«Dank meiner Offenheit hat sich schon oft jemand bei mir geoutet»
Warum es nicht nur das Netzwerk Queer Teachers, sondern auch strukturelle Änderungen braucht
«Wir signalisieren: Ihr könnt so sein, wie ihr seid», sagt Kara-Arietta Lissy von Queer Teachers. Das Netzwerk verbindet queere Lehrkräfte aus der Region Braunschweig zum Austausch.
Das Netzwerk «Queer Teachers» trifft sich einmal im Monat im queeren Zentrum «Onkel Emma» im niedersächsischen Braunschweig. Dort teilt eine Gruppe von 10 bis 15 queeren Lehrpersonen, egal ob geoutet oder ungeoutet ihre Erfahrungen und unterstützen sich gegenseitig. Dank dem geschützten Raum funktioniert das ungezwungen. Gegründet haben es die beiden Pädagogen Thorsten und René nach dem Vorbild der gleichnamigen in Göttingen, von der René vorher Teil war.
Eine davon ist die Französisch- und Geschichtslehrerin Kara-Arietta Lissy. Sie hat in ihrer Schule die AG «Vielfalt leben» gegründet, in der sie interessierten Schüler*innen Wissen über die LGBTIQ-Community vermittelt und ihre Fragen beantwortet. Sie ist offen lesbisch und fungiert dadurch für queere Schüler*innen als Ansprechperson für Fragen und Unsicherheiten zum Thema Queer. Kara-Arietta wurde in ihrer Schulzeit fremdgeoutet und hat sehr schlechte Erfahrungen machen müssen. «Damals hat keine Lehrkraft die Situation wahrgenommen», erzählt sie gegenüber MANNSCHAFT. «Darum habe ich mir geschworen, dass ich als Lehrerin alles anders machen werde.»
Abgesehen von der Aufklärung in den Schulen finden die Queer Teachers aber auch, dass es strukturelle Änderungen braucht. Denn nicht jede Schule hat offen queere Lehrpersonen und somit Ansprechpersonen für LGBTIQ-Jugendliche. Das Netzwerk fordert deshalb, dass die Vielfalt von sexuellen Orientierungen und Identitäten Thema in der Ausbildung zur Lehrkraft sein soll, was in Niedersachsen bisher nicht der Fall ist. «Es kann sehr gut sein, dass sich ein Kind vor der Klasse oder bei der Lehrperson outet», findet Kara-Arietta. «Mit einer entsprechenden Schulung können auch nicht queere Lehrkräfte gut auf eine solche Situation reagieren.»
Ganz wichtig für die Queer Teachers ist es, dass sie sich gegenseitig unterstützen. Sei es bei Situationen mit queeren Schüler*innen oder vom Schulalltag. Das Netzwerk schätzt den Austausch zwischen Lehrpersonen aus den verschiedenen Schulen, Fächern und Positionen. Doch sie haben Grösseres im Sinn. So arbeiten die beiden Queer Teachers Gun und Rene mit der Akademie Waldschösschen daran, das Label «Schule der Vielfalt» auch in Niedersachsen einzuführen, nachdem es sich in Nordrhein-Westfallen etabliert hat. Auch einige Schulen in Berlin setzen sich bereits aktiv gegen Diskriminierung auf Grund von sexueller oder geschlechtlicher Identität ein (MANNSCHAFT berichtete).
Nicht alle, die bei Queer Teachers mitmachen, haben sich an ihrem Arbeitsplatz geoutet. «Ich achte darauf, dass ich mich wohl fühle», sagt Gun, «und dann lasse ich meine Beziehung in Gespräche mit einfliessen». Auch Rene findet, dass man sich selbst sicher fühlen muss, diesen Schritt zu gehen. «Nach meiner Heirat habe ich wie alle ein Hochzeitsfoto ins Lehrer*innenzimmer gehängt und bekam nur positive Reaktionen; von Schüler*innen angesprochen, warum ich denn den Nachnamen meiner Frau angenommen habe, antwortete ich ‹Das habe ich doch gar nicht. Das ist der von meinem Mann.›»
Durch meine Offenheit hatte ich oft Situationen, dass sich jemand bei mir geoutet hat.
Er beobachtet, dass sich Schüler*innen bei queeren und queerfreundlichen Lehrkräften eher den Entschluss fassen, über ihre Orientierung oder Identität zu sprechen, «weshalb es wichtig ist, dass Lehrkräfte ihre gesellschaftlichen Positionen zeigen.» Nach ihrem Coming-out wurde Gun vermehrt als Ansprechperson wahrgenommen und einige Kinder berichteten ihr von ihren eigenen Diskriminierungserfahrungen.
Kara-Arietta trägt immer einen Regenbogen an ihrem Schlüsselbund und spricht offen über ihre Beziehung. Damit ist sie in ihrer Schule sichtbar und wurde von Schüler*innen auch schon ins Vertrauen genommen. «Durch meine Offenheit hatte ich oft Situationen, dass sich jemand bei mir geoutet hat. Zum Beispiel kam mal eine Schülerin in der 5-Minuten-Pause zu mir und sagte ‹Frau Lissy, ich steh auch auf Frauen.› Oder ein Junge, der von einem anderen queeren Kind an mich verwiesen wurde, weil er mit jemandem über seine sexuelle Orientierung sprechen wollte. Es ist total schön, diesen Einfluss haben zu können.»
Als Reaktion auf #ActOut zum ActOut-Manifest der Süddeutschen Zeitung (MANNSCHAFT berichtete) wurde der Hashtag #TeachOut ins Leben gerufen. Darunter zeigen sich queere Pädagog*innen sichtbar in den sozialen Medien, um sich für mehr Selbstverständlichkeit queerer Vielfalt im Bildungsbereich einzusetzen. Auf deren Website findet sich zudem eine interaktive Karte, mit Anlaufstellen wie queeren Zentren in ganz Deutschland.
Przemek Staroń, ein Lehrer für Philosophie und Ethik aus dem polnischen Sopot, war 2020 für den renommierten Global Teacher Prize nominiert. Er ist Harry-Potter-Fan, ein Kritiker der homophoben Regierung und – offen schwul. 2018 gewann er bereits den Titel Lehrer des Jahres» in Polen.
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