Die Schlacht um den Stern: 7 Gründe für inklusiven Sprachgebrauch

Faktencheck rund ums Thema Gendern

Illustration: Katarzyna Zietek
Illustration: Katarzyna Zietek

Die Sprache gehört uns allen und wenn sie sich ändert, bricht Streit aus. Die einen schreien «Gender-Terror», die anderen fordern «Gleichheit». Dabei sollte es längst nicht mehr um das Ob gehen, sondern um das Wie. Und um die Fakten.

Die Gendersprache führt ein merkwürdiges Doppelleben. Obwohl sie längst Teil der Öffentlichkeit ist – Bundesministerien, Verwaltungen, Universitäten geben Leitfäden mit Tipps zum inklusiven Sprachgebrauch heraus –, wird sie mit harten Bandagen bekämpft. Anfang Jahr sagte etwa die Programmchefin der Schweizerischen Volkspartei (SVP) Karin Friedli: «Wenn ich eine Mail erhalte, die sich an Parlamentarier*innen wendet, drücke ich direkt auf Delete.» Ihre Partei hat angekündigt, dass sie auf allen politischen Ebenen Vorstösse einreichen wird, um das Gendern zu verbieten. Auch in Deutschland und in Österreich schiessen Gegner*innen scharf und fordern Verbote. Die Zeit der sanften Worte ist abgelaufen.

Was überhaupt will die geschlechtergerechte Sprache? Nein, sie will keinesfalls den Untergang der Sprache. Was sie will, ist, so gesprochen und geschrieben zu werden, dass sich weibliche, männliche und diverse Menschen angesprochen fühlen. Sie will alle Geschlechtsidentitäten sichtbar machen und gleichbehandeln. Aber einen Untergang gibt es, den sie definitiv will: den des generischen Maskulinums. Das ist nämlich ein böses Ding, weil es Frauen und nicht-binäre Identitäten unsichtbar macht. Wenn das biologische Geschlecht (Mann – männlich, Frau – weiblich, Auto – sächlich) vermeintlich unwichtig ist, greift verallgemeinernd das generische Maskulinum: Die männliche Bezeichnung meint andere Geschlechter mit. Das ist zwar gut lesbar, aber irreführend. Aus einer Veranstaltung mit 20 Studenten und 40 Studentinnen kann eine Veranstaltung mit 60 Studenten werden.

In der gegenwärtigen und gefühlsgeladenen Sprachschlacht plädieren wir für eine ruhige und argumentative Haltung. Deshalb haben wir ausgewählte Einwände gegen das Gendern einem Faktencheck unterzogen. Herausgekommen sind einige Erkenntnisse, die wir in sieben schlauen Sätzen auf den Punkt bringen.

#1 Gendergerechte Sprache ist ein alter Hut. Der Versuch nach geschlechtergerechter Sprache findet sich in allen Phasen der deutschen Sprache (Quelle der nachfolgenden Beispiele ist ein Vortrag des Sprachwissenschaftlers Anatol Stefanowitsch). Schon 1817 vermied Johann Wolfgang von Goethe in seinem Roman «Wilhelm Meisters Lehrjahre» Personenbezeichnungen: «Für Reisende ist wenig gesorgt; wer zu Fuss geht, wird nicht hoch genug geachtet; wer fährt, lebt mit dem Postillon in einer Art von Ehe.» In einer Erzählung verwendet Herman Schmid 1864 die Doppelformel: « . . . und noch nahmen die Fussgänger und Fussgängerinnen kein Ende, welche von allen Seiten herbeiströmten.» Oder 1874 standen geschlechtsneutrale Personenbezeichnungen im «Landes-Gesetz- und Verordnungsblatt für das Königreich Galizien und Lodomerien sammt dem Grossherzogthume Krakau»: « . . . das Recht zur Erhebung der Mautgebühr . . . von jeder zu Fuss gehenden, zu Wagen fahrenden, oder zu Pferd reitenden Person . . . »



Gegner*innen der geschlechtergerechten Sprache wenden ein, dass erst die verstärkte Verwendung von weiblichen Personenbezeichnungen dazu geführt habe, dass wir das Maskulinum mit Männern assoziieren, ursprünglich sei es generisch gewesen.

Der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch entkräftet diese Kritik: «Die Idee, das Maskulinum sei eine generische Form, entstand erst im Laufe des 19. Jahrhunderts, als Frauen begannen am öffentlichen Leben teilzuhaben. Auch in Sprachen, in denen nicht oder erst seit kurzem gegendert wird, wird das Maskulinum mit männlichen Personen assoziiert (z.B. im Französischen). Das Maskulinum war also nie wirklich generisch, sondern bezog sich schon immer vorrangig auf Männer.»

