Beste Unterhaltung am Spielfeldrand verwirrter Heterosexualität

Marcel Mann mit einer neuen Folge seiner MANNSTRUATION: Neulich in der U-Bahn

Foto: Pixabay
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In der U-Bahn kann man Musik hören oder ein Buch lesen. Oder man lauscht den Gesprächen anderer Leute. So wie unser Kolumnist Marcel Mann, der neulich zwei verwirrten Heteros begegnet ist.

Es ist etwas erstaunliches passiert. Jemand hat mir Kekse geschickt. Für jemanden mit Ernähungseinschränkungen einer versuchter Anschlag, für mich ein Weihnachtswunder: Heute erreichte mich um 14:34 Uhr ein Päckchen gefüllt mit einem halben Kilo Kekse, ohne Knochen. Die Mutter einer Freundin wollte mir eine Freude machen und es ist mehr als gelungen. Sybille hat sogar eine Karte beigefügt. Bis gerade eben wusste ich nicht, dass die Mutter meiner Freundin Sybille heisst. Ich erzähle meiner Mutter davon. Einfach nur um den Neid unter Frauen zu schüren. Ich erwarte nun in den nächsten Tagen Kekse von meiner Mutter.

Kurz danach passierte etwas ebenso Erstaunliches. Wir befinden uns in einer Berliner U-Bahn. Um genauer zu sein in der U8. Es hätte aber auch die U7 sein können. Gerade oder ungerade U-Bahn Linie ist in diesem Fall völlig irrelevant. Draussen ist es kalt, im Inneren wenige Fahrgäste. Nicht weit entfernt von mir sitzen einsam zwei Männer. Der eine redet viel, der andere heisst Korbinian. Der, der nicht Korbinian heisst, redet so laut, dass ich meine Musik ausmache, denn schliesslich kann ich mich akkustisch nicht auf zwei Bässe konzentrieren.

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Was nun folgt, ist die Geschichte einer traurigen Suche und einer traurigen Freundschaft. «Korbinian, ich weiss nicht weiter!» sagt der Mann, der viel redet. «Warum gibt es in der Schule kein Fach, wo man lernt wie Frauen ticken?», fragt der Mann. Korbinian sagt nichts. «Korbinian, kannst du mir das sagen?» fragt der Mann deshalb laut. Wieder sagt Korbinian nichts. Vielleicht will Korbinian diesmal eigentlich schon was sagen aber der Mann redet einfach weiter.

«Ich bin jetzt fast 50, Korbinian! Mir läuft die Zeit davon. Verstehst du das?» – «Das verstehe ich», antwort Korbinian. «Ich weiss doch auch nicht was ich noch machen soll», sagt der Mann. Er ist fast 50 und ich habe den Verdacht, dass er nicht weiss, was er machen soll. Eventuell läuft ihm sogar die Zeit davon. «Ich hab doch keine Zeit mehr», sagt der Mann. «Korbinian!» sagt der Mann.

Korbinian sagt nichts, was den Mann, der viel redet, aber gar nicht stört, weil ihm gerade etwas anderes sehr Wichtiges eingefallen ist. «Guck doch mal, Körperpflege, Korbinian!» ruft der Mann. «Das ist doch schon mal der erste Schritt, oder?», fragt der Mann. «Ja», sagt Korbinian. Der Mann winkt ab und ruft: «Korbinian, das sind doch die Basics. Das wird heute doch schon vorausgesetzt oder?» – «Stimmt» sagt Korbinian.

«Ich rasiere mich, Korbinian!», schreit der Mann. «Ich achte auf mein Äusseres!» Korbinian sagt nichts, vielleicht findet er nicht, dass der andere besonders auf sein Äusseres achtet oder ihm ist. wie, mir sein Drei-Tage-Bart aufgefallen. «Mir läuft die Zeit davon. Menschenskinder, Korbinian wir sitzen doch im gleichen Boot.» Korbinian sagt nichts. Vielleicht schweigt er erstaunt. «Wir müssen aktiv werden.» Korbinian sag nichts. «Wir haben keine Zeit mehr!»

«Ich bin aktiv», meint Korbinian. „Ja! Du bist aktiv, Korbinian! Du bist aktiv!» brüllt der Mann. «Jetzt hör mal auf», sagt der Mann. Korbinian hört auf.

«Was auch immer. Ich weiss doch auch nicht», sagt der Mann und sieht sehr verzweifelt aus. «Aber wir können nicht länger rum sitzen und nichts tun. Wir müssen jetzt endlich mal aktiv werden. Weil eine Frau, eine tolle Frau, das ist es doch wert oder?», fragt der Mann. Korbinian sagt nichts. Vielleicht findet er nicht das eine Frau, auch nicht wenn sie toll ist, das wert ist. «Und weisst du was?», fragt der Mann. Korbinian sagt nichts. Vielleicht weiss er nichts. «Ich bin mittlerweile froh dass die Martina nicht mehr in meinem Leben ist. Ich wach jeden Tag auf und freue mich, dass mir die Martina nichts mehr bedeutet. Jeden Tag, Korbinian! Sie bedeutet mir nichts. Ich bin so froh das die weg ist», sagt der Mann und sieht dabei nicht besonders froh aus. «Du siehst nicht besonders froh aus», entgegnet Korbinian.

Coming-out
Coming-out

«Ja, doch, ich bin froh! Natürlich bin ich froh!», schreit der Mann. «Aber Korbinian“ sagt der Mann. Korbinian sagt nichts. «Mir läuft die Zeit davon», sagt der Mann. Korbinian sagt nichts. «Warum hat mir das denn keiner gesagt vor 20 Jahren?», fragt der Mann. Korbinian sagt nichts. Vielleicht hat Korbinian ihm das vor 20 Jahren schon gesagt. «Korbinian, ich muss doch…» sagt der Mann. «Korbinian, Mensch, Korbinian ich weiss doch auch nicht» sagt der Mann.

Dann schweigen beide ein bisschen. Nach einer Zeit sagt Korbinian: «Du, ich heisse eigentlich Konrad.»

Selten habe ich mich am Spielfeldrand der verwirrten Heterosexualität mehr unterhalten gefühlt.

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