Bill Kaulitz: «War in Dreiecksbeziehung mit meinem besten Freund»
Nachdem der Musiker seit Jahren immer wieder auf seine sexuelle Identität angesprochen wird, wurde er nun etwas deutlicher
Von Loitsche bei Magdeburg aus brachen die Brüder auf zu einer internationalen Karriere mit Tokio Hotel. Inzwischen ist der musikalische Erfolg überschaubarer. Zeit für eine Autobiografie, fand der 31 Jahre alte Bill Kaulitz. Und für ein kleines Coming-out. Von Dörthe Hein, dpa
Er war ein Teenie-Idol mit Manga-Emo-Frisur und nicht älter als seine jungen Fans – heute sieht sich Tokio Hotel-Frontmann Bill Kaulitz als Überlebender eines Überflieger-Erfolgs-Kriegs und der Stalker-Hölle. So schreibt es der 31-Jährige in der Autobiografie «Career Suicide – Meine ersten dreissig Jahre», die der in Los Angeles lebende Musiker jetzt vorlegt.
Verbunden damit ist ein kleines Coming-out im Spiegel (bezahlpflichtiger Artikel). Schon als Teenager setzte er auf extravagante Outfits und ein androgynes Erscheinungsbild, was seit jeher für Spekulationen über seine Sexualität sorgt: «Es ist bis heute meist eine der ersten Fragen, die mir gestellt werden», so Kaulitz im Spiegel. «Man denkt, die Gesellschaft ist so weit gekommen, alle sind unglaublich offen, es spielt keine Rolle, wen man liebt, wie man liebt. Aber mir begegnet das ständig.»
Und dann gewährt einen Einblick in sein Liebesleben: «Ich hatte aufregende Erfahrungen mit Mädchen. Ich habe aber auch mal mit meinem besten Freund und seiner Freundin in einer Dreiecksbeziehung gesteckt, weil ich auf einmal in ihn verliebt war und er in mich.»
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Er sei heute stolz darauf, zu einem Vorbild für die LGBTIQ-Community geworden zu sein. In Russland seien männliche Fans auf ihn zugekommen, die hohe Schuhe und Make-up getragen und ihm erzählt hätten, dass er der Grund sei, «dass sie sich das trauen».
Neu ist diese Offenheit in punkto sexuelle Identität nicht. Im Interview mit der Frankfurter Rundschau vor zwei Jahren wurde er gefragt, ob es nicht egal sein sollte, ob er nun Frauen oder Männer datet.
«Sie sagen das genau richtig», so der Musiker, der 2019 bei der Sendung «Queen of Drags» als Juror mitwirkte und vom «schwulsten Set» sprach (MANNSCHAFT berichtete). «Ich finde, dass es gar kein Coming-out geben sollte. Ich wünsche mir, dass wir bald den Punkt erreicht haben, an dem man sich verlieben kann, egal in wen, und dass das gar nicht mehr besprochen werden müsste. Ich sage immer: „Ich weiss doch nicht, was morgen passiert, wem ich morgen begegnen werde.» Er sei einfach offen für alle Begegnungen. »Das sollten wir alle sein.»
In seinem Buch gehen rund 100 Seiten für Kindheitserinnerungen drauf. Die Brüder kamen früher als all die anderen Kinder ohne Windeln aus, das Kinderzimmer war reinlich und organisiert. Mobiles Basteln und Malen mit Wachsmalstiften im Kindergarten sei nicht so ihr Ding gewesen, lieber hätten sie mit den Schulkindern von nebenan abgehangen. «Wo ich aufgewachsen bin, gab es die erste Kippe mit sechs, Alkoholvergiftungen mit zwölf und Mädchen, die mit 13 Jahren durchaus mal die zweite Abtreibung hinter sich hatten, weil sie wieder schwanger von ihrem Cousin waren.»
Nach 100 Seiten hält im Kinderzimmer in Loitsche bei Magdeburg, für Kaulitz «600 uninspirierte Seelen, absolute Tristesse», die Musik Einzug. Der neue Freund der Mutter taucht mit einer roten E-Gitarre auf, die Zwillinge fangen Feuer. Inspiration bringen die Kindheitshelden Nena, David Bowie und Britney Spears. Schlagzeuger Gustav und Bassist Georg finden sich in einer Musikschule, bis heute halten sie an der Seite der Kaulitz-Zwillinge der Band die Treue.
«Die Musikwelt öffnete sich wie eine warme, feuchte Möse», schreibt Kaulitz über den Karrierestart. Mit 13 bekommen die Zwillinge ihren ersten Vertrag. Überblickt hat das damals keiner. «Mit dreizehn wussten wir nicht, dass wir hiermit unsere Seelen verhökern und welchen Preis wir noch zahlen würden. Karriere bedeutet ja immer auch Suizid.» Musik zu machen und dafür auch noch bezahlt zu werden, das habe ihnen damals gereicht. Die fette Kohle hätten übrigens andere verdient, Produzenten, Plattenfirma. Sie hätten eher einen Krümel vom ganzen Kuchen bekommen, schreibt Kaulitz. «Durch den Monsun», Auftritte weltweit, gespielt bei MTV, Preise über Preise.
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Bald fühlt sich Kaulitz prostituiert, wie er schreibt. Er muss einen 16. Geburtstag mit Medien feiern, muss sich auf der anderen Seite verstecken vor übergriffigen Fans. Tokio Hotel hat immer polarisiert, von den einen geliebt, von den anderen gehasst. Kaulitz erinnert sich an einen Auftritt in der Arena Oberhausen. Da habe er der Realität das erste Mal ins Auge gesehen. «Es hörte sich an, als ob alle 60 000 Menschen unseren Auftritt niedergeschrien hätten – kein rekordverdächtiger Jubel. Es war, als würde eine wilde Horde über uns herfallen, und weit und breit keiner, der uns einen Rettungsring zuwirft.» Kaulitz beschreibt noch weitere ähnliche Vorfälle, in denen nur die Flucht mit den Securityleuten blieb.
Nach sechs Jahren Highspeed habe er eine Entgiftung gebraucht, wollte wieder der Architekt seines eigenen Lebens werden. Ein Burnout habe hinter ihm gelegen, eine Karriere. Trotzdem sei er zu schüchtern gewesen, um sich im Restaurant sein Essen zu bestellen. Bis Mitte 20 habe er nicht gewusst, wie man für einen Flug eincheckt, obwohl er so ziemlich jeden Flughafen der Welt gesehen hatte.
Angekommen ist Kaulitz in 30 Jahren nicht wirklich. Die grosse Liebe habe er nicht gefunden. An einer der deutlichsten Stellen schreibt er: «Alle um mich haben sich irgendwie weiterentwickelt. Ein «richtiges» Leben aus diesem Spiel gemacht. Das Riesenarschloch, das mir das Herz brach, hat geheiratet – Frau und Kind.» Sein Zwillingsbruder Tom ist mit Heidi Klum verheiratet, Schlagzeuger Gustav hat Frau und Tochter, Bassist Georg lebt mit langjähriger Freundin in Berlin.
«Und ich? Ich bin irgendwie immer noch hier und jage meinen Traum. Alleine. In meinem Haus in den Hollywood Hills. So weit entfernt wie nur möglich von dem Ort, von dem ich einmal kam.» (mit dpa)
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