Und wenn er das Argument hört, wir dürften in die natürliche Sprachentwicklung nicht eingreifen, dann antwortet er, dass es keine «natürliche» Sprachentwicklung gebe. Sprachwandel geschehe sowohl durch bewusste Eingriffe (vor allem Wortschatz, Rechtschreibung) als auch durch unbewusste, langfristige Prozesse (vor allem Laut- und grammatischer Wandel). Wir haben also schon immer in die Sprachentwicklung eingegriffen und dürfen es auch weiterhin.

#2 Gendern fixiert sich nicht per se aufs Geschlecht Einerseits gibt es das genderinklusive Sprechen und Schreiben: Traditionelle oder neu entwickelte Formen wie der Genderstern machen auch Frauen und andere Geschlechter sichtbar. Andererseits gibt es das Entgendern, also genderabstrahierende Formen, die das Geschlecht weitestgehend aus dem Sprachgebrauch heraushalten, wo es nicht unmittelbar von Bedeutung ist: zum Beispiel Radfahrende, wer mit dem Rad fährt, oder kreative Formen wie das Radfahry, dx Radfahrx oder ens Radfahrens.

Gendern
Gendern

#3 Sprache beeinflusst, was wir tun Einer der Einwände gegen geschlechtergerechte Sprache lautet, dass sie unsere Wirklichkeit und ihre Ungleichheiten nicht verändern könne. Die Studie von Vervecken & Hannover (2015) wies jedoch nach, dass Stellenanzeigen im generischen Maskulinum dazu führen, dass Mädchen und junge Frauen den betreffenden Beruf für weniger zugänglich halten. Sie senken auch die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich den Beruf zutrauen. Sprich der traditionelle Sprachgebrauch kann nicht nur unser Denken beeinflussen, sondern auch unser Handeln. Wenn wir unseren Sprachgebrauch ändern, öffnen wir damit neue Denkräume.

#4 Gendersprache stört den Lesefluss nicht Wenn in einem Satz fünf Gendersternchen strahlen, ist unser Auge verblendet. Das leuchtet sofort ein. Doch in der Praxis kommt es selten so weit und sollte es auch nicht (siehe weiter unten «So genderst du richtig»).

Kritische Stimmen argumentieren häufig, dass eine geschlechtergerechte Sprache die Verständlichkeit und Lesbarkeit von Texten beeinträchtigt. Friedrich und Heise testeten diese Annahme für die deutsche Sprache in ihrer Studie (2019): 355 Studierende lasen einen zufällig zugewiesenen Text. Anschliessend beantworteten sie einen Verständlichkeitsfragebogen. Die, die einen Text in geschlechtergerechter Sprache gelesen hatten, gaben keine statistisch signifikant schlechteren Bewertungen der Verständlichkeit ab als solche, die einen Text gelesen hatten, der ausschliesslich maskuline Formen verwendete. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass geschlechtergerechte Sprache die Verständlichkeit von Texten nicht beeinträchtigt. Jedoch nahmen an dieser Studie ausschliesslich neurotypische Lesende teil. Forschungen mit neuroatypischen Menschen gibt es noch nicht. Der deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband empfiehlt unter den verschiedenen gendergerechten Formen den Genderstern, da er als «Sternchen» vorgelesen wird und keine andere Bedeutung hat wie etwa ein Genderdoppelpunkt.

#5 Die Ablehnung gegen das Gendern ist weitgehend inszeniert Wir benutzen Sprache automatisch und unbewusst. Es ist also vollkommen normal, dass wir eine Veränderung als anstrengend wahrnehmen. Erst recht, wenn wir denken, dass die Mehrheit gegen Gendersprache ist. Jedoch existiert zu dieser Frage bisher keine Studie, die nach wissenschaftlichen Kriterien durchgeführt wurde, und Meinungsumfragen sind typischerweise suggestiv formuliert und lassen offen, was sie mit «Gendersprache» überhaupt meinen.



Die öffentliche Aufregung in ihrer Tonalität und Wucht ist weitgehend inszeniert, um Aufmerksamkeit zu generieren und politische Botschaften zu platzieren. Begriffe wie «Genderwahn» oder «Gender-Terror» werden insbesondere von rechtspopulistischen und rechtskonservativen Gruppen benutzt, um Bestrebungen der sprachlichen Gleichstellung abzuwerten und um zu zeigen, dass sie sich gegen etwas Neues einsetzen, stellvertretend für alles, was Veränderung anstösst.

