«Don’t Masturbate»: Michael-Jackson-Biografie als Musical
In «For the Love of a Glove» verwandelt Autor Julien Nitzberg die tragische Geschichte des King of Pop in eine aberwitzige Satire über Rassismus und religiösen Fundamentalismus
Ein Musical über Michael Jacksons weissen Glitzerhandschuh, der Augen hat, sprechen kann und dem Publikum die intimsten Details übers Leben des Popstars erzählt – angefangen vom religiös-homophoben Wahn der Familie über die unterdrückte Sexualität bis hin zu Michaels Wunsch, endlich so weiss zu werden wie sein Konkurrent Donny Osmond? Dass Johnny Depp die Bühnenproduktion «For the Love of a Glove» in L.A. mitproduziert, ist nur ein Beleg von vielen, dass das Stück aussergewöhnlich ist.
Bereits in seinem ersten Bühnenwerk «The Beastly Bombing» 2006 hat Nitzberg bewiesen, dass er ein Gespür für die grossen Themen unserer Zeit hat, mit denen er maximale mediale Aufmerksamkeit generierte: Er schrieb damals eine «Operette» im Stil von Gilbert & Sullivan über zwei Al-Qaida-Terroristen und zwei US-Neonazis, die jeweils versuchen, die Brooklyn Bridge in die Luft zu sprengen. Der Plan misslingt und die Vierergruppe flieht, begegnet dem US-Präsidenten, einem tuntigen Jesus und einem pädophilen Priester. Nebenbei wird à la «South Park» so ziemlich alles durch den Kakao gezogen, was man sich nur vorstellen kann. Zentral dabei waren schon damals Aspekte rund um rassistischen und religiösen Wahn und was dieser mit der Gesellschaft tut.
Dekonstruiert wurden damals auch Gender-Klischees, als beispielsweise der hypermaskuline Neonazi sich als schwul entpuppt und in die Arme der hypermaskulinen Terroristen aus Saudi Arabien sinkt, nachdem beide eine Ecstasy-Tablette geschluckt haben. Auch der effeminierte Jesus-mit-blonden-Locken, der den US-Präsidenten zum Walzertanzen verleitet und ihm aufträgt, Terroristen im Mittleren Osten zu vernichten, war eine Provokation, die Wellen schlug. Fast so hohe wie das Lied «We Hate the Jews», gesungen von orthodoxen Juden über eher säkulare Glaubensgenossen, die ihrer Meinung nach nicht strenggläubig genug sind – was zu einem Trio mit den Saudis und Neonazis wird, die genauso von Judenhass beseelt sind, nur aus anderen Gründen. Der daraus resultierende Hass bleibt aber bei allen gleich und vereint sie. Und das war schon 2006 verstörend.
Die Debatte Antisemitismus vs. Satire erreichte damals sogar die New York Times und verschiedene TV-Sender. Und brachte dem Stück viele Schlagzeilen ein, was zu einer ebenfalls vielbeachteten Europapremiere in Amsterdam 2009 führte sowie zur Inklusion des Werks in diversen Ausstellungen und Büchern; ganz aktuell im «Cambridge Companion to Operetta», vor Jahren auch in «Glitter and be Gay: Die authentische Operette und ihre schwulen Verehrer». Natürlich gewann «The Beastly Bombing» etliche Theaterpreise. Komponist Roger Neill schrieb später die Musik zu «20th Century Women», «Mozart in the Jungle» und den Gay-Klassiker «Beginners» mit Ewan McGregor und Christopher Plummer.
Diebstahl im Motown Museum Auf das Michael-Jackson-Thema stiess Julien Nitzberg schon vor fast 20 Jahren, als er von einem Fernsehsender beauftragt wurde, für eine Doku zum gestohlenen Handschuh zu recherchieren. Dieser wurde 1991 auf dem Motown Museum in Detroit entwendet und später anonym zurückgegeben. Über die Motive des Diebes und die Rückgabe wurde viel spekuliert. Klarheit gibt es bis heute nicht.
Nitzberg entschied sich damals, keine reguläre Doku zu schreiben, stattdessen drehte er den berüchtigten Film «The Wild and Wonderful Whites of West Virginia», wegen dem er immer noch Morddrohungen erhält, weil er einen schonungslosen Blick auf die Realität von ideologisch verblendeten White Supremacists in den Südstaaten wirft.
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Aber die Geschichte von Michael Jackson und dessen Handschuh liess Nitzberg nicht los. Denn es geht dabei um viele der zentralen Fragen, die ihn umtreiben: Wie geht die Musikindustrie und Popkultur mit schwarzen Künstlern um, wie wird ihrer Musik von weissen Künstlern wie Donny Osmond adaptiert und einem Massenmarkt zugeführt, und wie funktioniert Diskriminierung bis heute? Wie überschneiden sich Rassismus und religiös motivierter Starrsinn, etwa wenn die Jackson-Familie als tiefgläubige Zeugen Jehovas Masturbation und Homosexualität ablehnen und diese Überzeugung ihren Kindern geradezu einprügeln? Wie ergeht es einem Kinderstar, wenn seine Entwicklung von den Eltern und seinem Management derart brutal unterdrückt wird? Und wie geht ein Michael Jackson mit der Einsamkeit und Ablehnung um, die ihm sein ganzes Leben lang entgegenschlugen?
