Ohmacht – Sexuelle Gewalt in scheinbar «safem», queerem Raum

Anastasia Biefang über eine Nacht in Berlin

Symbolbild: Tinus Marte, Unsplash
Symbolbild: Tinus Marte, Unsplash

Unsere Kolumnistin hat sexuelle Gewalt in einem scheinbar «safen» und queeren Raum erfahren. In ihrem Kommentar* schreibt sie, wie sie der Vorfall gelähmt hat.

«Ist doch nur ein Witz.» Ich bin fassungslos und gelähmt. Benommen und ungläubig höre ich die Worte in meinen Ohren. Den Druck seiner rechten Hand spüre ich noch deutlich auf meiner linken Brust. Er grinst und winkt mich durch. Es ist halb zwei am Sonntagmorgen. Ich stehe mit Freund*innen vor einem Berliner Club an. Die Tickets leuchten auf meinem Handy für die queere Party an diesem Abend, auf der ich schon mehrfach war.

«Fuck!» denke ich, als ich weiter gehe Richtung Kasse. Wie in Trance schliesse ich zu meinen Freund*innen auf und erzähle, was mir passiert ist. Ich kann es einfach nicht glauben. Der Türsteher bei der Personenkontrolle begrabschte mich an meiner Brust. Kein Versehen, keine Reue, keine Entschuldigung. «Die sind echt», sagte ich ihm noch, bevor er sein «Ist doch nur ein Witz» grinsend herauspolterte und mich wegschickte. Was soll ich tun?

Warum fühle ich mich so hilflos? Hat der Typ nicht bemerkt, dass ich eine Frau bin?

Immer noch fassungslos suche ich die Veranstalter auf. Das muss ich melden. So etwas darf nicht passieren. Ist mir das wirklich gerade passiert? Warum fühle ich mich so hilflos? Hat der Typ vielleicht nicht bemerkt, dass ich eine Frau bin? Sicherlich hat er nicht gesehen, dass ich trans bin. Verdammt, schreit es in mir. Das ist doch egal. Es war übergriffiges Verhalten. Warum suche ich in mir nach Erklärungen für sein Handeln? Ich finde die Veranstalter nicht sofort.

Ich gehe zu meinen Freund*innen und versuche mich auf die Party einzulassen. Ich will nicht alleine sein. Die Wut in mir steigt. Die Wut auf den Türsteher. Die Wut auf mich selbst, weil ich denke, nicht richtig reagiert zu haben. Forsch gehe ich los zum Einlass. Meine Freund*innen halten mich auf, lenken mich zur Bar, hören mir zu, nehmen mich in den Arm. Ich werde ruhiger, zittere aber immer noch. Wut, Scham, Ohnmacht, Hilflosigkeit und Fassungslosigkeit wechseln sich im Sekundentakt ab. Ein Gefühlschaos. Dann sehe ich ihn wieder. Den Türsteher.



Er läuft durch den Barbereich. Er sieht mich nicht. Sein Gesicht wirkt gleichgültig. Ich kreuze seinen Weg und stelle mich direkt vor ihn. Baue mich zu meiner ganzen Grösse auf. «Das war Scheisse, was du mit mir an der Tür gemacht hast. Das geht gar nicht.» Mein Gefühlschaos entlädt sich. Er schaut hoch zu mir. Meine Freund*innen stehen hinter mir, doch ich nehme sie nicht wahr. Ich sehe nur ihn, sein Gesicht und spüre das Gefühl seiner Hand noch immer wie ein Brennen auf meiner Brust.

Er setzt an zu einer Art Erklärung, sagt, dass er ja nicht gewusst habe, dass ich eine Frau sei. Sein konstantes Misgendern meiner Person nehme ich nicht wahr, erfahre es nur aus den Erzählungen meiner Freund*innen. Ich werde emotionaler und lauter. Er droht, mich aus dem Club zu werfen, weil ich aggressiv wirke. «Du machst nicht das Opfer zum Täter», schreie ich ihn an. «Du hast mich sexuell belästigt». Endlich habe ich es gesagt, aber das beeindruckt ihn scheinbar nicht. Ich drohe mit der Polizei. «Dann hol‘ die doch», sagt er abfällig zu mir und lässt mich stehen.

Ich bleibe zurück mit meinen Gefühlen der Wut, Scham, Ohnmacht, Hilflosigkeit und Fassungslosigkeit. Später kommt es zu einer weiteren Konfrontation mit dem Türsteher – zusammen mit den Veranstaltern. Der Türsteher muss seine Schicht beenden für den heutigen Abend. Er versucht, sich zu entschuldigen, er wolle ja nicht diskriminieren. Ich glaube ihm kein Wort. Am nächsten Tag bricht meine Welt zusammen. Ich schaffe nichts. Ich komme mit mir nicht klar. Ich werde krank, akute Belastungsreaktion. Ich erstatte Anzeige gegen den Türsteher. Beim Schreiben des Tathergangs kommen sie wieder hoch. Die Wut. Die Scham. Die Ohnmacht. Die Hilflosigkeit. Die Fassungslosigkeit.



Ich habe sexuelle Gewalt in einem scheinbar «safen» und queeren Raum erfahren. In einem Moment, in dem ich es am wenigstens vermutet hätte, durch vermeintlich geschultes und sensibilisiertes Personal. Leider bin ich kein Einzelfall und es wird nicht das letzte Mal sein, dass jemandem sexuelle Gewalt in derartigen Räumen widerfährt.

Wir alle müssen dafür sorgen, dass die Täter zur Rechenschaft gezogen werden. Betroffene müssen verstärkt unterstützt werden. Sexuelle Gewalt ist und bleibt leider ein Thema, dem wir uns nicht verschliessen dürfen.



*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar zu einem aktuellen LGBTIQ-Thema. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.

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