Ein jüngeres Beispiel zu dieser Debatte aus der Schweiz: Die eingangs erwähnte SVP-Programmchefin Karin Friedli hat angekündigt, dass ihre Partei auf allen politischen Ebenen Vorstösse einreichen werde, um das Gendern zu verbieten. Sie will Gleichstellungsbüros abschaffen, den Genderstern verbieten und Steuergelder streichen, wenn öffentliche Institutionen «diese Ideologien» unterstützen. Denn sonst würden wir unsere Sprache verhunzen und «diese weltfremden Ideologien sind mittlerweile so dominant, dass es einen Gegenpol braucht».

Die Co-Präsidentin der Sozialdemokrat*innen (SP) Mattea Meyer sagte in einem Interview, dass diese Debatte um den Genderstern vorgegaukelt sei: «Dahinter steckt die Absicht, die Frauenrechte einzuschränken. Vor ein paar Jahren wurde es von vielen als wahnsinnig stossend empfunden, dass man jetzt beispielsweise von Bürgerinnen und Bürgern sprechen sollte. Heute ist es eine Selbstverständlichkeit, dass die männliche Form nicht automatisch Frauen mit meint. So wird es auch beim Genderstern sein. Er wird im Privaten ja niemandem aufgezwungen. Ich finde es aber angebracht, dass öffentliche Stellen in ihren Dokumenten versuchen, alle Menschen anzusprechen. Diskriminierungen und Gewalt gegen queere Menschen sind leider Realität.»

Sprache verändert sich, Sprache entwickelt sich – ich als Deutschlehrer finde das super, ich mag lebendige Sprache

Ein anderes Beispiel aus Hamburg: Dort will die AfD (Alternative für Deutschland) die Gendersprache an den Schulen verbieten lassen und hat Zuspruch von der christdemokratischen Bildungsexpertin Birgit Stöver erhalten: Sternchen und Unterstriche hätten «in der deutschen Sprache nichts zu suchen» (MANNSCHAFT berichtete). Der sozialdemokratische Nils Hansen ist gegen das Verbot der Gendersprache: «Sprache verändert sich, Sprache entwickelt sich – ich als Deutschlehrer finde das super, ich mag lebendige Sprache». Es gebe an den Schulen klare Rechtschreibregelungen. Mit dem Genderverbot wolle die AfD den Schüler*innen eine Entscheidungsmöglichkeit nehmen. «Hinter diesem Antrag steht ganz viel Angst vor einer meinungsstarken Jugend.»

In Österreich zog Ende letzten Jahres die Kärntner Landesregierung ihren Gender-Leitfaden zurück – nach heftiger Kritik vonseiten der rechtsgerichteten FPÖ, unterstützt von der konservativen Volkspartei ÖVP (MANNSCHAFT berichtete). In dem 71-seitigen Leitfaden war eine geschlechtsneutrale Sprache vorgesehen. Die Vorgaben sollten im «gesamten Schriftverkehr der Verwaltung» gelten.

In den Schlachten um die Sprache geht es auch um Meinungsfreiheit. Sätze wie «Ich lasse mir nicht vorschreiben, was ich zu sagen habe» betonen den Willen, die eigene Meinung frei zu äussern. Wer dieses Argument benutzt oder hört, sollte bedenken, dass geschlechtergerechte Sprache nicht das «Was», sondern das «Wie» betrifft. Wir können mit ihr alles ausdrücken. Die einzige Meinung, die durch geschlechtergerechte Sprache eingeschränkt wird, ist die, dass nur Männer Sichtbarkeit verdient haben. Wer also die verschiedenen Geschlechter für gleichberechtigt hält, kann nicht so sprechen oder schreiben, als bestünde die Welt nur aus Männern.

#6 Sprache gehört allen Doch man muss nicht gleich antifeministisch und diversitätsfeindlich sein, um sich mit Sprachveränderung schwerzutun. Ein plötzlich anderes Sprachbild irritiert uns und stört – Sprache wird anstrengend. Dabei ist dieser Störeffekt aber ganz beabsichtigt. Warum? Weil nur so Ungleichheiten bewusst gemacht und neue Sprachweisen durchgesetzt werden können – bis wir sie nach einiger Zeit wie selbstverständlich und quasi automatisch umsetzen.

Dass sich Sprache mit der Zeit und zusammen mit einer Gesellschaft ändert, ist unvermeidbar. Was vor einigen Jahren noch normal war, bewerten wir heute anders – das betrifft nicht nur die Sprache. Um Sprache unserer Realität anzupassen, bedarf es manchmal aktiver Anstrengung – bis die Veränderung als ganz normal verinnerlicht wird.

