«Escort Boys»: 4 französische Sexarbeiter und 1 schwuler Regisseur

Ruben Alves hat für Amazon Prime einen Sechsteiler mit viel «Eye Candy» und mit Amanda Lear gedreht

Die vier Hauptdarsteller in der Serie «Escort Boys» (Foto: Amazon Prime)
Die vier Hauptdarsteller in der Serie «Escort Boys» (Foto: Amazon Prime)

Die Streamingplattform Amazon Prime hat zum Jahreswechsel ohne viel Werbung die französische Serie «Escort Boys» herausgebracht, in der eine Gruppe von Freunden in Finanznöten anfängt, ihre Körper zu verkaufen, um sich ein bisschen Geld dazuzuverdienen.

Die sechsteilige Serie (jede Folge ist 40 Minuten lang) ist eine Neufassung der israelischen Serie «Johnny and the Knights of Galiee», übersetzt «Johnny und die Ritter aus Galiläa», aus dem Jahr 2015. Darin startet eine Gruppe von Jugendfreunden in Nordisrael ein Gigolo-Business.

Daraus kreierte der deutsche Sender VOX 2018 einen brandenburgischen Ableger mit dem Titel «Milk & Honey». Man sieht darin, wie der Globetrotter Johnny – gespielt vom deutsch-russischen Schauspieler Artjom Gilz – nach dem Tod seines Vater in die brandenburgische Heimat zurückkehrt und aus finanzieller Not beschliesst, mit Freunden einen Escort-Service zu betreiben. Gedreht wurde in Berlin und Brandenburg.

Im Marschland Camarague Nun also die nächste Neuauflage, diesmal im Marschland Camarague in der südfranzösischen Provence angesiedelt, wodurch viele Einstellungen aussehen, wie ein nostalgischer «Western» mit unendlichen Prärie-Weiten, wie aus einem Hollywoodklassiker.

Dorthin kehrt Ben (Guillaume Labbé) nach dem Tod seines Vaters zurück, um sich um dessen Bauernhof (in dem Kontext bessergesagt «Farm») zu kümmern, wo der Vater Bienen züchtete und Honig machte. Dort lebt auch Bens jüngere Schwester Charly (Marysole Fertard), deren Vormund er werden soll bis zu ihrer bevorstehenden Volljährigkeit und um zu verhindern, dass sie zwischenzeitlich in ein Heim muss oder zu einer Pflegefamilie kommt.

«Escort Boys»
«Escort Boys»

Natürlich wirft die Bienenzucht nicht besonders viel Geld ab, Ben muss also der Realität ins Auge sehen, dass er die Farm seines Vaters verkaufen muss. Seine Karriere als Schauspieler im fernen Paris hatte bislang nicht zu besonderem Reichtum geführt, eher dazu, dass er sich von seiner Familie entfremdet hat. Und sich in Paris mit sehr vielen Frauen vergnügte, um die Zeit zwischen Auditions zu überbrücken.

Auf der Farm arbeitet auch der attraktive Mathias (Simon Ehrlacher), der Bens Vater mit den Bienen half und dafür nur wenig Geld bekam. Da die Verdienstmöglichkeiten in der Region auch sonst beschränkt sind, hatte Mathias sich zwischendurch als Sexarbeiter für Frauen angeboten. Das Telefon auf der Farm – wo Leute ihren Honig bestellten – war sein Call Center.

Sex in Zeiten von #metoo Als Ben das eines Tages mitbekommt, als er sich über eine kryptische Honigbestellung wundert, ist er geschockt. Besonders darüber, dass seine Schwester und sein Vater davon scheinbar wussten und kein Problem damit hatten. Bens überraschend prüdes Pariser Weltbild wird ausgerechnet von einem Farmarbeiter in der Provence erschüttert, der ihm erklärt, er sehe das Problem nicht – es sei einfach eine Transaktion. Von der er sagt, in Zeiten von #metoo sei sie besonders wichtig.

Escort Boys
Escort Boys

In ihrem Buch «Male Sex Work and Society» schreiben Victor Minichiello und John Scott, dass ungefähr drei Prozent aller Männer und Frauen im Erwachsenenalter schon einmal Geld für Sex bekommen hätten. Speziell zu Männern, die Sex mit Männern anbieten, schreiben Minichiello/Scott, das ein einzelner Sexarbeiter im Schnitt 20 verschiedene Kunden pro Woche habe.

Sie erwähnen auch, dass in den letzten 100 Jahren männliche Sexarbeit vorwiegend auf urbane Zentren konzentriert gewesen sei. «Johnny and the Knights of Galiee», «Milk and Honey» sowie «Escort Boys» erweitern nun offensichtlich den Fokus. Denn natürlich gibt es auch auf dem Land Menschen, die sowohl Sex kaufen als auch anbieten wollen, was heutzutage über Online-Kontaktmöglichkeiten einfacher ist als je zuvor.

