Candy Crash & Bambi Mercury: Neues Vorbild für Kids?
Die beiden Drag Queens starten auf einer Mainstream-Plattform mit einem queeren Podcast und wollen zeigen, wie man mit Hass und Ausgrenzung umgeht
Bambi Mercury und Candy Crash zählen seit ihrer Teilnahme an der ProSieben-Show «Queen of Drags» zu den bekanntesten Drag Queens im deutschsprachigen Raum. Jetzt nutzen sie ihre Prominenz, um mit einem neuen Podcast queere Perspektiven im Mainstream zu verbreiten.
«Für die Medien waren wir immer so was wie der Klassenclown», erzählte Bambi Mercury mir vorab in einem Interview. «Da hat man mit dem Finger drauf gezeigt, ein bisschen wie bei Zirkustieren oder im Zoo.» Das solle sich ändern, indem die beiden Drag Queens einem breiten Publikum auf einer der grössten Audioplattformen überhaupt ihre Sicht auf die Welt erklären. «Wir wollen dabei nicht belehren», so Bambi, vielmehr wollen die beiden «locker und lustig erzählen und erklären, auch ernste Themen». Denn: «Viele Menschen haben gar keine Berührungspunkte mit der queeren Welt und merken dann beim Zuhören, wie anders – aber auch wie gleich – viele Dinge am Ende sind.» (MANNSCHAFT berichtete darüber, was Schüler*innen von Drag Queens wissen wollen.)
Im Gegensatz zu bereits existierenden deutschsprachigen LGBTIQ-Podcasts wie GAG oder Stadt.Land.Schwul starten Bambi und Candy Crash mit Mehr Glitzer bei und mit Audible als Produzent, einem Tochterunternehmen von Amazon. Das garantiert den beiden Wahl-Berliner*innen ein Zielpublikum, das weit über eine queere «Nische» hinausgeht. Aber ist es dann noch «queer», wenn man so im Mainstream angekommen ist, wo sich «queer» ja gerade über die Differenz zu diesem definiert?
Selbst Herr seiner Geschichte sein Bambi meint dazu: «Ich finde diese Entwicklung hin zum Mainstream sehr, sehr positiv. Ich bin heutzutage selbst Herr meiner Geschichte, und ich kann selbst entscheiden, wo ich meine Geschichte erzählen möchte und wie. Wenn mir grosse Unternehmen wie Audible oder ProSieben die Möglichkeit geben, das zu tun, wäre es fatal, diese Möglichkeit nicht zu nutzen. Denn ich habe eine Geschichte, die erzählt werden möchte, und ich weiss, dass es unglaublich viele Menschen da draussen gibt, die etwas Ähnliches erlebt haben und nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen.»
Die Geschichte, die Bambi und Candy erlebt haben, ist eine leider nur allzu vertraute: «Ich wurde schon im Kindergarten in Karlsruhe als schwul bezeichnet. Und das wurde immer als negativ gewertet, nie als etwas Positives», erinnert sich Candy. «Dementsprechend schlimm war’s irgendwann für mich, diese Identität für mich zu akzeptieren. Das hat lange gedauert.» Und weiter: «Ich finde es schön, dass wir inzwischen an einem Punkt sind, wo ‹schwul› nicht mehr automatisch eine Beleidigung ist. Heute kann mit diesem Begriff offener umgegangen werden. Natürlich wird er immer noch als Beleidigung benutzt. Aber ich glaube, die Kids da draussen verstehen zunehmend, dass das eigentlich keine Beleidigung sein muss, sondern einfach nur ein Begriff sein kann für eine bestimmte Sexualität. Ein Begriff, den man auch mit Stolz benutzen kann.»
Die Kids da draussen verstehen zunehmend, dass «schwul» keine Beleidigung mehr sein muss
Dating als femininer Mann Genauso stolz wollen beide ihre Weiblichkeit zur Schau stellen, was auch innerhalb der Gay Community nicht einfach ist. «Drag ist auch eine Lebenseinstellung – das Feminine in sich zu zelebrieren und zuzulassen. Das ist auch innerhalb der schwulen Community noch schwierig. Ich kann mich erinnern, dass sich Dating für mich als femininer Mann furchtbar schwierig gestaltet hat. Weil ein grosses, starkes, maskulines Idealbild von einem Mann auch in der queeren und schwulen Community nach wie vor Standard ist. Ich als Drag Queen und femininer Mann, der gelernt hat, seine Femininität zu leben und zu lieben, habe es da schwerer, auch heute noch. Deswegen sind wir Drag Queens so was wie eine Randgruppe innerhalb der Randgruppe.»
Dass solche Randgruppen Sichtbarkeit bekommen sei wichtig. Denn: «Das macht es auch für jugendliche LGBT einfacher, mit ihrer teils immer noch schwierigen Situation umzugehen», meint Bambi. «Sie können [durch Podcasts wie Mehr Glitzer oder Sendungen wie ‹Queen of Drags›, Anm.] erkennen, dass nicht alles so schlimm ist, wie’s am Anfang vielleicht scheint. Als ich jung war, hatte ich solche Repräsentation meiner Geschichte in den Medien nicht.» (MANNSCHAFT berichtete über Candy Crashs Arbeit mit Jugendlichen in Berliner Bibliotheken.)