Ein Beispiel hierfür findet sich im Jahr 1522, als Martin Luther die Bibel ins Deutsche übersetzte: Teilweise fehlte dafür das Vokabular und es gab grosse regionale Unterschiede im Wortgebrauch, ohne, dass es eine allgemein akzeptierte Standardform gab. Deshalb prägte Luther neue Wörter oder wählte nach eigenem Empfinden eine Standardform. Wörter, die wir bis heute verwenden, sind etwa Bluthund, Denkzettel, Ebenbild, Feuertaufe, Gewissensbisse, Herzenslust, Lockvogel, Machtwort, Nächstenliebe, Schandfleck und viele mehr. «Auch diese Wörter dürften zunächst fremd und etwas künstlich geklungen haben, heute kommen sie uns selbstverständlich vor», sagt Anatol Stefanowitsch.

Die Sprache gehört allen. Gendern ist keine Ideologie, sondern konform mit den Prinzipien unserer Gesellschaftsordnung, in der wir alle vor dem Gesetz gleich sind, alle Geschlechter gleichberechtigt und Freiheit vor Diskriminierung gilt.

Eine Mehrheit kann nicht für alle stehen, weil sie die Minderheit nicht abdeckt; eine Mehrheit muss gehört werden, aber sie kann die Diskussion nicht beenden.

#7 Der Genderstern strahlt hell und könnte erlöschen Unter allen geschlechtergerechten Formen wird es wahrscheinlich der Genderstern sein, der sich durchsetzen wird. So schätzt es der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch ein. Personen, die einwenden, das Gendern oder der Stern seien hässlich, sei gesagt: Schönheit – auch die sprachliche – liegt im Auge der Betrachtenden. Und nicht-binäre und weibliche Menschen zu diskriminieren, ist auch hässlich.

In den Achtzigern forderten die Feminist*innen, dass der «Lehrer» nicht direkt von der «Lehrperson» ersetzt wurde, weil sie befürchteten, dass das Bild des männlichen «Lehrers» direkt in die «Lehrperson» überging. Deshalb kämpften sie dafür, dass die Frauen in «LehrerInnen» sichtbar wurden. Diese Logik zeigt, warum es nun gendergerechte Formen wie den Genderstern als Übergang braucht, bis wir queere Menschen mitdenken. Es ist wahrscheinlich, dass es noch neue Formen geben wird. Denn wie die Sprache selbst, ist auch das Gendern dynamisch.

Gendern
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So genderst du richtig

  • Überfrachte den Text nicht mit Genderzeichen-Konstruktionen
  • Wir empfehlen den Genderstern, da er die Symbolkraft hat für geschlechtliche Vielfalt. Faustregel: Nur ein Stern pro Satz. Überlege, ob du deine Inhalte anders formulieren kannst und werde kreativ
  • Wenn du den Genderstern im Plural (Mehrzahl) einsetzt, ist es unproblematisch. Beispiel: Lehrer*innen
  • Sei vorsichtig bei der Einzahl: Verwende ihn nicht allzu oft, verbinde den männlichen und weiblichen Artikel mit einem Stern. Beispiel: jede*r Reporter*in
  • Es werden nur Menschen gegendert. Frage dich, ob Personen oder Institutionen gemeint sind. Manche Wörter bleiben gleich (wie Arztbrief). Je mehr es darum geht, Personen zu beschreiben, desto wichtiger ist es zu gendern, aber feststehende Bezeichnungen von Verbänden etwa darf man nicht eigenmächtig ändern
  • Tipp: Oft hilft ein gleichbedeutendes Wort als Ersatz. Beispiel: Redepult statt Rednerpult
  • Schreibe geschlechtsneutral. Geht es um konkrete Personen und um deren Geschlecht, dann gendere, wenn nicht, dann verwende geschlechtsneutrale Formulierung: Oberbegriffe, Synonyme, Umschreibungen, Partizipien. Beispiele: Radfahrende, wer mit dem Rad fährt
  • Um aus der Schreibroutine des generischen Maskulinums herauszukommen, hilft das Beschreiben von Tätigkeiten. Beispiel: nicht Steuerzahler, sondern alle, die Steuern zahlen. Das Maskulinum ist nur dann berechtigt, wenn ausschliesslich Männer gemeint sind

Mehr Tipps zum Genderstern findest du auf genderleicht.de



Der Musiker Herbert Grönemeyer hat sich fürs Gendern ausgesprochen. Für ihn ist es eine notwendige Veränderung, um alle Menschen sichtbar zu machen (MANNSCHAFT berichtete).

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