«Hauptsache, du bist glücklich!» – Coming-out, und dann?

Warum diese häufige Reaktion nicht immer nur positiv gedeutet werden kann

Bild: Harli Marten/Unsplash
Bild: Harli Marten/Unsplash

Peter Fässlacher ist Moderator und Sendungsverantwortlicher bei ORF III und Stimme des Podcasts «Reden ist Gold» über die Liebe und das Leben mit Menschen der LGBTIQ-Community. In seinem Kommentar* untersucht er die gängige Floskel auf ein Coming-out.

Wenn es ein Ranking der besten Reaktionen auf ein Coming-out geben würde, wäre dieser Satz seit Jahren auf Platz 1. Immer wieder taucht er als positives Beispiel in Coming-out-Storys auf und wird als Ausdruck einer liberalen Grundhaltung gesehen. Er lautet: «Hauptsache, du bist glücklich!» Im ersten Moment ist an diesem Satz auch nichts auszusetzen: Er strahlt jene bedingungslose Akzeptanz aus, nach der wir uns sehnen. Eigentlich perfekt. In Wirklichkeit ist der Satz aber an eine sehr raffinierte Bedingung geknüpft: das Glück.

Formuliert man den Satz ganz aus, lautet er: «Es ist in Ordnung, dass du schwul bist. Hauptsache, du bist glücklich.» Erst im Umkehrschluss wird die versteckte Bedingung sichtbar: Und was passiert, wenn ich nicht glücklich bin? Ist es dann nicht mehr in Ordnung, schwul zu sein?

Das Streben nach Glück hat in unserer Welt einen so grossen Stellenwert bekommen, dass es gar nicht mehr hinterfragt wird, ob Glück tatsächlich das Einzige ist, wonach es sich zu streben lohnt. Übersetzt heisst der Satz also: Es ist in Ordnung, dass du schwul bist, wenn du stattdessen glücklich bist. Ein versteckter Tauschhandel, der sich als wertschätzende Reaktion verkleidet.

Warum übersieht und überhört man diese unsichtbare Bedingung so leicht? Es könnte sein, dass dieser kurze Satz in schwulen Männern ein Muster aktiviert, das viele sehr gut kennen und deshalb schon gar nicht mehr bewusst wahrnehmen. Der Satz «Hauptsache, du bist glücklich» ist im Grunde eine Aufforderung: Sei so, wie ich dich haben möchte, dann liebe ich dich. Sei glücklich. Erst wenn du glücklich bist, dann werde ich dich lieben. Es ist eine Situation, wo es wichtig ist, etwas zu leisten, um geliebt zu werden. So zu sein, wie man ist, genügt nicht – man muss etwas tun, um geliebt zu werden. In diesem Fall: Glücklichsein.

Der Satz «Hauptsache, du bist glücklich» hat eine magische Kraft: Er löst das Gefühl grosser Erleichterung aus und lässt uns im Schatten dieser Erleichterung jene Nuancen überhören, die der Satz brauchen würde, um nicht nur bedingungslos zu klingen, sondern auch bedingungslos zu sein. Ist die Sehnsucht, von den anderen angenommen zu werden, so gross, dass wir alles, was keine eindeutige Zurückweisung ist, automatisch als bedingungslose Akzeptanz wahrnehmen? Auch, wenn wir spüren, dass sie es nicht ist? Weil wir unbewusst glauben, dass es vielleicht doch einen Preis hat, nicht zurückgewiesen zu werden? Nehmen wir es in Kauf, dass uns die anderen doch nicht zu 100 Prozent akzeptieren, weil wir dankbar sind, nicht zurückgewiesen worden zu sein? Weil wir unbewusst glauben, dass wir es in Wirklichkeit doch nicht wert sind, allumfassend geliebt zu werden?

Wie kann es gelingen, mit einer heterosexuellen Sprache eine homosexuelle Lebensrealität zu kommentieren?

Natürlich ist der Satz «Hauptsache, du bist glücklich» von sehr vielen Menschen liebevoll und bedingungslos gemeint. Wenn nicht sogar von der Mehrheit. Er zeigt aber eine grosse Schwäche der Sprache auf: Wie kann es gelingen, mit einer heterosexuellen Sprache eine homosexuelle Lebensrealität zu kommentieren? Und zwar auf Augenhöhe und ohne unsichtbare Abwertungen. Gibt uns die Sprache überhaupt die richtigen Mittel in die Hand, um das alles umzusetzen und zu leben?

So etwas wie eine «richtige Reaktion» auf ein Coming-out gibt es übrigens gar nicht. Die einzig gültige Masseinheit für die richtige Reaktion ist das Empfinden des Einzelnen. Entscheidend ist mein Gefühl. Es ist nicht nur die Frage: Hört sich die Reaktion der anderen passend an? Sondern auch: Fühlt sie sich passend an? Habe ich das Gefühl, dass die Reaktion richtig und bedingungslos war? Ja? Dann war sie es auch. Und zwar auch dann, wenn die Reaktion lautet: «Hauptsache, du bist glücklich!»

*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar oder eine Glosse zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.

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