Ist das «Queerbaiting»? Harry Styles spricht über Homosexualität
Der 28-jährige Popstar gab ein Interview und macht damit Schlagzeilen
Das ehemalige Mitglied der Boyband One Direction wird wegen seines extravaganten Stils und wegen der «vermeintlich sexuellen Zweideutigkeit» vieler seiner Lieder oft nach seiner sexuellen Orientierung gefragt, schreibt das Musikportal Deutschrap. Und weist darauf hin, dass es Harry Styles bisher vermieden habe, auf diese Frage eine «explizite Antwort» zu geben.
Das habe zu viel Kritik geführt von Seiten einiger LGBTIQ-Aktivist*innen. Nun sprach Styles darüber in einem Interview mit dem Magazin Rolling Stone. Der Vorwurf lautet: Styles würde von der bewusst eingesetzten «Queer-Ästhetik» profitieren, ohne sich selbst «ausdrücklich als Teil der LGBTIQ-Gemeinschaft zu bezeichnen»; so fasst Deutschrap die Lage zusammen. Man spricht diesbezüglich von der Marktingtechnik des Queerbaiting, wobei Firmen oder Künstler*innen auf LGBTIQ-Inhalte hinweisen, diese aber nicht wirklich darstellen bzw. sich diese nur zu Anlässen wie dem Pride-Monat auf die Fahnen schreiben, ohne sie ernsthaft zur eigenen Firmenpolitik zu machen. (MANNSCHAFT ging auf Queerbaiting ein im Zusammenhang mit neuen Serien zu historischen Themen.)
Ist das also eine Form von «kultureller Aneignung»? Spielt Styles mit den Sehnsüchten seiner LGBTIQ-Fans, nur um an ihr Geld zu kommen? Wäre das «verboten»? Muss er sich eindeutig als nicht-heterosexuell outen, um eine queere Ästhetik – die sich nicht auf konventionelle Geschlechterklischees festlegt – nutzen zu «dürfen»?
Im Rolling Stone sagt Styles: «Manchmal sagen die Leute: ‹Du warst in der Öffentlichkeit nur mit Frauen zusammen.› Aber ich glaube nicht, dass ich in der Öffentlichkeit mit jemandem zusammen war. Wenn jemand ein Foto von dir mit jemandem macht, bedeutet das nicht, dass du dich für eine öffentliche Beziehung oder so entscheidest.»
Kritik an Twitter-Mob Seit der heute 28-jährige Brite berühmt geworden ist, hatte Styles Beziehungen zu Prominenten wie der Fernsehmoderatorin Caroline Flack und Taylor Swift. Seine derzeitige Freundin ist offiziell die Schauspielerin und Regisseurin Olivia Wilde.
Obwohl er sein Privatleben absichtlich nicht in der Öffentlichkeit zeige, würden manche Leute die Grenzen zwischen Privatem und Öffentlichem verwischen, so Styles zu Rolling Stone. Es sei ungemein kompliziert, sich auf jemanden einzulassen, wenn man beim Kennenlernen die andere Person schon auf mögliche Folgen einer Beziehung hinweisen müsse. «Es ist offensichtlich ein schwieriges Gefühl, wenn mir nahe zu sein bedeutet, dass du in einer Ecke von Twitter oder so etwas erpresst werden könntest.»
Da er demnächst mit dem Spielfilm «My Policeman» ins Kino kommt, in dem er einen schwulen Polizisten im Grossbritannien der 1950er-Jahre spielt, der wegen der Gesetzes- und Gesellschaftslage nicht zu seiner Beziehung zu einem anderen Mann steht und stattdessen eine Frau heiratet, die er gemeinsam mit sich selbst ins Unglück stürzt, wurde Styles vom Rolling Stone auch zu seiner Meinung zur Situation von Homosexuellen damals und heute gefragt.
Er antwortet: «Es ist natürlich ziemlich unverständlich, wenn man heute denkt: ‹Oh, man konnte nicht schwul sein. Das war illegal.›» Und weiter: «Ich denke, jeder, auch ich, hat seinen eigenen Weg, seine Sexualität zu entdecken und sich damit wohlzufühlen.»
