einem kehligen Growl und einem ohrenbetäubenden Falsett wechseln kann, wird er von seinen Fans «Metal God» genannt.
Das neue Judas-Priest-Album «Invincible Shield» dreht sich um Gott, den Teufel und die Türen zur Hölle, aber auch um positive Energie und Selbstheilung. Mit dem 75-jährigen Halford, Mitglied der ehrwürdigen Rock and Roll Hall of Fame, sprachen wir über sein Coming-out vor 25 Jahren, seine Krebserkrankung und die Sexualmoral der katholischen Kirche.
Das neue Album markiert das 50. Plattenjubiläum von Judas Priest. Wie erklärst du dir, dass eure aktuelle Musik so frisch klingt? Nun, dieses Album spricht Bände über alles, was wir in der Metal-Musik seit unseren Anfängen getan haben, im Sinne von Kraft, Leidenschaft, Entschlossenheit, Widerstandsfähigkeit, Verlässlichkeit. All diese Dinge sind Teil dessen, was die grossartige Verbindung zwischen Judas Priest und der Metal-Musik aufrechterhalten hat.
Es war immer sehr wichtig für uns, ein Statement abzugeben. Und wenn man ein Statement angibt, dann muss es frisch, aufregend, voller Energie und neuer Möglichkeiten sein. Das kann man in der Musik dieses Albums spüren. Es nimmt seinen eigenen Platz ein zwischen «Sad Wings of Destiny», «Sin after Sin» oder «Painkiller». Jedes dieser Alben hat den Test der Metal-Zeit überstanden. Genau so wollen wir uns präsentieren und unseren Platz im Metal für 2024 definieren.
Auf dem Album singst du über «Escape from Reality». Ist Eskapismus in diesen chaotischen Zeiten besonders wichtig? Ja, im Moment mehr denn je. Gott, die Welt ist in einer wirklich schrecklichen Lage, was die Konflikte, den Antisemitismus und die Homophobie angeht. Wir werden ständig mit all diesen Themen bombardiert, aber wir verstehen auch die Propaganda der Medien. Die greifen immer die Geschichten auf, die die meisten Emotionen wecken. Ich glaube, dass 99,9 Prozent der Weltbevölkerung gut sind und Frieden wollen.
Aber damit lässt sich keine Geschichte, keine Zeitung, keine Nachrichtensendung verkaufen. Man lässt uns also in dem Glauben, dass die Welt so ist, wie die Medien sie zeigen, aber damit bin ich nicht einverstanden. Ich stimme zu, dass diese Dinge passieren und dass wir uns ihnen stellen, über sie reden und Probleme und Fragen lösen müssen. Aber eine Flucht vor der Realität ist das, was wir mit unserer Musik tun müssen. Wenn wir Musik hören, entfliehen wir der Realität der Welt. Musik kann Frieden bringen, aber auch Revolution.
Glaubst du, dass Musik heute noch eine Revolution hervorbringen kann? Oh ja, denn sie wurde oft in Revolutionen, Kriegen und Konflikten eingesetzt. Ich wurde 1951 geboren, also kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. In diesem Konflikt hatte jede Seite ihre eigene Musik, die dazu diente, die jeweilige Überzeugung zu fördern. Aber sie enthielt auch etwas Romantik und Elemente der Liebe, selbst in Zeiten, in denen Familien auseinandergerissen wurden oder geliebte Menschen verloren gingen.
Lieder wurden in Revolutionen eingesetzt, um alle Emotionen abzudecken. Denken Sie nur an den Vietnamkrieg und die Macht der Musik im Amerika der sechziger Jahre. Sie war Teil der sozialen und kulturellen Revolution des Landes. Musik war in dieser Hinsicht schon immer ein wichtiges Gut für die Menschheit.
Apropos Revolution: Mit deinem Coming-out hast du 1998 für einen echten Paukenschlag in der Metalszene gesorgt. Seither bist du ein äusserst populäres Sprachrohr der LGBTIQ-Community. Du setzt sich immer wieder gegen Diskriminierung ein. Was hat sich seither für dich persönlich verändert? Ich persönlich habe mich aufgrund meiner Lebensumstände an einem wirklich friedlichen Ort wiedergefunden. Besonders in den 1980er Jahren wurde mir gesagt, ich solle diesen Teil von mir ruhig halten. Damals war die Band in einer sehr ausgestellten Situation. Das Management und die Plattenfirma sagten mir, ich solle mich nicht in Schwulenbars blicken lassen und vorsichtig mit dem sein, was ich sage. Es ist heute undenkbar, von einem Künstler zu verlangen, dass er sich versteckt.
Das wäre praktisch illegal. Aber so war es für mich, bevor ich mich an jenem ereignisreichen Tag bei MTV geoutet habe. Danach war es wundervoll und ich fühlte mich in Frieden. Ich musste nichts mehr verstecken. Seitdem ermutige ich Menschen wie mich immer. Aber was die LGBTIQ-Gemeinschaft angeht, so ist die Situation wie ein Alptraum. Schauen Sie sich an, was in Russland passiert. Es ist furchtbar.
Woran liegt das? Wir sind immer noch eine Minderheitengruppe, die unter Vorurteilen von schrecklichen, wütenden, unglücklichen Menschen leidet, die voller Angriffslust sind. Es ist schrecklich, dass ein Mensch jemanden wie mich hassen kann, nur weil Gott mich so geschaffen hat. Dieser Kampf ist immer noch im Gange und wir müssen vorsichtig sein, denn es werden Gesetze erlassen, auf die wir wenig Einfluss haben.
Ich meine, an manchen Orten kann man Politiker wählen, die sich für unsere Rechte einsetzen, aber an anderen Orten hat man diese Möglichkeit nicht. Dort hat man kaum Möglichkeiten, gegen diese Art von Dingen zu kämpfen. Das heisst aber nicht, dass man damit aufhören sollte. Jede Form der Unterdrückung macht dich stärker. Angreifen zerstört nicht, sondern baut eine grosse Verteidigung auf. Das ist der unbesiegbare Schild.
Auch homosexuelle Paare können künftig in der katholischen Kirche gesegnet werden. Die katholische Lehre, wonach die sexuelle Vereinigung nur innerhalb einer Ehe von Mann und Frau erlaubt sei, soll aber unverändert bleiben. Was die katholische Kirche betrifft, so ist es eine Ironie, dass sie diese Art von Vereinigung so lange nicht zugelassen hat, wenn man die grausame Geschichte des sexuellen Missbrauchs innerhalb der Kirche bedenkt. Sie sollte einmal selbst in den Spiegel schauen, bevor sie etwas anderes sagt. Mein Konzept der Liebe, von dem ich glaube, dass es das Konzept Gottes ist, lautet: «Nehmt jeden an!» Man kann der Liebe keine Regeln und Vorschriften auferlegen.
Die Liebe ist rein und unschuldig und voll von Licht. Es ist wichtig, dass die Religion die Liebe und Umarmung der Menschen vertritt. Ironischerweise ist ein Grossteil des Konservatismus sehr kontrollierend, sehr finster, sehr mittelalterlich. Aber wir sind jetzt im Jahr 2024, wir sollten in der Lage sein, Fortschritte zu machen. Wir sollten die Menschen einfach das Leben wählen lassen, das für sie am besten ist, das sie am produktivsten macht und ihnen die besten Möglichkeiten und alle individuellen Rechte bietet. Das macht die Welt sicherlich zu einem besseren Ort.
Judas Priest «Invincible Shield» (Columbia/Sony Music) erscheint am 8. März (alle Tourdaten)
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