Dank Trudeau: Kanada auf Platz 1 beim «Gay Travel Index 2021»
Die Redaktionen von Spartacus und männer* haben ein neues weltweites Reise-Ranking für LGBTIQ vorgestellt, allerdings mit einigen unklaren Bewertungen
Den Spartacus-Reiseführer gibt es seit 1970 als «Gay Guide». Er war ursprünglich als Hilfe gedacht für schwule (und lesbische) Touristen, um überall auf der Welt den Weg zu Saunen, Cruising, Bars, «gay friendly»-Hotels usw. zu finden.
Das waren einst wichtige Treffpunkte für die «Community». Und der Spartacus bewertete diese Orte nützlicherweise nach «Gefahr» und erklärte Reisenden die Gesetzeslage in den jeweiligen Ländern.
Während der Spartacus früher einmal jährlich erschien und in den 1980er- und 90er-Jahren wie ein kleines gedrucktes Telefonbuch aussah, mit jugendlichen Muskelmännern auf dem Cover (in der Ausstellung «Homosexualität_en» wurde im Deutschen Historischen Museum sogar eine alte Ausgabe als historisches Dokument ausgestellt), gibt’s seit 2011 die App-Version mit «aktuell über 20.000 relevante Adressen in 126 Ländern», wie es offiziell heisst.
Das App-Team arbeitet zusammen mit dem Reisemagazin SPARTACUS Traveler, das «über aktuelle Trends [für] deutschsprachige LGBT-Reisende» berichtet. Gemeinsam mit der Redaktion von männer* (alle bis 2017 beim Bruno Gmünder Verlag) erstellen die drei Teams einen «SPARTACUS Gay Travel Index», der «Reisende über die Situation von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender und Queers (LGBTQ*) in insgesamt 197 Ländern und Regionen» in Form eines Rankings über Veränderungen informiert.
Kategorien von Grün bis Rot Dabei werden Punkte vergeben in den Kategorien «Anti-Diskriminierungsgesetze», «Eheöffnung», «Adoption», «trans Rechte», «Intersex / Dritte Option», «Equal Age of Consent», «Konversionstherapien» – und «LGBT Marketing».
Diese acht Kategorien werden als «grün» (und entsprechend positiv) markiert. Es folgen in Orange als Warnfarbe: «Religiöser Einfluss», «HIV-Reisebeschränkungen», «Gesetze gegen Homosexuelle», «Homosexualität illegal», «Pride-Demonstrationen verboten», «Locals Hostile» (also in etwa «Anwohner feindlich eingestellt»).
Am Schluss gibt es noch drei rote Kategorien: «Verfolgung», «Morde» und «Todesstrafe». Nur zur Erinnerung: Als das Schwule Museum vor einigen Jahren eine Info-Wand mit genau diesen Kategorien präsentierte (zu «gesetzlicher Verfolgung und Strafen» in verschiedenen Ländern), erhob sich aus den queeren Communities in einigen der betroffenen Länder ein Sturm der Entrüstung, dass solch eine Beurteilung «rassistisch» sei und nicht die «positiven Seiten» des Lebens von Queers in Ländern wie dem Iran berücksichtige (MANNSCHAFT berichtete). Beim «SPARTACUS Gay Travel Index» gab es solche Beschwerden bisher nicht, wie es scheint.
Normalerweise werden die Index-Ergebnisse im Vorfeld der ITB Berlin vorgestellt, doch die Internationale Tourismusbörse fiel im Frühjahr 2021 bekanntlich wegen Corona aus. Die nächste wird erst im März 2022 erwartet. Trotzdem wurde diese Woche, quasi zwischen den Jahren, zum neunten Mal ein neuer «SPARTACUS Gay Travel Index» vorgestellt. Der nächste wird, wie MANNSCHAFT auf Nachfrage erfuhr, wieder regulär zur ITB herauskommen.
SPARTACUS Travel-Chefredakteur Dirk Baumgartl und Christian Knuth haben die Ergebnisse des «Gay Travel Index 2021» in einem offiziellen Artikel am Montag zusammengefasst und kommentiert; Knuth ist in der männer*-Chefredaktion für die Ressorts sexuelle Gesundheit und Politik zuständig.
Doppelsieg für Justin Trudeau Auf Platz 1 des weltweiten Rankings landet Kanada. Massgeblich mitverantwortlich fürs «queerfreundliche Image seines Landes» sei der liberale Regierungschef Justin Trudeau. Der wiederum gewann am Montag nach ersten Ergebnissen die vorgezogene Wahl in Kanada und bleibt somit voraussichtlich Premierminister. Er konnte sich gegen seinen konservativen Kontrahent Erin O’Toole durchsetzen. «Sie schicken uns mit einem klaren Auftrag zurück an die Arbeit, um Kanada durch diese Pandemie und in vor uns liegende, bessere Tage zu führen», sagte Trudeau in seiner Siegesrede in der Nacht zum Dienstag. Zu den «besseren Tagen» könnte auch eine noch bessere LGBTIQ-Situation zählen, falls Trudeau weiter seinen bisherigen Kurs fährt. (MANNSCHAFT berichtete über die politischen Kontroversen im Vorfeld der Wahl.)