«Keine Schwulengeschichte» Er fügt hinzu, dass «My Policeman» keine «Schwulengeschichte» sei, sondern eine universelle, menschliche Geschichte über Liebe und verschwendete Zeit. Die Romanvorlage hat die Autorin Bethan Roberts geschrieben, und diese erzählt die Geschichte immer abwechseln aus der Perspektive der Ehefrau und der des verlassenen Liebhabers. Den holt sie Jahrzehnte später – nach dessen Schlaganfall – zu sich ins Haus, um ihn zu pflegen. Damit zwingt sie ihren inzwischen pensionierten Mann, sich mit seiner eigenen Vergangenheit und Sexualität auseinanderzusetzen. Was zu einem wahrhaft bewegenden Schluss führt.
Natürlich enthält der Film – genau wie das Buch – Liebesszenen. Styles dazu: «Beim schwulen Sex im Film geht es oft um zwei Männer, die es miteinander treiben, und das nimmt dem Ganzen die Zärtlichkeit», erklärt er. Wobei der Mangel an Zärtlichkeit im Buch damit zusammenhängt, dass der Polizist (den Styles spielt) nicht in der Lage ist, zu seinen Gefühlen zu stehen. Worin die Tragik seiner Figur und der Zeit liegt.
Styles weiter: «Ich kann mir vorstellen, dass es einige Zuschauer*innen gibt, die in der Zeit gelebt haben, als es illegal war, schwul zu sein.» Regisseur Michael Grandage habe aber zeigen wollen, dass Sex zwischen Männern durchaus «zärtlich, liebevoll und sensibel ist», meint Styles. Die Frage nach seiner eigenen Sexualität lässt er weiterhin offen.
Als die britische Gay Times über Styles und das Rolling Stone-Interview berichtete, brauch online sofort eine Flut von Kommentaren los. Ein*e User*in mit dem Profilnamen Unapologetically Black schreibt: «Jetzt geht das schon wieder so, dass wir die Identität von anderen einer Art Polizeikontrolle unterziehen und damit genau das tun, was uns selbst so lange angetan wurde.»
«Wisst ihr, was das aus ihm macht?» Jemand anderes schreibt: «Lasst Harry in Ruhe. Ist es nicht gut genug, dass er sich für Menschen (aus der LGBTIQ-Community) einsetzt und ihnen bei seinen Konzerten Raum gibt, so zu sein, wie sie sind? Wisst ihr, was das aus ihm macht? Eine gute Person … und das ist letztlich alles, was uns interessieren sollte.» (MANNSCHAFT berichtete darüber, wie Styles einem lesbischen Fan bei einem Konzert beim Coming-out half.)
Trotzdem werden die Spekulationen vermutlich nicht aufhören. Sie hatten mit dem Song «Medicine» Nahrung bekommen, in dem Styles singt: «The boys and the girls are in, I mess around with them and I’m okay with it.» Das Lied hatte Styles zuerst 2018 bei einer Tour gesungen, es zähle zu den Fan-Favoriten, schreibt Gay Times.
Der Film «My Policeman» soll im Oktober in die hiesigen Kinos kommen. Er hat aber schon jetzt bei verschiedenen internationalen LGBTIQ-Festivals Preise gewonnen. Und genau wie der BBC-Zweiteiler «The Man in an Orange Shirt» (2017) arbeitet er die erdrückende Situation im England der Nachkriegsjahre auf und setzt diese in Beziehung zur Gegenwart, verbunden mit der Frage, welche Auswirkungen die Vergangenheit auf Familien und Nachkommen von Personen hat, die ihre Sexualität unterdrücken mussten und in Ehen flüchteten, die alle Beteiligten unglücklich machten.
Während in «The Man in an Orange Shirt» Vanessa Redgrave eine verbitterte alte Witwe spielt, die ihren schwulen Enkel mit ihrer Homophobie schikaniert und erst spät erkennt, was sie damit für einen Schaden anrichtet, lässt Bethan Roberts in ihrem Roman die weibliche Hauptfigur schon früher erkennen, dass sie selbst in die Situation eingreifen muss, um die Homophobie der Vergangenheit zu überwinden. (MANNSCHAFT berichtete über das Filmprojekt mit Jonathan Bailey und Matt Bomer, in dem es ebenfalls im die Situation von schwulen Männern in den 50ern geht, diesmal allerdings in den USA der McCarthy-Ära.)
Das Buch lohnt in jedem Fall die Lektüre und rangiert bei Amazon derzeit als Platz 1 in der Kategorie «Bisexuelle Literatur». Übrigens schreibt speziell dazu ein Facebook-User namens Steve Spencer unter den Gay Times-Artikel zu Styles und dessen Sexualität: «In der Zwischenzeit sagen bi+ Personen: Yeah, das ist doch total normal, er kann sein, was immer er will.»
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