Dass es ein Privileg ist, solche Sichtbarkeit zu bekommen und nutzen zu können, ist beiden bewusst, falls jemand sie in die Ecke der «weissen alten Männer» stellen wolle, die anderen Queers die Sichtbarkeit (weg)nehmen. «Wir wollen natürlich unsere Plattform auch für die Leute nutzen, die ihre Stimme nicht so laut hinausposaunen können wie wir», so Candy. «Wir werden in unserem Podcast selbstverständlich Dinge wie Ausgrenzung und Rassismus ansprechen, Dinge, die auch Bestandteil der LGBT-Community sind und definitiv berücksichtigt werden müssen.»
Junge Queers hinterfragen alles kritisch Die beiden Drag Queens sind sich auch bewusst, dass es innerhalb der Community heftigen Streit zwischen einzelnen Gruppen gibt, der oftmals auch ein Generationenstreit ist. «Ich merke, dass die jüngere queere Generation in Bezug auf bestimmte Themen immer kritischer wird», meint Candy, die das aber als etwas Positives empfindet. «Denn wir haben es inzwischen mit einer Generation zu tun, die Sachen nicht einfach hinnimmt und sagt ‹Okay, das ist dann halt so›. Nein, heute wird alles hinterfragt. Dadurch wird ein Diskurs eröffnet und eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, aber auch mit dem Verhalten einer älteren LGBT-Generation, die Sachen damals einfach nicht bedacht oder anders beurteilt hat.» Bambi ergänzt: «Das liegt auch daran, dass bestimmte Gruppen damals noch gar nicht die Möglichkeit hatten, offen über bestimmte Dinge zu sprechen. Deswegen wurden viele Probleme nicht hinterfragt, sondern stillschweigend akzeptiert. Das tun junge Queers nicht!»
Eine wichtige Rolle bei diesem Umschwung und für dieses Über-Dinge-sprechen-können spielt Social Media. «Diese Befreiungsbewegung für Schwule, Lesben und Transpersonen hat sehr viel mit Vernetzung zu tun», meint Bambi. «Viele Menschen auf vielen Kontinenten kämpfen für LGBT-Rechte. Dank sozialer Medien bekommen diese Kämpfe eine neue Sichtbarkeit, die es früher nicht gab. Denk nur an die 1990er-Jahre, als die Aids-Krise wütete. Da gab es Social Media noch nicht, nur etablierte Medien, die ein furchteinflössendes Bild von queeren Menschen verbreiteten, als Gefahr für die Restgesellschaft. Dagegen konnte man wenig tun, wenn man wie ein Aussätziger beschrieben und auch behandelt wurde. Das hat sich jetzt komplett gewandelt.»
Dank sozialer Medien bekommen diese Kämpfe eine neue Sichtbarkeit, die es früher nicht gab
Die Demokratisierung von Diskursen «Social Media hat dazu beigetragen, dass gewisse Diskurse demokratisiert wurden», ergänzt Candy. «Früher hatten wir kaum Einfluss darauf, worüber in den Medien berichtet wurde. Das haben die Medienschaffenden bei den grossen Verlagshäusern und öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten im Prinzip selbst entschieden. Im Zuge von Social Media und einer neuen Generation, die so vernetzt ist, wie noch nie zuvor in der Geschichte, haben wir jetzt selbst das Zepter in der Hand und können aufklären: über uns selbst, genauso wie über andere. Wir können Themen setzen und eine öffentliche Diskussion erzeugen, global! Solch ein internationaler Diskurs ist natürlich sehr förderlich für queere Themen, die in Deutschland zuvor gern an den Rand gedrängt wurden, weil angeblich nicht interessant für die Mehrheit. Obwohl die ‹Mehrheit› dazu nie jemand befragt hat.»
Wegen einer Corona-Infektion musste der Start von Mehr Glitzer kurzfristig verschoben werden, aber diese Woche ging der 45-minütige Podcast dann doch an den Start und wird jeweils dienstags fortgesetzt.
Ob Heidi Klum oder andere aus der «Queen of Drags»-Casting-Show vorbeischauen werden, wollten die beiden Hosts nicht verraten. Dass sie in jeder Folge eine Flasche Schampus köpfen wollen, allerdings schon.
Ist das nicht arg klischeehaft, dass Schwule Schampus trinken und «mehr Glitzer» lieben? Dazu sagt Candy selbstbewusst: «Genau das macht unseren Podcast aus. Wir spielen bewusst mit diesen Klischees von schwulen Männern und Drag Queens. Die zum Teil ja auch stimmen, denn Klischees kommen nicht von irgendwo. Wir räumen aber gleichzeitig mit diesen Klischees auf […]: Wir sind nicht nur zwei verkleidete Männer in Damenunterwäsche, sondern haben auch noch ein bisschen Horizont.»
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