Bei Baumgartl und Knuth heisst es: «Er feiert nicht nur seit Jahren öffentlichkeitswirksam auf den CSDs des Landes, sondern formte Kanada Schritt für Schritt immer diverser und liberaler.»
Während sich das flächenmässig zweitgrösste Land der Erde beim letzten Index 2020 den ersten Platz noch mit Schweden und Malta teilen musste, steht Kanada diesmal allein an der Spitze. Das erklären Baumgartl und Knuth folgendermassen: «Vorjahresmitsieger Schweden muss sich wegen der verschärften Indexregeln in den Rubriken Trans*- und Interrechte ganz konform der Identitätspolitik-Debatte geschlagen geben und verliert Punkte, weil ein Pronomen für das dritte Geschlecht zwar nice to have ist, Gesetze zur Anerkennung, der Verzicht auf erniedrigende psychologische Gutachten und ein modernes Abstammungsrecht aber wichtiger.»
Malta rutscht diesmal auf Platz 2, den es sich mit Portugal und Spanien teilt. Dafür gibt’s keinen Platz 3 und 4; es geht erst mit einem 5. Platz weiter, den sich Österreich mit Dänemark, Schweden, Großbritannien und Uruguay teilen muss.
Schweiz auf Platz 14 Da auch in Deutschland intensiv über das Transsexuellengesetz (TSG) und den Umgang mit Intersexuellen gestritten wird, lohnt ein Blick auf die Bundesrepublik. Dazu heisst es: «Deutschland bewegt sich dank Verbot von Konversionsverfahren um einen Punkt aufwärts und teilt sich mit Australien, Island und Taiwan den 10. Platz.»
Die Schweiz liegt gemeinsam mit Kolumbien, den Niederlanden und Neuseeland auf Platz 14.
Zu den grossen Aufsteigern gehört Taiwan, das von Platz 23 auf Platz 10 hochkletterte: «Wegen Verbesserungen beim Diskriminierungsschutz, beim Adoptionsrecht und bei Trans*-Rechten», wie es heisst. Costa Rica schoss von Platz 56 im Vorjahr auf Platz 32 hoch, weil dort im Mai 2020 die Ehe für alle und das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare eingeführt wurden (MANNSCHAFT berichtete).
Bei den USA als beliebtem Reiseland für LGBTIQ – das ab November 2021 wieder für Europäer geöffnet werden soll, wie die US-Regierung am Montag mitteilte – werden die Bundesstaaten einzeln miteinander verglichen. Dabei konnte sich Kalifornien mit elf Punkten vorneweg behaupten, muss sich den Spitzenplatz aber mit Illinois teilen, das durch die «neue, einfache Anerkennung des dritten Geschlechts» zwei Punkte aufgestiegen ist.
Religiöser Einfluss und LGBT Marketing Zum technischen Vorgehen bei der Bewertung erklären die Redakteure, dass sie eine «Datenbereinigung» vorgenommen hätten. Neben Differenzierungen bei trans und inter Rechten wurde ein Standardwert «0» festgelegt für Länder, wo «Homosexualität grundsätzlich verboten ist» und wo «das Schutzalter keine Rolle» spiele. Ganz am Schluss der Liste findet man entsprechend Katar, Afghanistan, Libyen, Vereinigte Arabische Emirate, Jemen, Iran, Saudi-Arabien, Somalia und Tschetschenien. Sie liegen alle «unter Null».
Über manche der vergebenen Punkt darf man staunen. So bekommt Deutschland beispielsweise eine «0» in der Kategorie «Religiöser Einfluss», ebenso wie die Schweiz und Österreich. Wie wurde hier religiöser Einfluss gemessen, wo Deutschland doch von einer «christlichen» Partei regiert wird, wo der Staat die Kirchensteuer einzieht und wo in fast allen Rundfunkräten der öffentlich-rechtlichen Sender Vertreter*innen der Kirchen sitzen? Und wo grosse Teile der Pflege in Händen von kirchlichen Institutionen sind? (MANNSCHAFT berichtete über die Verflechtungen von Kirche und Staat.)
Bei «Locals Hostile» findet sich für Deutschland ein «-1» (Schweiz und Österreich jeweils «0»). Zum Vergleich: In Saudi Arabien, Somalia und Tschetschenien steht in dieser Kategorie «-2». Wie kommt diese Minuszahl zustande? Gemessen an homo- und transphoben Übergriffen? Basierend auf Meinungsumfragen in der Bevölkerung? Das erklären die Macher der Studie nicht und lassen Leser*innen mit vielen Grundsatzfragen zurück.
Immerhin hat Deutschland bei «LGBT Marketing» ein «+1», genau wie die Schweiz. Ob sich solches Marketing direkt übersetzen lässt in Anzeigen in Reisemagazinen und Apps? Werben Deutschland und die Schweiz offiziell – also von staatlicher Seite – im Ausland um LGBTIQ-Touristen? Auch das erfährt man nicht, nur das zum Vergleich Österreich in diesem Punkt bei «+2» liegt.
Eine kleine Warnung für User*innen: Wer auf der Homepage von Spartacus Gay Travel den Index für 2021 herunterlädt, bekommt die Tabelle für 2020. MANNSCHAFT erhielt auf Nachfrage von Christian Knuth die PDF für 2021; er räumte ein, dass es beim Download einen technischen Fehler gäbe, der noch nicht behoben werden konnte.
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