Etwas dringend benötigte Queerness im Krankenhaus

Über einen unerwarteten Regenbogen in der Notaufnahme

Bild: Martha Dominguez de Gouveia/Unsplash
Bild: Martha Dominguez de Gouveia/Unsplash

Bei der Blutentnahme wird unserer Kolumnistin Anna Rosenwasser schlecht. Wie eine Praxisassistentin den Moment gerettet hat, schreibt sie in ihrem Kommentar*.

Da liege ich also auf dem Zimmerboden meines Freundes Tony, meine Beine angewinkelt wie ein leidender Embryo. Eigentlich wollen Tony und ich uns einen Musicalfilm ansehen, queere Selfcare an einem Montagnachmittag. Stattdessen liege ich jetzt da auf seinem flauschigen Teppich und kann kaum atmen vor Bauchschmerzen.

Eine Stunde später nimmt mich meine Partnerin bei der Hand und führt mich in eine Notfallpraxis. (Später wird sie sagen, mein Gesicht habe die Farbe gehabt von Papier mit hohem Recycling­anteil.) Ich spreche mit irgendeinem Menschen am Empfang, dann mit irgendeinem Arzt, dazwischen warte ich in diesem patentiert Krankenhaus-weissen Wartezimmer darauf, dass die Schmerzmedikamente wirken.

In den kurzen Momenten, in denen ich an etwas anderes denken kann als an meinen Schmerz, kaufe ich in Gedanken Blumensträusse für meine Freund*innen und das gesamte Praxispersonal. Mir tragen gerade viele Menschen prima Sorge, und trotzdem fühle ich mich seltsam einsam.

Dann: Blutentnahme. Ich taumle alleine in den Raum. Die Praxisassistentin kommt rein und mir schiesst durch den Kopf, dass ich mich bei Blutentnahmen ablenken muss, damit mein Hirn nicht in den Panikmodus schaltet. Genau jenes Hirn ist jetzt alarmierend leer. Die Assistentin krempelt meinen Ärmel hoch. Dann macht sie ihre Instrumente parat – welche, weiss ich nicht, weil ich schon längstens instinktiv wegschaue – und setzt sich mir gegenüber. Mir wird etwas schummrig. Dann wiederholt sie meinen Nachnamen. Ich richte mich auf und sehe sie an. Sie ist wohl ähnlich alt wie ich, hat feine blonde Haare.

Welche Folge war die letzte, die Sie gehört haben? – Die mit den Eltern des nichtbinären Kindes.

«Waren Sie nicht mal im Pride-Podcast zu Gast?», fragt sie. War ich. Mehrmals. «Ich liebe diesen Podcast», erzählt sie mir, «ich höre die Folgen oft vor dem Einschlafen. Der Moderator hat so eine beruhigende Stimme, finde ich.» Ich sehe in ihren Augen, dass sie hinter der Maske lächelt. «Welche Folge war die letzte, die Sie gehört haben?», frage ich. «Die mit den Eltern des nichtbinären Kindes. Es ist sieben Jahre alt und nichtbinär! Ich finde, alle Kinder sollten wissen, dass es das gibt. Es ist doch wichtig, dass sie das schon früh kommunizieren können.»

Ich nicke enthusiastisch. «Die Kinder sind ja nicht das Problem, die checken sowas. . . », sagt sie, « . . . genau! Es sind die Erwachsenen, die es nicht verstehen wollen!», antworte ich. Mir ist nicht mehr schummrig. Mir ist schön warm. Vor wenigen Minuten noch fühlte ich mich so alleine, wie man sich halt fühlt, wenn Schmerz den Körper regiert. Aber jetzt ist da ein Stück Community mitten in dieser Krankenhaus-weissen Notfallpraxis, etwas Bekanntes, Schönes, Wichtiges.

Die Blutentnahme ist längst vorbei. Die Assistentin hätte mir literweise abnehmen können; womöglich hätte ich es nicht gemerkt. Es kann sein, dass zufälligerweise jetzt meine Medikamente zu wirken beginnen, denn mein Schmerz hat etwas nachgelassen. Als ich die Praxis verlasse, winken die Assistentin und ich uns zu wie geheime Verbündete.

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*Die Meinung der Autor*innen von Kolumnen, Kommentaren oder Gastbeiträgen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.

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