«Escort Boys»
«Escort Boys»

«Feministisches» Statement Bei «Escort Boys» überzeugt Ben seine alten Freunde Ludo (Thibaut Evrard) und Zak (Corentin Fila), ihm zu helfen, mit Escortarbeit genug Geld zusammenzukriegen, um die väterliche Farm zu retten. Und die smarte kleine Schwester Charly bietet an, sowohl die Vermittlung und Finanzen zu übernehmen als auch den anfangs etwas verklemmt wirkenden Heteromännern beizubringen, wie sie sich «aufreizend» bewegen müssen, um Frauen tanzend zu erregend. Und dann weiter zu «bedienen». Obwohl Ben anfangs fassungslos ist, dass seine 17-jährige Schwester all das weiss, akzeptiert er schliesslich ihren Rat, den sie durchaus als «feministisches» Statement gibt.

Man kann das Ganze als Mischung als dem Stripperfilm «The Full Monty» und Mehrteilern wie «Magic Mike» sehen, nur dass das Setting hier nicht Nordengland oder Florida ist, sondern Frankreich, wodurch ein anderes allgemeines Lebensgefühl vermittelt wird.

Die Geschichte ist durch und durch heterosexuell, bietet jedoch mit den vier sexy Sexarbeitern – auch Mathias schliesst sich mit seiner Expertise dem neu geformten Arbeitskreis an – viel nackte Haut, perfekt geformte, aber sehr unterschiedliche Körper, inklusive einen «Dad Body», der bei Kundinnen besonders gefragt ist. Es wird thematisiert, wie man mit dem Thema Sexarbeit in einer Beziehung bzw. Ehe umgeht (MANNSCHAFT berichtete über schwule Pornostars und ihr privates Beziehungsleben). Und es stellte sich schnell heraus, dass nicht nur Frauen diese Serie gern schauen.

«Das allesentscheidende queere männliche Publikum» In einem Interview mit der Branchenblatt Variety sagte Produzentinnen Charlotte Toledano-Detaille und Myriam Gharbi-de Vasselot, dass sie anfangs angenommen hatten, ihre Serie würde nur weibliche Zuschauerinnen anziehen. Sie waren aber sehr glücklich, als sich herausstellte, dass viele Männer auch einschalteten. Laut Queerty sei das «das allesentscheidende queere männliche Publikum».

Mit Blick auf die USA erwähnt Toledano-Detaille, man müsse sich bloss anschauen, wie bekannt und beliebt ein französischer Schauspieler wie Lucas Bravo durch die Netflix-Serie «Emily in Paris» bei US-Zuschauer*innen geworden sei. «In ‹Escort Boys› haben wir glich vier solche attraktiven Kerle – es ist für jeden Geschmack etwas dabei.»

Alle vier haben keinerlei Hemmungen sich vor der Kamera komplett zu entblössen – Gott sei Dank!

Da habe Toledano-Detaille absolut recht, meint Queerty, «und alle vier haben keinerlei Hemmungen sich vor der Kamera komplett zu entblössen – Gott sei Dank».

Man kann die Serie bei Amazon Prime im Original mit Untertiteln schauen, aber auch in deutscher Synchronfassung. Ausserdem kann man natürlich den vier Hauptdarstellern auf Social Media folgen und sich ihre Fotoposts anschauen.

Vorbild Pedro Almodóvar Regie führt übrigens der schwule französisch-portugiesische Regisseur Ruben Alves, der mit Filmen wie «Yves Saint Laurent» schon aufgefallen war und in «Miss Beautiful» LGBTIQ-Themen deutlich in den Vordergrund gerückt hatte.

Zu seinen Vorbildern gehöre Pedro Almodóvar, erzählte Rubn Alves im MANNSCHAFT-Interview. Und dieses bewusste Spielen à la Almodóvar mit grotesk-sexy Situationen und der unverkennbar queere Blick selbst in den maximal heteronormativ scheinenden Momenten zeichnet auch «Escort Boys» aus. In dem Kontext sollte man unbedingt die Gastauftritte von Amanda Lear und Rossy de Palma erwähnen, die den Jungs ihrerseits erklären, wie «richtiger» Sex geht – und dafür abkassieren, von ihnen. Auch sollte man den Strap-on-Sexmoment nicht vergessen; auch eine Form von emanzipatorischem Moment.

«Escort Boys»
«Escort Boys»

Dass sich die Produzentinnen ansonsten kaum trauten, MSM-Aspekte aufzugreifen oder gar Homosexualität – wie bei «Magic Mike» und «Full Monty» – kann man bedauerlich finden; es gibt dazu nur in der letzten Folge einen Moment, der auf «mehr» verweist, was in einer zweiten Staffel kommen könnte.

Wer sich zum Thema umfangreicher informieren will oder sachliche Analysen sucht, findet sie im erwähnten Buch von Minichiello und Scott, wo auch darauf verwiesen wird, dass es zur «Male Sex Industry» bislang wenig Forschung gegeben habe.

Vielleicht ändert der Erfolg von «Escort Boys» daran etwas?

Mehrere hundert männliche Escorts bieten in Zürich ihre Dienste an. Für manche ist es ein lukrativer Nebenerwerb, für andere ein notwendiges Mittel zur Existenzsicherung. Zwei von ihnen sprachen über ihren Alltag als Sexarbeiter (MANNSCHAFT+ berichtete).

Das könnte dich auch interessieren