Muppet-Show-Optik Aus diesen Fragen entwickelt Nitzberg eine fiktive «nicht autorisierte» Biografie der Jackson-Familie. Dabei benutzt er zwei zentrale Verfremdungseffekte: zum einen wird der Handschuh bzw. werden die fünf Handschuhe als Aliens gezeigt, die auf der Erde landen und sich wie Vampire von Menschenblut ernähren, um zu überleben, im Gegenzug geben sie denen, deren Blut sie saugen, fantastische musikalische Fähigkeiten; zum anderen werden die Jackson Five genau wie die Alien-Handschuhe von Puppen gespielt. Was dem Ganzen eine Art Muppet-Show-Optik gibt, die das Geschehen verniedlicht, aber auch noch absurder macht.
Michael selbst (gespielt von Eric B. Anthony) ist dabei im ersten Teil eine Puppe, kontrolliert von seinem brutalen Vater (Ogie Banks) und seinem skrupellosen Manager Berry Gordy (Daniel Mills), im zweiten Teil, als er sich von den Jackson Five löst und eine Solokarriere startet, ist Michael ein «realer» Darsteller, also keine Puppe mehr.
What a Delight When You Turn White In diesem Muppet-Universum erscheinen Songs wie «Don’t Masturbate» wie vollkommen überdrehte Lachnummern, ebenso der Walzer «What a Delight When You Turn White». Aber der Trick des Autors ist es, dass einem immer dann, wenn man sich zurücklehnt, um die funky Musik zu geniessen und vielleicht sogar mitzusingen, auffällt wie schockierend der Inhalt der Lieder ist. Man zuckt zusammen und lacht zugleich. Das gilt auch für den Song über die Erziehungsmassnahmen des Vaters, der an Züchtigung im alttestamentarischen Sinne glaubt.
Das ist eine andere und sehr effektive Form von politischem Theater. Weil sie die Botschaften nicht aktivistisch verpackt, sondern über Satire transportiert. Das mildert den Schock für den ersten Moment ab, wirkt dafür aber umso stärker nach.
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Auf alle Fälle hallen die Sex-Szenen mit dem Handschuh und die Nummern mit Donny Osmond (gespielt von Justin Anthony Long) seither intensiv bei mir nach. Ebenso die unfassbare Fisting-Nummer, während der die Jackson Five die Aliens als Handschuhe überstreifen und dabei «von unten» in sie eindringen. Das ist eine Art von Humor – mit discohafter Musik von Drew Erickson, Nicole Morier und Max Townsley – die man im deutschen Sprachraum selten trifft. Und es ist eine Art Musical, wie man es hierzulande zwischen all den familienfreundlichen Titeln und Tourneeproduktionen ebenfalls kaum findet. Was bedauerlich ist, denn «For the Love of a Glove» zeigt, dass die Kunstform Musical viel mehr kann als «Flashdance», «Die Päpstin» oder «König der Löwen» und dass sie auch in einem winzigen Theater wie dem Carl Sagan & Ann Duran Theater in Los Angeles grossartig sein kann.
Klischees auf den Kopf stellen Für mich hat sich die Reise dorthin jedenfalls gelohnt. Selbst wenn die Produktion in der Regie von Nitzberg selbst noch nicht perfekt ist und manchmal etwas durchhängt, so leuchtet sie insgesamt mit einer sprachlichen Brillanz und Intelligenz, die singulär ist. Dem entsprechen die fabelhaften Darsteller, die sämtliche Klischees bedienen und gleichzeitig auf den Kopf stellen.
Man darf gespannt sein, wie’s mit dem Stück weitergehen wird. Auf alle Fälle wird «Beat It» für alle Ewigkeiten eine neue Bedeutung haben, wenn man «For the Love of a Glove» gesehen hat. Und beim Handschuhüberstreifen künftig nicht an Fisting zu denken, wird auch schwer.
Dass LGBTIQ-Themen in all das verwoben sind und auch das Problem Pädophilie angesprochen wird, ohne dass dadurch die Satire gesprengt wird, ist ein weiterer Beweis für Nitzbergs Genie.
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In der langen Reihe von LGBTIQ-Musicals, alten wie neuen, nimmt «For the Glove of a Love» sicher eine besondere Position ein, weil es intersektional daherkommt und das Thema Homosexualität immer wieder mit anderen Aspekten verknüpft, die zu Ausgrenzung führen. Dass es in dieser Inszenierung Schwarze selbst sind, die mit absurder Übertreibung die Parodie über Rassismus spielen, gibt dem Stück eine doppelte und dreifache Wucht.
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